Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zwei Meister der Nuance
Cézanne und Rilke im Paris des Jahres 1907
111 Jahre nach der maßgebenden Pariser Cézanne-Ausstellung von 1907, da die Hellsichtigen unter den Kunstbetrachtern das umfassend Pionierhafte des Künstlers erkannten, ist nun der Bildkatalog dazu erschienen – seinerzeit lag nur eine Liste mit den 57 Werktiteln im Salon d’Automne auf. Und diese optische Rekonstruktion der CézanneRetrospektive, die Picasso ebenso beeinflusste wie Braque, Kandinsky und Matisse, ist kombiniert mit den damaligen Eindrücken des Dichters Rainer Maria Rilke, der darüber an seine Frau Clara und an Paula Modersohn-Becker schrieb
. So wird diese Publikation zu einem wunderbaren Bilder- und Lesebuch, in dem die sorgsame Malerei Cézannes auf die genaue Beobachtungsgabe Rilkes und dessen Streben nach präziser Beschreibung trifft. Rilkes empfindsame Pariser Stadt-, Wetter- und Gemäldebetrachtungen, die Wert auf größte Farbnuancierung legen, sind gleichsam das geschriebene Pendant zu Cézannes ausgeklügelter Farbwahl. Zwei große Koloristen sind hier am Werk, der eine malend, der andere – auch im Brief – nach stunden-, ja tagelangem Studium poetisch formulierend. Man betrachte die besonders starken Bilder „Madame Cézanne“, „Portrait du Peintre“sowie „La Pendule“eingehend und lese dann Rilkes schriftliche Vergewisserungen. Es gehen einem doppelt die Augen auf. Rainer Maria Rilke strebt zur Einsicht qua Tatsachenbeschreibung.