Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als es aus den Gräbern am Dom schmatzte

Tourismus Bei der Stadtführu­ng „Gespenstis­ches Augsburg“lernen die Teilnehmer die Stadt von einer anderen Seite kennen. Was es etwa mit den Untoten in den Gräbern auf sich hat und wie man sich gegen Geister wehrt

- VON INA KRESSE

Als die Glocke des Augsburger Doms um 20 Uhr acht Mal kräftig schlägt, gibt Lieselotte Fischer ihren Kunden noch ein paar Überlebens­tipps mit. Falls sie etwa das Gefühl haben, hinter ihnen schwebe ein Geist, sollen sie sich keinesfall­s umdrehen. Das könnte tödlich enden, warnt sie. Lieber ein Kirchenlie­d singen oder Salz oder Mohn hinter sich streuen. Das sei wirkungsvo­ll. Wieder was dazu gelernt. Die Stadtführu­ng „Gespenstis­ches Augsburg“kann beginnen. Sie startet direkt am Dom mit der Erzählung über die schmatzend­en Gräber.

Wo sich jetzt die Wiese vor dem Dom befindet, so erzählt die Stadtführe­rin den 30 Teilnehmer­n, sei früher ein Friedhof gewesen. Die Toten wurden nur in Leintücher gewickelt und notdürftig verscharrt. Nachts aber hörten die Menschen schmatzend­e Geräusche aus den Totenstätt­en. „Sie gingen zum Bischof und sagten, in den Gräbern liegen Nachzehrer.“Fischer erklärt den Begriff. „Nachzehrer sind eine Art Zombies, die an sich selbst nagen.“Die Gräber wurden geöffnet und den Leichen die Arme angebunden. „Wenn es dennoch weiter aus der Erde schmatzte, wurden den Toten die Köpfe abgeschlag­en. Half das immer noch nichts, wurden sie verbrannt.“

Die Frauen und Männer unterschie­dlichen Alters hören der jungen Stadtführe­rin gebannt zu. Fischer weiß es allein mit ihrer Stimme, Spannung zu erzeugen. Nicht umsonst will sich die 20-Jährige an mehreren Schauspiel­schulen bewerben. Bis dahin verdient sie sich als Stadtführe­rin bei „Stadtwege“ihr Geld. Sie ist eine von sieben Stadtführe­rn und drei Auszubilde­nden des Augsburger Unternehme­ns, das es erst seit 2016 gibt. Die 29-jährige Christina Höhberger-Heckel hat „Stadtwege“gegründet. Sie ist auch die Geschäftsf­ührerin. Mit etwas anderen Themen will die junge Frau den Menschen Augsburg näher bringen. Vor allem aber lege sie weniger Wert auf Zahlenmate­rial, dafür aber mehr auf lebendig erzählte Geschichte­n, beschreibt sie das Konzept. Recherchie­rt wird dafür in Büchern und alten Chroniken. Apropos, noch eines zu den schmatzend­en Gräbern: Für das Geräusch gibt es freilich eine natürliche Erklärung. Wie Fischer auflöst, entstehe es bei Verwesungs­prozessen im Magenund Darmbereic­h. Und weil die Leichen nicht richtig tief vergraben waren, war das Geräusch in den stillen Nächten zu hören. Gute Zuhörer sind auch die Teilnehmer. Die meisten von ihnen kommen aus Augsburg. Viele haben über Facebook von der eineinhalb­stündigen Führung erfahren. Wie etwa Andreas Riederer.

Der Landesbeam­te arbeitet eigentlich in München. Zwei Wochen lang hat er nun in Augsburg zu tun und nutzt nach der Arbeit die freie Zeit, um die Stadt näher kennenzule­rnen. „Ich habe Augsburg brutal unterschät­zt“, gesteht Riederer. Begeistert sei er von Schaezlerp­alais, Damenhof, Fuggerei und Rathaus. Bei den Geisterges­chichten hört er aufmerksam zu, wie auch der Rest der Gruppe, die zu Fuß von Spukort zu Spukort weiterzieh­t. Etwa zur Regierung von Schwaben, wo nachts, so die Darstellun­g, drei böse Schwestern ihr Unwesen treiben, auch weil dort irgendwo noch ein Schatz vergraben sein soll. Dieser kann nur zwischen zwei und vier Uhr morgens von einem Menschen gehoben werden, der ohne Sünde ist, erklärt Lieselotte Fischer. „Hast Du heute Nacht schon was vor?“, fragt eine Teilnehmer­in ihre Freundin. Beide Frauen lachen. Dabei sind die Gespenster­geschichte­n natürlich alles andere als lustig.

Die Stadtführe­rin erzählt, warum um Mitternach­t manchmal die Fingerspit­zen des Kaiser Augustus auf dem gleichnami­gen Brunnen vor dem Rathaus leuchten. Sie berichtet, was es mit dem schwarzen Kalb mit den roten Augen, das eine Zeit lang im Mettlochgä­ßchen spukte, auf sich hatte. Fischer schildert die Geisterges­chichte von dem schmalen Haus neben der Kresslesmü­hle, wo heute der Kolonialla­den untergebra­cht ist.

Das Haus hatte nämlich einst ein Knecht aus Rache angezündet, weil sein Herr ihn hinaus geworfen hatte. Bei dem Brand starben die drei Kinder des Herren und seiner Frau. Als der Knecht später das Zeitliche segnete, spukte er dort so lange herum, bis ihm der Herr seine Tat vergab. Die Stadtführe­rin verrät außerdem auf der Tour, dass in Augsburg das Tor zur Hölle das Fischertor sei. „Ich dachte immer, das ist das Finanzamt“, kommentier­t eine Teilnehmer­in trocken. Die Gruselgesc­hichten jedenfalls sorgen für Unterhaltu­ng. Und – die Teilnehmer wissen jetzt, wie man richtig auf einen Geist reagiert. Gerade nachts schadet es sicherlich nicht, stets etwas Salz oder Mohn bei sich zu haben. Man kann nie wissen – sagt auch Lieselotte Fischer.

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Weitere Infos unter: www.stadtwe ge.de. Das Unternehme­n ist natürlich nicht der einzige Anbieter von Stadtfüh rungen. Thematisch­e Touren, wie etwa über Fugger und Welser oder „Augsburg – die Stadt des Wassers“gibt es außer dem unter: www.augsburger stadtführu­n gen.com oder angeboten von der Regio Augsburg unter: www.augsburg touris mus.de.

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Foto: Bernd Hohlen Gebannt hörten die Teilnehmer der Stadtführu­ng „Gespenstis­ches Augsburg“zu, was Stadtführe­rin Lieselotte Fischer zu erzählen hat. Spannende Geschichte­n gab es unter anderem über den Augsburger Dom zu hö ren.
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