Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vom Pechvogel zum Hoffnungst­räger

Personalie Marco Reus fiel immer wieder mit Verletzung­en aus. Jetzt ist er gesund und soll im Spiel gegen Schweden den Unterschie­d ausmachen. Seinen Platz in der Startelf hat er so gut wie sicher

- VON TILMANN MEHL

Sotschi Es ist ein bekanntes Phänomen der jüngeren deutschen Fußballges­chichte. Ausgerechn­et die Talentiert­esten ihrer Zeit können sich nicht auf ihren Körper verlassen. Sind sie am Ball, zeigt sich die Magie des Spiels. Streikende Fasern und reißende Muskeln aber verhindern dauerhafte Zauberei. Mehmet Scholl und Sebastian Deisler hatten das Potenzial, Aufnahme in den Kreis der Besten zu erfahren. Körper und Geist aber waren den Belastunge­n des Hochleistu­ngssports nur in Etappen gewachsen. Beiden war es verwehrt, ihre Könnerscha­ft dem Weltpublik­um zu zeigen.

Nun also Marco Reus. Schnell, technisch versiert, kombinatio­nssicher, abschlusss­tark – ein Paket, das Spieler normalerwe­ise zu europäisch­en Top-Vereinen führt. Marco Reus aber spielt für Borussia Dortmund. Weil er sich dort wohlfühlt und weil Real, Barcelona und Manchester sich nie trauten, mit der letzten Intensität um ihn zu werben.

Reus ist mittlerwei­le 29 Jahre alt. Für ihn notiert sind bislang eine EM-Partie und ein 30-minütiger Einsatz im ersten deutschen Spiel dieser Weltmeiste­rschaft gegen Mexiko. Er darf sich nur nicht amtierende­r Weltmeiste­r nennen, weil er sich im letzten Testspiel vor der Abreise nach Brasilien die Syndesmose riss. Zwei Jahre später sollte er zum Star der EM werden, musste die Mannschaft aber kurz vor dem Turnier in Frankreich wegen einer Schambeinr­eizung verlassen. Sein einziger Titel bislang: deutscher Pokalsiege­r 2017. Dem gegenüber stehen drei verlorene Endspiele, drei Vizemeiste­rschaften und das verlorene Champions-League-Finale 2013 gegen den FC Bayern.

Und nun liegen die Hoffnungen deutscher Fans auf ihm. Er soll die deutsche Mannschaft vor dem Vorrunden-Aus dieser Weltmeiste­rschaft bewahren. Bisher tat er sich oft schwer, die Erwartungs­haltung zu bestätigen. Reus muss sich wohlfühlen, um Außergewöh­nliches zu leisten. Er tat das beispielsw­eise unter Jürgen Klopp in Dortmund. In der abgelaufen­en Saison zwang ihn ein Kreuzbandr­iss in der Vorrunde zum Zuschauen. Er sah ein planloses Team, das Gefahr lief, die Qualifikat­ion zur Champions League zu verspielen.

Reus kehrte zurück – und schien gereift. Eine unstruktur­iert auftretend­e Mannschaft konnte einzig auf den 29-Jährigen aufbauen. Sieben Tore in elf Spielen sind eine Bilanz, die dem BVB letztlich doch die Champions-League-Teilnahme sicherte und ihm einen Platz im WMKader.

Joachim Löw erklärte ihm bereits vor dem Turnier, dass er auf ihn setzt. Nicht schon im ersten Spiel. Er solle sorgsam aufgebaut werden. Nun aber ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Löw den Spieler mit den wohl außergewöh­nlichsten Fähigkeite­n seines Kaders von Beginn an einsetzt. Es gilt als sicher, dass Reus gegen Schweden am Samstag (20 Uhr, ARD) in der Startelf steht. Wo er auflaufen wird, ist allerdings nicht klar. „Auf welcher Position ist mir eigentlich egal. Das hängt auch vom Gegner ab“, sagte er dazu auf der Pressekonf­erenz des DFB am Mittwoch.

Reus redet nicht gerne in der Öffentlich­keit. Aussagekrä­ftiges steht später selten im Notizblock, wenn er Medienterm­ine wahrnimmt. Sein Spiel allerdings hat so gar nichts Vorgestanz­tes.

Nach seiner Einwechslu­ng gegen Mexiko nahm sogar diese wenig erbauliche Partie beinahe noch ein versöhnlic­hes Ende für das deutsche Team. Gegen Schweden hat er nun mehr Zeit, seine Fähigkeite­n zu zeigen.

Weil Real, Barcelona und Manchester nie mit letzter Intensität um ihn warben.

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Foto: dpa Hat seinen Platz gegen Schweden so gut wie sicher: Marco Reus.

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