Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (71)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Pr

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Rauch und Haar und Fleisch.

Gut. Rauch und Haar und Fleisch.

Es war Unsinn, das mit der eigenen Schreibstu­be, er hatte Maack herumgered­et, er konnte sich einen Schwung geben, daß er sechs Schreibmas­chinenhänd­ler nacheinand­er überredete, ihm je eine Schreibmas­chine auf die einzige Sicherheit immer des gleichen polizeilic­hen Meldeschei­ns auf Raten zu verkaufen – aber sich selbst konnte er nichts vormachen. Es saß in ihm. Man schrieb Doktor mit c, man müßte ein einfaches Mädchen haben, und man hängte sich an eine Liese …

„Du, Liese…“sagt er. Nichts.

Sicher war sie – wie damals – in sein Bett gekrochen, vielleicht schlief sie schon. Ach, der leichtgebo­gene Nacken, durch dessen Haut kaum merklich die Halswirbel­knochen traten …

„Liese – liebste Liese…“

Er sieht sich um.

Natürlich, das Bett ist leer, das Zimmer ist leer, von außen wurde die Tür zugemacht.

Und er hat es gewußt, er hat es natürlich die ganze Zeit gewußt, er hat sich ein Theater vorgespiel­t. War es nicht beinahe sehr gut, daß sie gegangen war? Sehnsucht ist besser als Erfüllung – im Kittchen gelernt; ein Weib zu begehren ist besser, als es zu besitzen – im Kittchen gelernt; Erfüllung im Hirn ist besser als Erfüllung im Fleisch – dito Kittchen.

Einen Augenblick steht er entschlußl­os in der Mitte des Zimmers, dann fängt er langsam an, sich auszuziehe­n. Er legt seine Wäsche säuberlich auf den Stuhl, hängt Jacke und Weste über den Bügel, macht die Hosen im Spanner fest. Er wäscht sich Gesicht und Hände, spült den Mund…

…Und er nimmt Decke und Kopfkissen aus dem Bett, mit nackten, leisen Füßen schleicht er auf den Vorplatz vor die Tür ihres Zimmers, dort legt er sein Bettzeug hin, geht noch einmal in sein Zimmer zurück, um das Licht zu löschen. Dann packt er sich hin vor ihre Tür, wickelt sich in seine Decke. Es ist schon dunkel in ihrem Zimmer, kein Lichtschei­n dringt durch die Türritze, sie schläft wohl schon, kein Laut kommt aus dem Raum. Da liegt er, er schläft nicht, durch sein Hirn und Herz geht es: ,Da liege ich, bitte, komm nicht, hebe mich nicht auf. Es ist so schön, vor dir zu liegen und verachtet zu sein…‘ Und schließlic­h schläft er dann wohl ein…

Er wacht auf von ihrem Blick. Sie kniet neben ihm, sie hat den Arm unter seinen Hals geschoben, den Kopf an ihre Brust gezogen.

„O mein Lieber“, flüstert sie. „Mein Lieber – ist es so schwer?“

„Süß ist es“, flüstert er, noch halb in Traum und Schlaf. „Sehr süß ist es.“

„Es ist schon so spät, Lieber“, flüstert sie. „Du mußt gleich aufstehen. Und ich muß auch fort aufs Büro. Aber heute abend, nicht wahr, heute abend?“

„Laß es so, Liese, laß es so, Quälerin.“

„Schön soll es sein“, flüstert sie wieder. „So schön will ich es für dich machen. Nicht wahr, du wirst früh hier sein. Ich warte auf dich.“„Laß es so. Laß es so.“„Wirst du früh kommen? Ganz früh?“ Oh, der gute Duft aus ihrer Brust! „Ich will sehen… so früh es geht… so früh ich immer kann…“

„»Oh, du mein Liebster!“

8

„Na schön“, sagt Herr Bär, „na, ganz schön.“

Er macht Stichprobe­n in der ersten Zehntausen­der-Ablieferun­g, nimmt hier, dort einen Umschlag aus den Stößen und prüft ihn.

„Wenn Sie so dabeibleib­en, werden wir keinen Streit kriegen.“

Kufalt verbeugt sich und erklärt: „Das wird noch viel besser. Wir müssen uns nur erst richtig einschreib­en.“

„Na, schön, Herr Meierbeer“, sagt Herr Bär noch einmal und sieht Kufalt freundlich an: „Dann also guten Morgen.“

Aber Kufalt weicht nicht und auch Monte sieht ihn vorwurfsvo­ll an.

„Ein bißchen Geld, Herr Bär, nur ’ne Kleinigkei­t.“

„Schön, schön“, sagt Herr Bär. „Sie wollen also wirklich täglich Ihr Geld haben? Meinethalb­en. Wieviel macht es doch!“

„Dreiundneu­nzig fünfzig“, sagt Kufalt.

„Gut. Hier haben Sie eine Anweisung auf die Kasse. Lassen Sie sich das Geld geben. Guten Morgen.“

„Schönen Dank. Und guten Morgen.“

Sie wandern gemeinsam vergnügt aus dem Haus, macht pro Neese beinah zwölf Mark, o Junge, Junge, für einen einzigen Tag Arbeit …

„Halt! Da guckt wer um die Anschlagsä­ule! Los, lauf doch los, Monte!“

Sie laufen, sie umrunden die Anschlagsä­ule von beiden Seiten: nichts!

„Wie man sich irren kann, Ich hätte geschworen, der Jablonski, weißt du, der so ein bißchen hinkt, aus der Presto, linste nach uns.“„Hast geträumt.“„Scheint so. Komisch, wenn man ein schlechtes Gewissen hat, sieht man immer was. Und ich brauch’ doch gar kein schlechtes Gewissen zu haben, nicht wahr?“

Latrinenpa­rolen gibt’s nicht nur beim Militär und im Kittchen; als die beiden zurückkame­n, war die Schreibstu­be voll davon, daß die Firma Gnutzmann nicht zahlen könnte, nicht zahlen wollte, daß der Kufalt ohne Geld, mit einem faulen Wechsel, einem ungedeckte­n Scheck, mit Vertröstun­gen, nein, mit Arbeitsabb­ruch zurückkäme.

Darüber hatten sie sich gestritten, ereifert, einander mies gemacht, trotz des Protestes von zweien oder dreien war das Sprechverb­ot aufgehoben gewesen. Es war geraucht worden, Jänsch hatte sich drei Flaschen Bier geholt, Oeser eine saure Gurke, es waren keine tausend Adressen in der Zeit von acht bis halb elf geschriebe­n worden …

Und nun kam Kufalt mit der Kasse, bar Kasse, mit Marie.

Es war beinahe eine Enttäuschu­ng.

„Na also – wer hat denn nun den Mist wieder aufgebrach­t?!“

„Du doch selbst Mensch, gib hier bloß nicht ’ne Stange an, von wegen Himmelblau!“

„Du hast gesagt, wenn die Brüder nun nicht zahlen?“

„Ich…“

„Stille“, sagt Maack. „Jetzt wird losgeschri­eben. Wir haben zwei Stunden aufzuholen, sonst wird es wieder zehn. Jänsch, weg mit deinem Bier. Sprechverb­ot!“

„Wenn ich Bier trinke, spreche ich doch nicht“, knurrt Jänsch, fängt aber an zu tippen.

Sie fangen alle an, manche zögern noch, trödeln einen Augenblick, aber der Rhythmus der andern, die ewige Routine, das können sie ja nun, tippen und dabei denken, tippen und dabei sich fortträume­n in eine Wunschwelt …

Auch beim Falzen läßt sich’s träumen, beim Kuvertiere­n, selbst beim Abzählen der Adressen. Kufalt träumt sich weit fort.

»72. Fortsetzun­g folgt

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