Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Mit den Göttern zocken“
Vortrag: Wie PC-Spiele Religion vereinnahmen
Die meisten Computerspiel-Götter gibt es in Asien. Klar, hier macht die Game-Industrie 52 Prozent ihres weltweiten Umsatzes. Da zahlt es sich auch aus, auf religiöse Gefühle zu achten, die polytheistischen Systeme zu integrieren und auf allzu kritische Darstellung zu verzichten. Sagt Nathanael Riemer vom Potsdamer Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft in seinem Vortrag „Mit den Göttern zocken. Religionen in Computerspielen“, den er als Gastprofessor für Jüdische Kulturgeschichte der Uni Augsburg hielt. Er verteufelt nicht: Videospiele sind weder gut noch schlecht, sie können gewaltvoll sein und abhängig machen. Aber im 18. Jahrhundert galten schon Romane als Keimzelle geistiger Degeneration und Verrohung von Gesellschaften. Der Religionswissenschaftler sieht die weltweiten Erfolge der Computerspiel-Industrie und das flächendeckende Gedaddel der jüngeren Generation auch kritisch: „Die Spiele sind ein Paradigmenwechsel. Wir bewegen uns offenbar von der Textkultur weg zu einem ikonografischen Weltverständnis.“
Seit mehreren Jahren analysiert er die Rezeption von Religionen in Mainstream- und unabhängigen Spielen. Mystik und Transzendenz sind ohnehin natürliche Bestandteile von Fantasy und Science-Fiction. Das seit 2005 erfolgreiche ActionSpiel „God of War“fährt sämtliche Götter des Olymps auf. Der Nutzer steuert die Spielfigur Kratos, den heldenhaften Spartaner, der sich dem griechischen Kriegsgott Ares
Im Widerstand gegen eine fanatische Sekte
verschrieben hat und die Welt für die Guten rettet. Manche Entwickler kreieren vollständig neue Götterwelten, wie in „Skyrim“(„Himmelsrand“), ein Bestseller, der über 30 Millionen Mal verkauft und mehrfach ausgezeichnet wurde. Prophezeiungen, Seelenwanderung und böse „Weltenfresser“bestimmen das Spielgeschehen.
In den meisten Entwicklungen jedoch werden reale Religionen überformt. In „Far Cry 5“führt der Spieler den Widerstand gegen eine fanatische Sekte an, die sich mit ihren christlichen Endzeitvorstellungen zu einer Gefahr für die Menschheit entwickelt. Das Cover ist eine Anspielung auf das letzte Abendmahl und eine Provokation, die erst im Frühjahr für Kontroversen sorgte. Auch „Outlast 2“, ein Spiel, das das Jonestown Massaker von 1978 simuliert, bei dem ein fanatischer Sektenführer 900 Menschen in einen Massenselbstmord trieb, provozierte. „Solche Spiele können schon als Blasphemie aufgefasst werden. Bleiben die Kontroversen in der Balance, lässt sich damit das Geschäft ankurbeln“, erklärt Riemer.
Der Wissenschaftler bot seinen etwa 60 Zuhörern eine Entdeckungsreise durch ausgewählte Spiel-Sequenzen. Klar wird: Weltuntergangsszenarien, beschrieben etwa in der Offenbarung des Johannes, beflügeln die Fantasie von Spieleentwicklern. Was jedoch auffällt: „Im Gegensatz zu den Religionen gibt es meist keine Rettung. Es sind eher Dystopien, die erst der Spieler selbst auflösen kann“, so Riemer. Der Spieler werde in diesen Spielen zum Superhero, zum Erlöser und zu einem Teil einer religiösen Handlung.
Genaueren Überprüfungen, erklärt Riemer, halten die Rückgriffe auf reale Religionen jedoch nicht stand. Sie bleiben narrative Fassade. Die Spiele könnten jedoch als Utopie-Entwürfe gelten. Und als solche müssten sie ernst genommen und auch Forschungsfeld der Wissenschaften werden, findet er.