Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Er ist das Gesicht der Opposition
Interview Volker Schafitel sitzt für die Freien Wähler im Stadtrat. Er greift ein, wenn er glaubt, dass Bürger sich nicht gehört fühlen – so wie bei den Baumfällungen im Herrenbach. Was ihn antreibt und warum er nicht mehr kandidiert
Herr Schafitel, derzeit lassen Sie von Anwälten eine mögliche Klage vor dem Verwaltungsgericht wegen den Baumfällungen am Herrenbach prüfen. Warum dieser drastische Schritt?
Volker Schafitel: Wenn ich von Umweltreferent Reiner Erben höre, dass die Baumfällungen am Herrenbach vielleicht erst der Anfang sind, mache ich mir Sorgen um die anderen Kanäle. Das sind alles hochwertige Naherholungsgebiete. Ich bin in Augsburg geboren. Es gibt so viele charmante Ecken. Ich will nicht, dass die Werte, die wir hier haben, alternativlos zerstört werden.
Sie sind für manche ein unbequemer Stadtrat, weil Sie oft Entscheidungen hinterfragen oder anzweifeln. Üben Sie Kritik um der Kritik willen? Schafitel: Nein, Opposition setzt generell voraus, dass man sich mit Themen auseinandersetzt. Ich arbeite mich in diese ein, um gegebenenfalls entgegenhalten zu können. Schließlich ist die Referentenriege weit im Voraus über Sachverhalte informiert. Diesen Vorsprung will ich aufholen. Einfach nur so Opposition betreiben, geht nicht. Ich checke erst alle Positionen ab, um zu wissen, ob und welche besseren Möglichkeiten es gibt.
So wie bei den umstrittenen Baumfällungen am Herrenbach?
Schafitel: Es ist ja nicht so, dass ich mich immer vordränge. Aber Umweltreferent Reiner Erben trug das Thema am 17. Mai im Stadtrat das erste Mal vor. Da hieß es, dass die Fällungen erst im Herbst beginnen. Ich ging davon aus, noch genügend Zeit zu haben, mich mit der Abholzung auseinanderzusetzen. Drei Tage später kam der Schnellschuss und die Fällungen sollten noch im Mai beginnen. Mir blieb wenig Zeit, mir die nötigen Unterlagen zu beschaffen. Obwohl ich diese umgehend angefordert habe, wurden sie mir bis heute nicht zugestellt.
Wie lautet Ihr Vorschlag, um den Hochwasserschutz an den Kanälen zu gewährleisten?
Schafitel: Man kann die Kanäle sanieren und die Bäume erhalten. Aber mit der umfangreichen Fällung der Bäume will die Stadt die Kosten dafür sparen. Es ist eine billige Lösung ohne Weitblick für Bürger und Natur.
Erfahren Sie Rückhalt in der Ausschussgemeinschaft bezüglich Ihrer angestrebten Klage?
Schafitel: Die Kollegen haben Bedenken. Manche fürchten, man könne sich eine Gegenklage wegen Rufschädigung einhandeln. Aber ich lasse das alles gerade prüfen.
Stehen die Kollegen von ÖDP, Linke und Polit-WG generell hinter Ihnen? Schafitel: Das machen sie schon. Aber ich kann nicht immer auf alle warten. Wenn es mir zu langsam geht, presche ich vor. Vermutlich arbeite ich mich in manche Themen intensiver ein.
Wann geraten Sie in Fahrt? Schafitel: Wenn es um Stadtentwicklung geht. Das liegt an meinem Beruf als Architekt. Aktiv werde ich vor allem, wenn ich merke, dass ein Thema die Bürger bewegt und sie sich nicht gehört fühlen.
Wie bekommen Sie das mit? Schafitel: Ich beobachte viel, rede mit den Menschen. Ich erhalte viele Mails. Aber die Bürgerschicht, die um ihre Stadt kämpft, wird dünner. Es gibt immer weniger Alteingesessene und die neuen Bewohner können sich vielleicht noch nicht so mit Augsburg identifizieren.
Spiegelt sich die gesellschaftliche Veränderung im Augsburger Stadtrat wider?
Schafitel: Zumindest ist er anders besetzt als früher. In der Stadt gibt es inzwischen weniger eigentumsgeführte Geschäfte. Früher aber saßen genau diese Ladeninhaber im Stadtrat. Ich glaube, sie hatten mehr Leidenschaft für Augsburg, waren näher dran an den Menschen.
Arbeitet der Stadtrat am Bürger vorbei?
Schafitel: Ich will nicht despektierlich sein. Jeder engagiert sich. Aber manchmal fehlt unserem Stadtrat der Weitblick und die Möglichkeit, sich persönlich einzubringen. Es sind zu wenig Menschen dabei, die die Stadt und ihre Entwicklung im Fokus haben. Da wird zu oft hingenommen, was der Oberbürgermeister oder die Verwaltung vorgeben.
Warum sind Sie mit der Stadtregierung unzufrieden?
Schafitel: Wie in der Bundespolitik gibt es keine richtige schwarze, rote oder grüne Partei mehr. Es ist nur noch ein Mischmasch. Wenn ich sehe, dass Reiner Erben als Grüner und als Umweltreferent für die Abholzung plädiert, kann keiner mehr Vertrauen in diese Partei haben.
Was halten Sie von der Arbeit des Oberbürgermeisters? Schafitel: Herr Gribl ist ein souveräner Vorsitzender im Stadtrat, aber er ist zu sehr Verwaltungsjurist. Er hinterfragt nicht, sondern holt sich lieber Gutachten ein. Er ist zu weit weg vom Bürger. Im Fall Herrenbach hat er nur seinen Sprecher geschickt. Das ist kein Stil. Er hätte sich selbst hinstellen und den Menschen zuhören müssen.
Sie sind seit 2014 im Stadtrat. Mag man Sie dort überhaupt?
Schafitel: Anfangs spürte ich viel Ablehnung. Das lag vielleicht daran, dass ich mich erst einfinden musste – und weil ich aus der CSU ausgetreten war. Möglicherweise trat ich anfangs auch zu aggressiv auf und driftete zu sehr in Sarkasmus ab.
Das hört sich an, als ob Sie dazugelernt hätten ...
Schafitel: Ich bin souveräner geworden, finde mich mit Mehrheitsentscheidungen ab. Mit Streitereien kann man eben nichts erreichen. Inzwischen erfahre ich mehr Respekt. Ich begründe meine Einwände schließlich immer. Ich stelle mich nur gegen etwas, wenn ich einen besseren Vorschlag parat habe. Manche Stadträte sagen mir, dass sie gerne mitziehen würden, sie aber fraktionsgebunden sind. Das ist bedauerlich.
Sind Sie als Privatmensch auch so kritisch?
Schafitel: Ich bin nicht mehr bereit, viele Kompromisse einzugehen, insofern bin ich vielleicht kritisch. Ich mache das, was ich denke. Das ist der Vorteil, wenn man ein gewisses Alter hat. Für mein Umfeld ist das nicht immer einfach. Aber wenn ich im Privaten das Wort Kompromiss höre, dann wird mir ganz komisch zumute.
Werden Sie denn bei der nächsten Kommunalwahl in zwei Jahren erneut antreten?
Schafitel: Nein, ich möchte nicht mehr. Ich bin dann 67 Jahre alt. Ich bin kein Bernd Kränzle, der daran Spaß hat, mit 75 noch im Stadtrat zu sitzen. Politik sollen die Jüngeren machen. Ich müsste mich ja noch mal sechs Jahre reinknien. Die Kampfbereitschaft kostet Kraft – und ich merke, wie sie nachlässt. Zudem will ich mich stärker um meinen Beruf als Architekt kümmern.
Was nehmen Sie sich für die letzten beiden Jahre als Stadtrat vor? Schafitel: Ich nutze die Zeit, um Bürgerinitiativen zu zeigen, wie Oppositionsarbeit geht. Die meisten
„Man kann Kanäle sanieren und die Bäume erhalten.“
wollen nicht in eine Partei. Deshalb fände ich es toll, wenn Bürger einen eigenen Bürgerblock für den Stadtrat aufbauen würden. Und zwar so, dass sie sich verpflichten, keine Koalition einzugehen. Denn Koalitionen sind tödlich.
„Herr Gribl hinterfragt nicht, er holt lieber Gutachten ein.“
Spüren Sie bei Augsburgern dafür eine Bereitschaft?
Schafitel: Momentan hat sich durch die Fällungen im Herrenbach ein Netzwerk entwickelt. Auch im Thelottviertel regen sich viele wegen der Linie 5 auf. Bei der Stempflesee-Sanierung vor ein paar Jahren sind auch Bürger auf die Barrikaden gegangen. Ich sehe Potenzial, dass die sich zusammenschließen.
Dass der Sanierung am Stempflesee damals keine Bäume zum Opfer fielen, war Ihr Erfolg ...
Schafitel: ... und der Erfolg engagierter Bürger. Auch damals sah man mich als ein Widersacher, wie jetzt im Herrenbach. Dabei hatte ich nur einen anderen Vorschlag gemacht. Und es zeigte sich, dass es ging. Interview: Ina Kresse
Volker Schafitel, 65, ist gebürtiger Augsburger und Architekt. Seit 2014 sitzt er für die Freien Wähler im Stadtrat. Neben Arbeit und Politik fährt er gerne auf seiner Harley Da vidson oder spielt Saxofon.