Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein besonderes Brot vom Berchesbec­k

Unser Essen In der Bäckerei Zott in Fischach wird seit 1914 Berches gebacken und verkauft. Welche Bedeutung das jüdische Festtagsge­bäck hat und wie es entsteht / Serie, Teil 49

- VON STEFFI BRAND

Fischach Die Marktgemei­nde Fischach war einst eine jüdische Gemeinde. Der Bau einer Synagoge, ein jüdischer Friedhof und ein Lehrer jüdischen Glaubens zeugten davon, dass Juden und Christen hier viele Jahre lang friedlich miteinande­r lebten. Zu Beginn der Diktatur der Nationalso­zialisten im Jahr 1933 lebten mehr 100 Juden in Fischach. Sie flohen und wurden deportiert. „Heute lebt kein Jude mehr im Ort“, erklärt Gerhard Zott, Seniorchef der gleichnami­gen Bäckerei in Fischach. Doch eben dort wird in Form eines ganz speziellen Brotes die jüdische Tradition hochgehalt­en – und das seit 1914 ohne Unterbrech­ung: In der Bäckerei Zott in Fischach wird täglich frisches Berches gebacken.

Etwa um vier Uhr morgens steht Juniorchef Harald Zott in seiner Backstube und fertigt den Teig für das traditions­reiche Brot. Diesen bereitet er auf ganz traditione­lle Art und Weise zu: aus hellem Weizenmehl, Hefe, Backmalz, Salz und Wasser. In der Knetmaschi­ne werden die Zutaten vermengt. Dabei wird auch Luft in den Teig eingearbei­tet. Diese sorgt für eine feine Porung. Wasser und Hefe in Kombinatio­n mit der Stärke des Mehls lassen den Teig unter Wärme aufgehen.

Zu einem „Bruch“geformt, darf sich der Teig für zehn Minuten von den Strapazen des Knetens erholen. Dann wird er portionier­t. Aus den einzelnen Portionen werden Stränge geformt. Diese werden miteinande­r verflochte­n. Die unterste Schicht des Brotes besteht aus drei verflochte­nen Strängen. Auch die Mittelschi­cht wird so gefertigt. Jeder Strang misst etwa 45 bis 50 Zentimeter in der Länge. Oben auf kommt eine sogenannte Spindel: Ein Strang wird doppelt so lange ausgerollt wie die andern, in der Mitte zusammenge­klappt und ineinander verdreht. Diese Spindel bildet die oberste Schicht des Brots.

Aufgehäuft zu einem kleinen Brotberg dürfen die verflochte­nen Stränge erneut ruhen. Anschließe­nd werden sie mit Wasser bestrichen. Im traditione­llen Rezept steht, dass nun Mohn über das Brot gestreut wird. Und in dieser Form gibt es das Brot auch täglich in der Bäckerei Zott. „Ohne Mohn fehlt irgendwas“, erklärt Harald Zott. Wenn jedoch ein Kunde sich stattdesse­n Sesam wünscht, ist das für den Bäcker auch kein Problem. Traditione­lle Rezepte und individuel­le Kundenwüns­che werden im Familienbe­trieb großgeschr­ieben.

Ausgestatt­et mit Mohn oder anderen Samen kommt das Berches bei 45 Grad Celsius in den Gärraum, damit der Teig zur vollen Größe wachsen kann. Nun wird das Berches in den Ofen geschossen. 25 bis 30 Minuten bleibt es dort. Er backe „auf Sicht“, erklärt Harald Zott. Eine Uhr muss er sich nicht stellen. Ihm reicht ein regel- mäßiger prüfender Blick in den Ofen.

Berches aus der Fischacher Bäckerei Zott gibt es seit dem Jahr 1914 mit unveränder­ter Rezeptur. Selbst zu Zeiten des Nationalso­zialismus bot die Familie Berches an. In der vierten Generation backt Harald Zott das, was einst sein Großvater den Juden im Ort verkauft hat. Damals gab es das Brot am Freitag und am Samstag. Am Freitag kauften die Juden, am Samstag die Christen. Das hatte einen einfachen Grund: Die jüdische Frau durfte am Samstag, dem jüdischen Feier- und Ruhetag Sabbat, nicht kochen und bereitete deswegen alles am Tag davor vor, also am Freitag. Am Sabbat wurde es auf einem Berchestel­ler und unter einem Tuch als Festtagsbr­ot platziert und serviert. Berches war und ist ein haltbares Brot. Der Haltbarkei­t geschuldet war auch der Kauf des Brotes am Samstag. „Damals hatten Bäckereien am Sonntag noch geschlosse­n“, erinnert Zott. „Heute will jeder täglich frische Ware.“

Geschmackl­ich ist Berches ein wahrer „Allrounder“, schwärmt Harald Zott. Er selbst liebt das Weißbrot mit Mohn mit einem deftigen Belag. Es hat durch die verflochte­nen Stränge eine deutlich festere Konsistenz als beispielsw­eise ein Baguette oder eine Semmel. Vater Gerhard Zott schwankt hingegen: Er

mag Berches mit grober Mettwurst, aber auch mit Marmelade. Viele Kunden schwärmen auch von der Kombinatio­n mit Honig. Wer in der Bäckerei Zott nach Berches fragt, der weiß genau, was er möchte und was er bekommt. Wer sich mit Blick auf den mit Mohn bestreuten Weißbrotte­ig unwissend zeigt, der bekommt zum Brot direkt noch eine Erklärung.

Auf dem Zweiseiter wird auch erklärt, welche Bedeutung das Brot im jüdischen Glauben hat. Wer kein Brot hat, stehe unter dem Fluch Gottes, heißt es dort. Das Wort Berches stamme vom hebräische­n Begriff für Segen ab („Berachot“). Allerdings gibt es Berches auch in anderen Schreibwei­sen: als Barchos oder als Barchat. Unabhängig von der Schreibwei­se ist die Bedeutung von Berches: als Brot für den Sabbat. Dieser Feier- und Ruhetag ist dem Sonntag der Christen sehr ähnlich.

Übrigens wird das Berches nach dem Sabbatgese­tz nicht aus drei Strängen pro Lage gefertigt, sondern aus sechs Strängen pro Zopf. Die insgesamt zwölf Stränge sollen der Überliefer­ung zufolge die zwölf Stämme Israels symbolisie­ren. Auch müsste das Berches aus der Bäckerei Zott streng genommen „Pat Nachtom“heißen. Das heißt übersetzt „Brot eines nicht jüdischen Bäckers“. Da Gerhard und Harald Zott diese Informatio­nen allerdings unter dem Signet „D’r Berchesbec­k der Stauden“herausgebe­n, verzeihen ihnen die Kunden gerne diese Abkehr vom strengen, jüdischen Regelwerk.

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 ?? Fotos: Marcus Merk ?? „Ohne Mohn fehlt irgendwas“, findet Harald Zott und bestreut das Berches. Das traditione­lle jüdische Brot wird seit 1914 in der Fischacher Bäckerei hergestell­t.
Fotos: Marcus Merk „Ohne Mohn fehlt irgendwas“, findet Harald Zott und bestreut das Berches. Das traditione­lle jüdische Brot wird seit 1914 in der Fischacher Bäckerei hergestell­t.
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Jeder Strang ist etwa 45 bis 50 Zentimeter lang.
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Aufgehäuft zu einem kleinen Brotberg dürfen die verflochte­nen Stränge erneut ruhen.
 ??  ?? Der Hefeteig für das Berches wird auf besondere Weise geformt. Die unterste Schicht des Brotes besteht aus drei verflochte­nen Strängen.
Der Hefeteig für das Berches wird auf besondere Weise geformt. Die unterste Schicht des Brotes besteht aus drei verflochte­nen Strängen.
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So sieht das Berches fertig gebacken aus.

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