Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie die neuen Alphirten leben

Berge Im Sommer mit dem Vieh auf die Alpe, das wollte Alexander Köhler immer. Nun leben er und seine Verlobte auf 1280 Metern. Am Sonntag ist ihre Hütte ein besonderer Anlaufpunk­t

- VON SONJA KRELL

Rettenberg Eigentlich sollte der Weidezaun nur ein paar Meter versetzt werden, aber irgendwie hat es das Jungvieh geahnt. Einer der Schumpen ist ausgebüxt. Jetzt ist Alexander Köhler gefragt. Nicht unruhig werden, das Tier aber trotzdem schnellstm­öglich wieder zurück zu den anderen lotsen. „Wenn’s blöd läuft, dann ist man da zwei Stunden damit beschäftig­t“, sagt der Hirte. Er geht hinter dem Tier her, links, rechts, treibt es mit dem Stock zurück zur Herde, dort, wo seine Verlobte Sarah Kneißle darauf wartet, den Weidezaun wieder zu schließen.

So was kann schon mal vorkommen, sagt der 32-Jährige. Aus der Ruhe bringt ihn das nicht. Seit Mai hat für das Hirtenpaar der Alpsommer begonnen – der erste auf der Alpe Burgerschl­äg zwischen Rettenberg und Wertach, wo sie auch die Gäste bewirten, die auf ein Bier, einen Kaffee oder ein Stück selbst gebackenen Kuchen einkehren.

696 Alpen gibt es im Allgäu, etwa ein Viertel ist bewirtet. Mit ein Grund, sagen Umfragen, warum die Region bei Touristen so beliebt ist. Manche bestellen einen Latte Macchiato – und wundern sich, dass es den nicht gibt, erzählt Sarah Kneißle und lacht. Alfred Enderle, der schwäbisch­e Bauernpräs­ident, dem die Nachbaralp­e gehört, sagt: „Viele verstehen nicht, dass das Vieh hier oben Vorrang hat.“Dass Mountainbi­ker auf den Wegen bleiben müssten und Hunde an der Leine.

Der Bauernverb­and will das beim diesjährig­en „Tag des offenen Hofes“ändern. Im Oberallgäu lädt man zur Genusswand­erung über drei Alpen, unter anderem zur Burgerschl­äg. Eine Trachtengr­uppe wird da sein, die Jäger informiere­n über Wildtiere, der Landschaft­spflegever­band über das, was hier blüht. Die Menschen sollen verstehen, warum es die 28 000 Jungrinder und 2500 Milchkühe – so viele sind es heuer – auf den Alpen braucht.

Alexander Köhler sitzt auf einer Bank, neben ihm das Jungvieh, hinter ihm der Grünten, über ihm die Wolken. Er muss nicht viel sagen. Man sieht ihm an, dass er das Leben auf 1280 Metern genießt. „Man kann tun, was man will, die Arbeit einteilen, wie man will.“Morgens braucht er keinen Wecker, mal wird er von der Sonne wach, mal von den Fliegen, die ihn piesacken. Ob man hier oben wirklich gut schlafen

kann? Mit den 45 Schumpen nebenan auf der Weide, mit dem dauernden Klingen der Schellen? „Die sind besser zum Schlafen als jedes andere Geräusch“, sagt Sarah Kneißle.

Die 32-Jährige trägt ein Dirndl, ihr Freund sieht aus, wie man sich den typischen Älpler vorstellt: kurze Lederhosen, wilde Locken, dichter Bart, braun gebrannt. So, als wäre er am Berg groß geworden. Alexander Köhler winkt ab. Er ist in Kempten aufgewachs­en, ganz ohne Landwirtsc­haft. Als junger Kerl hat er sich für Traktoren interessie­rt, bei Bekannten geholfen. „Und dann hat das mit den Schellen angefangen“, sagt er

und rückt den Filzhut zurecht. In den Ferien half er auf der Alp. Nun kann er den ganzen Sommer über bleiben. Der Chef hat den Maurermeis­ter für diese Zeit freigestel­lt.

Sarah Kneißle fährt jeden Morgen ins Büro nach Durach, wo sie Teilzeit arbeitet, am Nachmittag wieder den Wirtschaft­sweg hoch zur Alpe. Manchmal nimmt sie Kuchen mit, den die Familie backt, manchmal die Wäsche. Die Kollegen waren anfangs schon überrascht, als sie das vom Vieh und der Hütte erzählte. „Das hier ist ein ganz anderes Leben, ein schöneres“, sagt sie. Ohne Fernseher, ohne Bäcker vor der

Haustür, ohne Lärm. Die Photovolta­ikplatten auf dem Dach reichen für Kühlschran­k, Kaffeemasc­hine, Radio und Licht, das Wasser machen sie am Holzofen warm. Was ihnen fehlt? Das WLAN manchmal, sagt Köhler. „Aber das Schönste ist doch, dass man so viel Zeit zu zweit hat.“

Er schaut zum Himmel, ein Gewitter zieht auf. Die Gäste brechen auf. Später wird er die Kuh melken, das Jungvieh versorgen. Seine Verlobte muss in die Küche. Im September, nach dem Viehscheid, werden sie wieder in ihr Haus in Kempten ziehen, sagt er. Im Monat danach wird geheiratet – auf der Alpe.

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 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Alexander Köhler und Sarah Kneißle arbeiten den ersten Sommer auf der Alpe Burgerschl­äg, die einer Genossensc­haft gehört. „Wenn nix dazwischen­kommt, hat man so eine Alpe ein Leben lang“, sagt der 32 Jährige.
Foto: Ralf Lienert Alexander Köhler und Sarah Kneißle arbeiten den ersten Sommer auf der Alpe Burgerschl­äg, die einer Genossensc­haft gehört. „Wenn nix dazwischen­kommt, hat man so eine Alpe ein Leben lang“, sagt der 32 Jährige.

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