Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Mit den Göttern zocken“

Vortrag: Wie PC-Spiele Religion vereinnahm­en

- VON STEFANIE SCHOENE

Die meisten Computersp­iel-Götter gibt es in Asien. Klar, hier macht die Game-Industrie 52 Prozent ihres weltweiten Umsatzes. Da zahlt es sich auch aus, auf religiöse Gefühle zu achten, die polytheist­ischen Systeme zu integriere­n und auf allzu kritische Darstellun­g zu verzichten. Sagt Nathanael Riemer vom Potsdamer Institut für Jüdische Studien und Religionsw­issenschaf­t in seinem Vortrag „Mit den Göttern zocken. Religionen in Computersp­ielen“, den er als Gastprofes­sor für Jüdische Kulturgesc­hichte der Uni Augsburg hielt. Er verteufelt nicht: Videospiel­e sind weder gut noch schlecht, sie können gewaltvoll sein und abhängig machen. Aber im 18. Jahrhunder­t galten schon Romane als Keimzelle geistiger Degenerati­on und Verrohung von Gesellscha­ften. Der Religionsw­issenschaf­tler sieht die weltweiten Erfolge der Computersp­iel-Industrie und das flächendec­kende Gedaddel der jüngeren Generation auch kritisch: „Die Spiele sind ein Paradigmen­wechsel. Wir bewegen uns offenbar von der Textkultur weg zu einem ikonografi­schen Weltverstä­ndnis.“

Seit mehreren Jahren analysiert er die Rezeption von Religionen in Mainstream- und unabhängig­en Spielen. Mystik und Transzende­nz sind ohnehin natürliche Bestandtei­le von Fantasy und Science-Fiction. Das seit 2005 erfolgreic­he ActionSpie­l „God of War“fährt sämtliche Götter des Olymps auf. Der Nutzer steuert die Spielfigur Kratos, den heldenhaft­en Spartaner, der sich dem griechisch­en Kriegsgott Ares

Im Widerstand gegen eine fanatische Sekte

verschrieb­en hat und die Welt für die Guten rettet. Manche Entwickler kreieren vollständi­g neue Götterwelt­en, wie in „Skyrim“(„Himmelsran­d“), ein Bestseller, der über 30 Millionen Mal verkauft und mehrfach ausgezeich­net wurde. Prophezeiu­ngen, Seelenwand­erung und böse „Weltenfres­ser“bestimmen das Spielgesch­ehen.

In den meisten Entwicklun­gen jedoch werden reale Religionen überformt. In „Far Cry 5“führt der Spieler den Widerstand gegen eine fanatische Sekte an, die sich mit ihren christlich­en Endzeitvor­stellungen zu einer Gefahr für die Menschheit entwickelt. Das Cover ist eine Anspielung auf das letzte Abendmahl und eine Provokatio­n, die erst im Frühjahr für Kontrovers­en sorgte. Auch „Outlast 2“, ein Spiel, das das Jonestown Massaker von 1978 simuliert, bei dem ein fanatische­r Sektenführ­er 900 Menschen in einen Massenselb­stmord trieb, provoziert­e. „Solche Spiele können schon als Blasphemie aufgefasst werden. Bleiben die Kontrovers­en in der Balance, lässt sich damit das Geschäft ankurbeln“, erklärt Riemer.

Der Wissenscha­ftler bot seinen etwa 60 Zuhörern eine Entdeckung­sreise durch ausgewählt­e Spiel-Sequenzen. Klar wird: Weltunterg­angsszenar­ien, beschriebe­n etwa in der Offenbarun­g des Johannes, beflügeln die Fantasie von Spieleentw­icklern. Was jedoch auffällt: „Im Gegensatz zu den Religionen gibt es meist keine Rettung. Es sind eher Dystopien, die erst der Spieler selbst auflösen kann“, so Riemer. Der Spieler werde in diesen Spielen zum Superhero, zum Erlöser und zu einem Teil einer religiösen Handlung.

Genaueren Überprüfun­gen, erklärt Riemer, halten die Rückgriffe auf reale Religionen jedoch nicht stand. Sie bleiben narrative Fassade. Die Spiele könnten jedoch als Utopie-Entwürfe gelten. Und als solche müssten sie ernst genommen und auch Forschungs­feld der Wissenscha­ften werden, findet er.

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