Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schöpfen und Schleppen für sicheres Wasser
Lebensmittel Fast 7000 Dinkelscherber müssen abkochen. Nicht jeder hält sich daran. Aber gerade in Gastronomie, Kindergarten und Seniorenheim führt kein Weg daran vorbei. Dort haben die Menschen kreative Lösungen gefunden
Wie Menschen im Kindergarten, im Seniorenheim, in der Gaststätte und zu Hause mit dem Abkochgebot umgehen.
Dinkelscherben Im Kindergarten Oberschöneberg blubbert zurzeit jeden Morgen ein großer Suppentopf. Die Erzieherinnen bereiten aber nicht das Mittagsessen vor; sie kochen den Wasservorrat für den Tag. Denn seit Mitte Mai muss im Netz der Oberschöneberger Wassergruppe das Leitungswasser abgekocht werden – das ist für Einrichtungen wie den Kindergarten St. Ulrich eine Herausforderung. „Wir haben die doppelten Getränkeausgaben wie sonst“, sagt Renate Rieger-Kast, die die Kita mit gut 40 Kindern leitet. Denn das abgekochte Wasser aus dem Suppentopf reicht bei Weitem nicht, deshalb kaufen die Betreuerinnen zusätzlich stilles Mineralwasser. „Wasser muss bei uns immer griffbereit sein, gerade jetzt im Sommer“, erklärt die Erzieherin. Ihre Kollegin, die von außerhalb kommt, bringt deshalb regelmäßig einen großen Campingkanister voll Leitungswasser von zu Hause mit, einmal pro Woche liefert der Getränkewagen Nachschub. Und wenn das Wasser ausgeht, dann fährt eine Kollegin in der Mittagspause zum Supermarkt.
Dort laden zurzeit auffällig viele Menschen große Wassermengen in ihre Autos ein. Meta Höck stapelt bei Lidl gerade mehrere Mineralwasser-Packs in den Kofferraum. Das liegt aber nicht am Abkochgebot, betont sie: „Wir sind gerade erst aus dem Türkei-Urlaub zurückgekommen, da sind alle unsere Vorräte leer.“Über den Wirbel ums Wasser hat sie ihr Sohn schon während des Urlaubs informiert. Aber beeindrucken lassen will sie sich davon nicht. „Wir kochen nicht ab“, sagt sie bestimmt. Vor dem Leitungswasser habe sie keine Angst. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein, das weiß sie. „Vor der Chlorung, die nächste Woche beginnt, gruselt es mich viel mehr.“
Gertraud Proxauf dagegen will auf Nummer sicher gehen. Sie kauft zurzeit jeden Tag einen Sechserpack Wasser. Gerade lädt sie auf dem Netto-Parkplatz wieder einen in ihr Auto. „Da merkt man erst mal, für was man alles Wasser braucht“, sagt sie – egal ob zum Kaffeemachen, Zähneputzen oder Spaghettikochen. Meist nimmt sie dafür Mineralwasser, besonders für das viele Obst, das sie so gerne isst. „Mit dem Topf dauert das Abkochen ja ewig.“Deshalb hat sie sich jetzt auch zum ersten Mal einen Wasserkocher gekauft. „Man weiß ja nicht, wie lange das alles noch so weiter geht.“
Während Privatleute auf eigene Gefahr selbst entscheiden können, wie sie mit dem Wasser umgehen, ist das in Geschäften und öffentlichen Einrichtungen freilich anders. Anna Knöpfle vom Deutschen Haus erzählt, welchen Mehraufwand sie in der Gaststätte hat. Die Gläserspüle zum Beispiel kann sie derzeit nicht verwenden: Das Wasser dafür kommt direkt aus der Leitung. Für diese und andere Fälle braucht sie jetzt Alternativen. Fürs Gemüsewaschen kocht sie Wasser mit dem Wasserkocher ab, für Kaffee verwendet sie Tafelwasser. „Aber im Sommer bestellen ja sowieso nicht so viele Gäste heiße Getränke.“
Abgekocht wird auch im Schullandheim – in der Küche, für die Getränke der Gäste und zum Zähneputzen. In den Waschräumen stehen dafür Pumpkannen mit abgekochtem Wasser bereit. Zwei Wochen vor der Anreise weise man die Gruppen auf die besondere Lage hin, heißt es aus dem Landratsamt. „Es gab bisher keine negativen Reaktionen, die Gäste kommen wie angemeldet.“
Eine große Herausforderung ist das Wasserproblem für das Seniorenheim. „Wir brauchen ja allein schon riesige Mengen, um Nudeln abzuschrecken und Salat zu waschen“, sagt Ulrich Hörwick. Er ist der Vorsitzende des Verwaltungsausschusses der Hospitalstiftung. In der Küche des Seniorenheims wird nicht nur mehrmals täglich für die etwa 75 Bewohner gekocht, sie beliefert auch
Kindergärten und Schulen. Hörwick betont, dass das Heim eine besondere Sorgfaltspflicht hat: „Bei uns leben immunschwache und gesundheitlich eingeschränkte Menschen, die Keime nicht mehr so gut verdauen.“Vorsicht geboten ist nicht nur beim Zähneputzen, sondern auch beim Waschen von Haaren und Gesicht sowie bei offenen Wunden. Zunächst hat es die Hospitalstiftung mit Abkochen und Flaschenkaufen versucht –
das war allerdings ein großer personeller und finanzieller Aufwand. Jetzt hat Hörwick eine „kreative Lösung“gefunden: Die Brauerei Schwarzbräu aus Zusmarshausen hat 100 Fässer à 50 Liter Tafelwasser gespendet und geliefert. „Jetzt haben wir 5000 Liter sauberes Wasser mit passender Zapfanlage im Haus, das reicht erst mal“, sagt Hörwick und betont: „Wir halten uns strikt an die Anordnung des Gesundheitsamts.
Wir müssen absolut auf der sicheren Seite sein.“
Auch die Buben und Mädchen aus dem Kindergarten Oberschöneberg werden weiterhin kein Leitungswasser trinken, selbst wenn das Wasser gechlort und unbedenklich sein wird. „Die Kinder schmecken das sofort“, sagt Renate Rieger-Kast. Sie will deshalb auch künftig Mineralwasser kaufen. Und die Zähne werden in der Kita vorübergehend nicht geputzt.