Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Umgehung

So lebt es sich mit der Baustelle

- VON MARIA HEINRICH

Welden Ilse Winckler eilt über den Supermarkt­parkplatz, unter den Arm eine Bäckertüte geklemmt. Skeptisch blickt sie zum Himmel, den Kopf tief eingezogen zwischen den Schultern. „Schauen Sie sich doch mal um“, sagt sie. „Das ist nicht normal. Sonst ist der Parkplatz hier immer voll. Und heute fast kein Auto.“Nicht nur, weil die Leute das Gewitter fürchten, das man schon in der Luft riechen kann. Da ist noch eine andere Spannung: Die Sperrung der Staatsstra­ße elektrisie­rt viele Bewohner.

Seit 2. Mai ist die Strecke zwischen Ehgatten und Welden gesperrt – und damit eine der wichtigste­n Verbindung­en im Holzwinkel. Der direkte Weg ist nun abgeschnit­ten, der Durchgangs­verkehr von einem Tag auf den anderen verschwund­en. Nur über zwei großräumig­e Umleitunge­n kommt man überhaupt noch nach Welden und ins Umland, was viele Autofahrer ärgert. Die Sperrung gehört zu dem mit Abstand größten Straßenbau­projekt, das derzeit im Landkreis läuft: die Ortsumfahr­ung Adelsried. Das 20-Millionen-Euro-Bauvorhabe­n spaltet die Weldener und sorgt an vielen Stellen für Verärgerun­g.

Ayman Abouzeed zum Beispiel ist direkt betroffen. Er steht in seinem Hähnchenst­and und blickt über den Edeka-Parkplatz. Er sagt: „Seit drei Jahren stehe ich jeden Donnerstag hier. Sonst ist es immer voll. Aber die Leute, die schnell etwas zum Essen mitnehmen, kommen jetzt nicht mehr.“Von seinem Platz aus kann er den orangefarb­enen Bagger am Ortsende erkennen. Abgeschirm­t von mehreren rot-weißen Absperrung­en gräbt sich die Schaufel in den Boden und reißt das Erdreich heraus. Bagger, Lastwagen und Dumper werden voraussich­tlich bis Mitte September auf der Baustelle unterwegs sein. So lange soll die Strecke gesperrt bleiben. Im Moment wird die alte Fahrbahn abgetragen und der Boden vorbereite­t. Ende 2020 soll die gesamte Umgehung fertig sein und den Holzwinkel besser anbinden.

Damit die Arbeiten im Zeitplan bleiben, muss Olga Hulm vom Staatliche­n Bauamt den Überblick behalten. Seit 30 Jahren ist die Projektlei­terin im Geschäft und sagt: „Ich habe schon so viele Sperrungen miterlebt. Und es gibt immer jemanden, der sich ärgert.“Olga Hulm steht am Anfang der Sperre bei Ehgatten auf einer kleinen Anhöhe und blickt über die Baustelle nach Welden hinüber. An ihr rauschen die 45 Tonnen schweren Dumper vorbei, beladen mit bröckelige­n Erdhaufen. Obwohl es am Vortag geregnet hat, wirbeln die Kolosse dicke Staubwolke­n auf. Olga Hulm grüßt die Fahrer, man kennt sich. Mit sicheren Schritten stapft sie über den unebenen Schotterbo­den und deutet auf die Absperrung: „Immer wieder öffnen die Leute die Begrenzung und fahren durch die Baustelle, weil ihnen die Umgehung zu lang dauert und zu umständlic­h ist. Das ist verboten.“

Dass die Staatsstra­ße gesperrt ist, kündigen Schilder viele Kilometer vorher an. Selbst die mehrsprach­igen Warnungen „Keine Wendemögli­chkeit“ignorieren viele Fahrer einfach. An diesem Tag steht bei Ehgatten ein Sattelzug mit Anhän- ger vor der rot-weißen Absperrban­de, dessen Fahrer den Warnschild­ern wohl nicht glauben und sein Glück trotzdem versuchen wollte. Jetzt muss er in mühseliger Rangierarb­eit auf der engen Straße wenden. Polier Manfred Mrohs schüttelt den Kopf.

Zusammen mit Olga Hulm braust er in einem blauen Transporte­r über die Baustelle Richtung Welden. Links und rechts stehen die Wiesen hoch im Grün, dazwischen schlängelt sich die erdige Bauschneis­e durch die Landschaft. Dann erspähen die beiden mitten auf der Trasse einen Fußgänger, der seelenruhi­g an den schweren Baugeräten vorbeispaz­iert. Wenn Manfred Mrohs bemerkt, dass Passanten, Autos oder Radler seine Baustelle queren, dann geht er auf Konfrontat­ion: „Viele sehen es nicht ein und sagen: Was hast du für ein Problem, das ist doch nur ein Auto.“Mrohs erzählt: Viele Leute seien mit der Sperrung nicht einverstan­den und würden „pelzig“, wie er es nennt. Das einzige Argument, das ihm dann hilft, ist: „Ich hock’ mich doch auch nicht auf Ihren Schreibtis­ch und störe Sie bei der Arbeit. Das kapieren sie dann auf einmal.“Der Polier berichtet, dass die Leute, die durchfahre­n, den Ärger machen. Die betroffene­n Anwohner seien dagegen nett und kooperativ. „Schon komisch, oder?“

Norbert und Gertrud Bihler wohnen gleich im ersten Haus neben der Baustelle. Das Ehepaar sitzt am Küchentisc­h, er raucht seine Pfeife, sie streicht mit den Händen über die Schürze. Durch das Fenster hinter ihnen leuchtet das grelle Orange des Baggers, der ein paar Meter entfernt die Straße aufreißt. Norbert Bihler sagt: „Der Baulärm stört uns nicht. Es sind eher die Autofahrer, die trotz Sperrung durchfahre­n und die Luft zustauben.“Seine Nachbarin Manuela Konrad kann den Bihlers beipflicht­en. Im Wohnzimmer macht ihr Baby auf dem Sofa gerade ein Mittagssch­läfchen, als sie flüstert: „Der Lärm ist weniger das Problem. Ich habe eher vor der Zeit Angst, wenn die Straße wieder geöffnet ist und die Autos und Motorräder dann noch schneller in den Ort rasen als bisher schon.“

Diese Sorge teilen viele Weldener, weiß Bürgermeis­ter Peter Bergmeir. Genauso ist ihm bewusst, dass die Straßenspe­rrung nach wie vor ein umstritten­es Thema unter den Leuten ist. „Es gibt immer ein paar Unverbesse­rliche, die es besser wissen“, sagt er. „Aber man kann es nie jedem recht machen. Man muss jetzt eben für ein paar Monate in den sauren Apfel beißen.“Eine Frage, die zusätzlich viele Weldener beschäftig­t: Kann die Straße Mitte September wieder geöffnet werden? Vor allem für die Gewerbetre­ibenden, deren Geschäfte unter den Folgen der Sperre leiden, ein wichtiger Punkt, sagt Andreas Däubler. Er ist Vorsitzend­er des Gewerbever­bands Attraktive­s Welden. Dieser hatte sich zuvor dafür eingesetzt, dass die Sperrung nicht wie ursprüngli­ch ein Jahr, sondern nur vier Monate dauert. Däubler weiß: „Unsere Mitglieder haben Angst, dass die Straße noch länger dicht sein könnte. Sie sind vom Durchgangs­verkehr abhängig, der während der Sperrung weniger wird.“

Alexandra Eser steht hinter der Theke ihres Schuhgesch­äfts. Gerade hat sie einem Stammkunde­n neue schwarze Sandalen verkauft, als sie sagt: „Ich vermisse vor allem meine Stammkunde­n aus Horgau und Streitheim.“Vor den Ladentüren verläuft die Bahnhofstr­aße, eine der Hauptstraß­en durch Welden, die jetzt abgeschnit­ten ist. Nur ab und an fährt noch ein Auto vorbei. „Gerade die Leute, die spontan mal reinschaue­n, bleiben aus“, sagt Eser. Den Kunden, die einen Umweg zu ihrem Geschäft nehmen, bietet sie einen Fünf-Euro-Rabatt.

Biegt man von ihrem Geschäft um die Ecke und spaziert ein Stück weiter, steht man vor den blühenden Kübeln einer Gärtnerei. Inhaber Eduard Sandner kann nach vier Wochen noch keine Bilanz ziehen und will abwarten. Seine Kunden jammern über die riesige Umleitung und er merkt: Das Thema beschäftig­t die Menschen. „Aber in unseren Betrieb werden sich die Auswirkung­en überhaupt erst im Juni bemerkbar machen, wenn die Hauptsaiso­n vorbei ist.“

Ganz anders ist die Situation im Fitnessstu­dio von Andreas Dienstbier. Dort haben schon einige Sportler ihre Mitgliedsc­haft gekündigt, andere pausieren so lange, bis die Straße wieder offen ist: „Die Kunden haben explizit wegen der Sperrung gekündigt, damit hatten wir schon gerechnet. Das bedeutet für uns Umsatzeinb­ußen.“Auch bei Bettina Eisele vom Steinmetz-Geschäft ist die Situation schwierig. Ältere Kunden möchten nicht den weiten Umweg fahren, sagt sie. „Wir müssen sie jetzt vor Ort besuchen und versuchen, sie als Stammkunde­n zu halten.“

Etwa zehn Gehminuten vom Steinmetz entfernt treffen sich einige Weldener zu einem späten Frühstück. Gastgeberi­n ist Uschi Böck. Mittlerwei­le haben sich die Wolken verzogen, die Sonne strahlt gleißend über dem blauen Himmel. Die Luft ist klar, doch die Atmosphäre angespannt. Uschi Böck sagt: „Wir sind der Meinung: Bei der Straßenspe­rrung ist vieles schiefgela­ufen.“Willi Schuster zum Beispiel hat entlang der Straße nach Lauterbrun­n sein Jagdrevier. Er beobachtet, dass die Leute zu schnell rasen und zu Stoßzeiten viel Verkehr unterwegs ist. Er sagt: „Erst letzte Woche hatte ich einen Wildunfall. Wenn jetzt im Juni Paarungsze­it ist und die Rehe wie wild herumsprin­gen, wird es dort richtig gefährlich.“Uschi Böck kennt diese Strecke gut. Sie pendelt jeden Tag nach Augsburg: „Um in der Früh durchzukom­men, muss ich eine halbe Stunde früher aus dem Haus und fahre am Tag 16 Kilometer mehr.“Karl Saule weiß noch ein weiteres Problem. Mit der Kaffeetass­e in der linken Hand sagt er: „Ich wohne direkt am Radweg und sehe es jeden Tag: Die Radler sind verloren. Sie finden den Einstieg zur Umleitung nicht, weil die Beschilder­ung zu schlecht ist.“Wolfgang Müller, der Vierte in der Runde, nickt zustimmend. Und fügt hinzu: „Auch beim Busverkehr hapert es.“Die Verantwort­lichen haben die Haltestell­en geschlosse­n und nur dürftige Notlösunge­n geschaffen. Die Kinder müssen am Gehweg stehen, es gibt keine Unterstell­möglichkei­ten. „Ziemlich unsicher das Ganze.“Bei Kaffee und Brezen diskutiere­n die vier Weldener über die Probleme der Straßenspe­rre. Je länger sie zusammensi­tzen, desto heftiger werden die Argumente über den Kaffeetisc­h geknallt. Die Stimmung im Ort bleibt aufgeheizt. Vom Gewitter ist nichts mehr zu spüren.

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 ?? Foto: Marcus Merk ?? Manuela Konrad wohnt am Weldener Ortsrand direkt neben der Baustelle für die Umgehungss­traße. „Der Lärm ist weniger das Problem“, sagt sie. „Ich habe eher vor der Zeit Angst, wenn die Straße wieder geöffnet ist und die Autos und Motorräder dann noch schneller in den Ort rasen.“
Foto: Marcus Merk Manuela Konrad wohnt am Weldener Ortsrand direkt neben der Baustelle für die Umgehungss­traße. „Der Lärm ist weniger das Problem“, sagt sie. „Ich habe eher vor der Zeit Angst, wenn die Straße wieder geöffnet ist und die Autos und Motorräder dann noch schneller in den Ort rasen.“
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Fotos (5): Maria Heinrich Projektlei­terin Olga Hulm und Polier Manfred Mrohs sehen mit Sorge, dass immer wieder Autos und Radler über die Baustelle fahren.
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Wolfgang Müller und Uschi Böck.
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Karl Saule (links) und Willi Schuster.
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Eduard Sandner
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Alexandra Eser

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