Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Umgehung
So lebt es sich mit der Baustelle
Welden Ilse Winckler eilt über den Supermarktparkplatz, unter den Arm eine Bäckertüte geklemmt. Skeptisch blickt sie zum Himmel, den Kopf tief eingezogen zwischen den Schultern. „Schauen Sie sich doch mal um“, sagt sie. „Das ist nicht normal. Sonst ist der Parkplatz hier immer voll. Und heute fast kein Auto.“Nicht nur, weil die Leute das Gewitter fürchten, das man schon in der Luft riechen kann. Da ist noch eine andere Spannung: Die Sperrung der Staatsstraße elektrisiert viele Bewohner.
Seit 2. Mai ist die Strecke zwischen Ehgatten und Welden gesperrt – und damit eine der wichtigsten Verbindungen im Holzwinkel. Der direkte Weg ist nun abgeschnitten, der Durchgangsverkehr von einem Tag auf den anderen verschwunden. Nur über zwei großräumige Umleitungen kommt man überhaupt noch nach Welden und ins Umland, was viele Autofahrer ärgert. Die Sperrung gehört zu dem mit Abstand größten Straßenbauprojekt, das derzeit im Landkreis läuft: die Ortsumfahrung Adelsried. Das 20-Millionen-Euro-Bauvorhaben spaltet die Weldener und sorgt an vielen Stellen für Verärgerung.
Ayman Abouzeed zum Beispiel ist direkt betroffen. Er steht in seinem Hähnchenstand und blickt über den Edeka-Parkplatz. Er sagt: „Seit drei Jahren stehe ich jeden Donnerstag hier. Sonst ist es immer voll. Aber die Leute, die schnell etwas zum Essen mitnehmen, kommen jetzt nicht mehr.“Von seinem Platz aus kann er den orangefarbenen Bagger am Ortsende erkennen. Abgeschirmt von mehreren rot-weißen Absperrungen gräbt sich die Schaufel in den Boden und reißt das Erdreich heraus. Bagger, Lastwagen und Dumper werden voraussichtlich bis Mitte September auf der Baustelle unterwegs sein. So lange soll die Strecke gesperrt bleiben. Im Moment wird die alte Fahrbahn abgetragen und der Boden vorbereitet. Ende 2020 soll die gesamte Umgehung fertig sein und den Holzwinkel besser anbinden.
Damit die Arbeiten im Zeitplan bleiben, muss Olga Hulm vom Staatlichen Bauamt den Überblick behalten. Seit 30 Jahren ist die Projektleiterin im Geschäft und sagt: „Ich habe schon so viele Sperrungen miterlebt. Und es gibt immer jemanden, der sich ärgert.“Olga Hulm steht am Anfang der Sperre bei Ehgatten auf einer kleinen Anhöhe und blickt über die Baustelle nach Welden hinüber. An ihr rauschen die 45 Tonnen schweren Dumper vorbei, beladen mit bröckeligen Erdhaufen. Obwohl es am Vortag geregnet hat, wirbeln die Kolosse dicke Staubwolken auf. Olga Hulm grüßt die Fahrer, man kennt sich. Mit sicheren Schritten stapft sie über den unebenen Schotterboden und deutet auf die Absperrung: „Immer wieder öffnen die Leute die Begrenzung und fahren durch die Baustelle, weil ihnen die Umgehung zu lang dauert und zu umständlich ist. Das ist verboten.“
Dass die Staatsstraße gesperrt ist, kündigen Schilder viele Kilometer vorher an. Selbst die mehrsprachigen Warnungen „Keine Wendemöglichkeit“ignorieren viele Fahrer einfach. An diesem Tag steht bei Ehgatten ein Sattelzug mit Anhän- ger vor der rot-weißen Absperrbande, dessen Fahrer den Warnschildern wohl nicht glauben und sein Glück trotzdem versuchen wollte. Jetzt muss er in mühseliger Rangierarbeit auf der engen Straße wenden. Polier Manfred Mrohs schüttelt den Kopf.
Zusammen mit Olga Hulm braust er in einem blauen Transporter über die Baustelle Richtung Welden. Links und rechts stehen die Wiesen hoch im Grün, dazwischen schlängelt sich die erdige Bauschneise durch die Landschaft. Dann erspähen die beiden mitten auf der Trasse einen Fußgänger, der seelenruhig an den schweren Baugeräten vorbeispaziert. Wenn Manfred Mrohs bemerkt, dass Passanten, Autos oder Radler seine Baustelle queren, dann geht er auf Konfrontation: „Viele sehen es nicht ein und sagen: Was hast du für ein Problem, das ist doch nur ein Auto.“Mrohs erzählt: Viele Leute seien mit der Sperrung nicht einverstanden und würden „pelzig“, wie er es nennt. Das einzige Argument, das ihm dann hilft, ist: „Ich hock’ mich doch auch nicht auf Ihren Schreibtisch und störe Sie bei der Arbeit. Das kapieren sie dann auf einmal.“Der Polier berichtet, dass die Leute, die durchfahren, den Ärger machen. Die betroffenen Anwohner seien dagegen nett und kooperativ. „Schon komisch, oder?“
Norbert und Gertrud Bihler wohnen gleich im ersten Haus neben der Baustelle. Das Ehepaar sitzt am Küchentisch, er raucht seine Pfeife, sie streicht mit den Händen über die Schürze. Durch das Fenster hinter ihnen leuchtet das grelle Orange des Baggers, der ein paar Meter entfernt die Straße aufreißt. Norbert Bihler sagt: „Der Baulärm stört uns nicht. Es sind eher die Autofahrer, die trotz Sperrung durchfahren und die Luft zustauben.“Seine Nachbarin Manuela Konrad kann den Bihlers beipflichten. Im Wohnzimmer macht ihr Baby auf dem Sofa gerade ein Mittagsschläfchen, als sie flüstert: „Der Lärm ist weniger das Problem. Ich habe eher vor der Zeit Angst, wenn die Straße wieder geöffnet ist und die Autos und Motorräder dann noch schneller in den Ort rasen als bisher schon.“
Diese Sorge teilen viele Weldener, weiß Bürgermeister Peter Bergmeir. Genauso ist ihm bewusst, dass die Straßensperrung nach wie vor ein umstrittenes Thema unter den Leuten ist. „Es gibt immer ein paar Unverbesserliche, die es besser wissen“, sagt er. „Aber man kann es nie jedem recht machen. Man muss jetzt eben für ein paar Monate in den sauren Apfel beißen.“Eine Frage, die zusätzlich viele Weldener beschäftigt: Kann die Straße Mitte September wieder geöffnet werden? Vor allem für die Gewerbetreibenden, deren Geschäfte unter den Folgen der Sperre leiden, ein wichtiger Punkt, sagt Andreas Däubler. Er ist Vorsitzender des Gewerbeverbands Attraktives Welden. Dieser hatte sich zuvor dafür eingesetzt, dass die Sperrung nicht wie ursprünglich ein Jahr, sondern nur vier Monate dauert. Däubler weiß: „Unsere Mitglieder haben Angst, dass die Straße noch länger dicht sein könnte. Sie sind vom Durchgangsverkehr abhängig, der während der Sperrung weniger wird.“
Alexandra Eser steht hinter der Theke ihres Schuhgeschäfts. Gerade hat sie einem Stammkunden neue schwarze Sandalen verkauft, als sie sagt: „Ich vermisse vor allem meine Stammkunden aus Horgau und Streitheim.“Vor den Ladentüren verläuft die Bahnhofstraße, eine der Hauptstraßen durch Welden, die jetzt abgeschnitten ist. Nur ab und an fährt noch ein Auto vorbei. „Gerade die Leute, die spontan mal reinschauen, bleiben aus“, sagt Eser. Den Kunden, die einen Umweg zu ihrem Geschäft nehmen, bietet sie einen Fünf-Euro-Rabatt.
Biegt man von ihrem Geschäft um die Ecke und spaziert ein Stück weiter, steht man vor den blühenden Kübeln einer Gärtnerei. Inhaber Eduard Sandner kann nach vier Wochen noch keine Bilanz ziehen und will abwarten. Seine Kunden jammern über die riesige Umleitung und er merkt: Das Thema beschäftigt die Menschen. „Aber in unseren Betrieb werden sich die Auswirkungen überhaupt erst im Juni bemerkbar machen, wenn die Hauptsaison vorbei ist.“
Ganz anders ist die Situation im Fitnessstudio von Andreas Dienstbier. Dort haben schon einige Sportler ihre Mitgliedschaft gekündigt, andere pausieren so lange, bis die Straße wieder offen ist: „Die Kunden haben explizit wegen der Sperrung gekündigt, damit hatten wir schon gerechnet. Das bedeutet für uns Umsatzeinbußen.“Auch bei Bettina Eisele vom Steinmetz-Geschäft ist die Situation schwierig. Ältere Kunden möchten nicht den weiten Umweg fahren, sagt sie. „Wir müssen sie jetzt vor Ort besuchen und versuchen, sie als Stammkunden zu halten.“
Etwa zehn Gehminuten vom Steinmetz entfernt treffen sich einige Weldener zu einem späten Frühstück. Gastgeberin ist Uschi Böck. Mittlerweile haben sich die Wolken verzogen, die Sonne strahlt gleißend über dem blauen Himmel. Die Luft ist klar, doch die Atmosphäre angespannt. Uschi Böck sagt: „Wir sind der Meinung: Bei der Straßensperrung ist vieles schiefgelaufen.“Willi Schuster zum Beispiel hat entlang der Straße nach Lauterbrunn sein Jagdrevier. Er beobachtet, dass die Leute zu schnell rasen und zu Stoßzeiten viel Verkehr unterwegs ist. Er sagt: „Erst letzte Woche hatte ich einen Wildunfall. Wenn jetzt im Juni Paarungszeit ist und die Rehe wie wild herumspringen, wird es dort richtig gefährlich.“Uschi Böck kennt diese Strecke gut. Sie pendelt jeden Tag nach Augsburg: „Um in der Früh durchzukommen, muss ich eine halbe Stunde früher aus dem Haus und fahre am Tag 16 Kilometer mehr.“Karl Saule weiß noch ein weiteres Problem. Mit der Kaffeetasse in der linken Hand sagt er: „Ich wohne direkt am Radweg und sehe es jeden Tag: Die Radler sind verloren. Sie finden den Einstieg zur Umleitung nicht, weil die Beschilderung zu schlecht ist.“Wolfgang Müller, der Vierte in der Runde, nickt zustimmend. Und fügt hinzu: „Auch beim Busverkehr hapert es.“Die Verantwortlichen haben die Haltestellen geschlossen und nur dürftige Notlösungen geschaffen. Die Kinder müssen am Gehweg stehen, es gibt keine Unterstellmöglichkeiten. „Ziemlich unsicher das Ganze.“Bei Kaffee und Brezen diskutieren die vier Weldener über die Probleme der Straßensperre. Je länger sie zusammensitzen, desto heftiger werden die Argumente über den Kaffeetisch geknallt. Die Stimmung im Ort bleibt aufgeheizt. Vom Gewitter ist nichts mehr zu spüren.