Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein besonderes Brot vom Berchesbeck
Unser Essen In der Bäckerei Zott in Fischach wird seit 1914 Berches gebacken und verkauft. Welche Bedeutung das jüdische Festtagsgebäck hat und wie es entsteht / Serie, Teil 49
Fischach Die Marktgemeinde Fischach war einst eine jüdische Gemeinde. Der Bau einer Synagoge, ein jüdischer Friedhof und ein Lehrer jüdischen Glaubens zeugten davon, dass Juden und Christen hier viele Jahre lang friedlich miteinander lebten. Zu Beginn der Diktatur der Nationalsozialisten im Jahr 1933 lebten mehr 100 Juden in Fischach. Sie flohen und wurden deportiert. „Heute lebt kein Jude mehr im Ort“, erklärt Gerhard Zott, Seniorchef der gleichnamigen Bäckerei in Fischach. Doch eben dort wird in Form eines ganz speziellen Brotes die jüdische Tradition hochgehalten – und das seit 1914 ohne Unterbrechung: In der Bäckerei Zott in Fischach wird täglich frisches Berches gebacken.
Etwa um vier Uhr morgens steht Juniorchef Harald Zott in seiner Backstube und fertigt den Teig für das traditionsreiche Brot. Diesen bereitet er auf ganz traditionelle Art und Weise zu: aus hellem Weizenmehl, Hefe, Backmalz, Salz und Wasser. In der Knetmaschine werden die Zutaten vermengt. Dabei wird auch Luft in den Teig eingearbeitet. Diese sorgt für eine feine Porung. Wasser und Hefe in Kombination mit der Stärke des Mehls lassen den Teig unter Wärme aufgehen.
Zu einem „Bruch“geformt, darf sich der Teig für zehn Minuten von den Strapazen des Knetens erholen. Dann wird er portioniert. Aus den einzelnen Portionen werden Stränge geformt. Diese werden miteinander verflochten. Die unterste Schicht des Brotes besteht aus drei verflochtenen Strängen. Auch die Mittelschicht wird so gefertigt. Jeder Strang misst etwa 45 bis 50 Zentimeter in der Länge. Oben auf kommt eine sogenannte Spindel: Ein Strang wird doppelt so lange ausgerollt wie die andern, in der Mitte zusammengeklappt und ineinander verdreht. Diese Spindel bildet die oberste Schicht des Brots.
Aufgehäuft zu einem kleinen Brotberg dürfen die verflochtenen Stränge erneut ruhen. Anschließend werden sie mit Wasser bestrichen. Im traditionellen Rezept steht, dass nun Mohn über das Brot gestreut wird. Und in dieser Form gibt es das Brot auch täglich in der Bäckerei Zott. „Ohne Mohn fehlt irgendwas“, erklärt Harald Zott. Wenn jedoch ein Kunde sich stattdessen Sesam wünscht, ist das für den Bäcker auch kein Problem. Traditionelle Rezepte und individuelle Kundenwünsche werden im Familienbetrieb großgeschrieben.
Ausgestattet mit Mohn oder anderen Samen kommt das Berches bei 45 Grad Celsius in den Gärraum, damit der Teig zur vollen Größe wachsen kann. Nun wird das Berches in den Ofen geschossen. 25 bis 30 Minuten bleibt es dort. Er backe „auf Sicht“, erklärt Harald Zott. Eine Uhr muss er sich nicht stellen. Ihm reicht ein regel- mäßiger prüfender Blick in den Ofen.
Berches aus der Fischacher Bäckerei Zott gibt es seit dem Jahr 1914 mit unveränderter Rezeptur. Selbst zu Zeiten des Nationalsozialismus bot die Familie Berches an. In der vierten Generation backt Harald Zott das, was einst sein Großvater den Juden im Ort verkauft hat. Damals gab es das Brot am Freitag und am Samstag. Am Freitag kauften die Juden, am Samstag die Christen. Das hatte einen einfachen Grund: Die jüdische Frau durfte am Samstag, dem jüdischen Feier- und Ruhetag Sabbat, nicht kochen und bereitete deswegen alles am Tag davor vor, also am Freitag. Am Sabbat wurde es auf einem Berchesteller und unter einem Tuch als Festtagsbrot platziert und serviert. Berches war und ist ein haltbares Brot. Der Haltbarkeit geschuldet war auch der Kauf des Brotes am Samstag. „Damals hatten Bäckereien am Sonntag noch geschlossen“, erinnert Zott. „Heute will jeder täglich frische Ware.“
Geschmacklich ist Berches ein wahrer „Allrounder“, schwärmt Harald Zott. Er selbst liebt das Weißbrot mit Mohn mit einem deftigen Belag. Es hat durch die verflochtenen Stränge eine deutlich festere Konsistenz als beispielsweise ein Baguette oder eine Semmel. Vater Gerhard Zott schwankt hingegen: Er
mag Berches mit grober Mettwurst, aber auch mit Marmelade. Viele Kunden schwärmen auch von der Kombination mit Honig. Wer in der Bäckerei Zott nach Berches fragt, der weiß genau, was er möchte und was er bekommt. Wer sich mit Blick auf den mit Mohn bestreuten Weißbrotteig unwissend zeigt, der bekommt zum Brot direkt noch eine Erklärung.
Auf dem Zweiseiter wird auch erklärt, welche Bedeutung das Brot im jüdischen Glauben hat. Wer kein Brot hat, stehe unter dem Fluch Gottes, heißt es dort. Das Wort Berches stamme vom hebräischen Begriff für Segen ab („Berachot“). Allerdings gibt es Berches auch in anderen Schreibweisen: als Barchos oder als Barchat. Unabhängig von der Schreibweise ist die Bedeutung von Berches: als Brot für den Sabbat. Dieser Feier- und Ruhetag ist dem Sonntag der Christen sehr ähnlich.
Übrigens wird das Berches nach dem Sabbatgesetz nicht aus drei Strängen pro Lage gefertigt, sondern aus sechs Strängen pro Zopf. Die insgesamt zwölf Stränge sollen der Überlieferung zufolge die zwölf Stämme Israels symbolisieren. Auch müsste das Berches aus der Bäckerei Zott streng genommen „Pat Nachtom“heißen. Das heißt übersetzt „Brot eines nicht jüdischen Bäckers“. Da Gerhard und Harald Zott diese Informationen allerdings unter dem Signet „D’r Berchesbeck der Stauden“herausgeben, verzeihen ihnen die Kunden gerne diese Abkehr vom strengen, jüdischen Regelwerk.