Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit der Mark kam das Kino nach Gersthofen

Zeitgeschi­chte Für die Einführung der D-Mark vor 70 Jahren mussten viele zunächst einen hohen Preis zahlen. Doch mit der Währungsre­form sind auch angenehme Erinnerung­en verbunden

- VON KARL HEINZ WAGNER UND FRANZ HÄUSSLER

Gersthofen/Augsburg Die starke D-Mark – für Gersthofen war sie zunächst einmal eine große Pleite: Der Tag der Währungsre­form, der 20. Juni 1948, stellte die Gemeinde Gersthofen vor ein Nichts. Das Barvermöge­n und die Guthaben der Gemeinde, darunter auch die angesammel­ten Rücklagen in Höhe von 1329456,30 Reichsmark, gingen restlos verloren. Es musste daher von Grund auf neu angefangen werden.

Blick nach Augsburg: Am Sonntag, 20. Juni 1948, bildeten sich frühmorgen­s lange Warteschla­ngen vor den über die Stadt verteilten 30 Umtauschst­ellen. Insgesamt 8,1 Millionen D-Mark wurden an diesem Tag in Augsburg ausgezahlt. Pro Person bekam der Haushaltsv­orstand bei Vorlage des Lebensmitt­elkartenau­sweises und bei Abgabe von 60 Reichsmark 40 Deutsche Mark in druckfrisc­hen Scheinen: einen Zwanziger, zwei Fünfmarksc­heine, drei Zweimark- und zwei Einemarksc­heine. Als Kleingeld gehörten an diesem Sonntag vier Halbemarks­cheine zur „Erstaussta­ttung“. Im August 1948 wurden weitere 20 Mark „Kopfgeld“nachgereic­ht.

Am Montag, 21. Juni, füllten sich Schaufenst­er und Regale in den Geschäften. Enorme Mengen an Ware waren gehortet worden. Doch nur wenige gaben ihr „Kopfgeld“sofort aus. Die Reichsmark-Abwertung von 100:10 schlug bei den DM-Verkaufspr­eisen nicht durch, kein Artikel wurde auf ein Zehntel des Reichsmark-Preises reduziert. Hauptleidt­ragende waren die Sparer, denn private Konten wurden im Durchschni­tt 100 zu 6,6 abgewertet. Das ergaben Berechnung­en von Banken.

Bei der Kreisspark­asse Augsburg lösten sich beispielsw­eise die Guthaben rund 9000 Sparkonten in nichts auf.

Bei der Auszahlung des Kopfgeldes beim „Spar- und Darlehensk­assenverei­n Gersthofen“mussten zugleich auch die restlichen Reichsmark-Bargeldbes­tände abgeliefer­t werden. Schwarz auf weiß kann man die Währungsre­form des Jahres 1948 noch mit alten Sparbücher­n nachvollzi­ehen. Sechs Prozent aus dem letzten Reichsmark-Saldo ergaben die Einlage in der neuen D-Mark-Währung. Kein Wunder, dass bei den Älteren die Währungsre­form zeitlebens nie aus den Köpfen verschwand.

Mit der Währungsre­form sollte in Deutschlan­d die freie Marktwirts­chaft in Schwung kommen – orientiert an Angebot und Nachfrage. Zudem wollte der Staat mit der Währungsre­form überschüss­iges Geld, dem nicht genügend Ware gegenübers­tand, dem Kreislauf entziehen.

Für die Wirtschaft bedeutete die Währungsre­form kurzfristi­g einen abrupten Stillstand. Die Unternehme­n, der Staat und die Kommunen konnten keine Aufträge mehr vergeben, da ihnen „neues Geld“fehlte. Die Folge: Die Arbeitslos­igkeit schnellte nach oben. Es dauerte eine Weile, ehe der Abschwung überbrückt war. Mit Verzögerun­g leitete die D-Mark die sogenannte Wirtschaft­swunderzei­t ein.

Am 7. Juli 1948 jedenfalls war die Stimmung im Gersthofer Gemeindera­t noch trübe. Die Räte befürchtet­en, dass die Gemeinde finanziell vor dem „Ruin steht“. Der Grund hierfür sei vor allem eine Nichtgewäh­rung der zehnprozen­tigen Aufvon wertung des Gemeindeve­rmögens. Deswegen wurde ein Beschluss gefasst, über den Verband der Landgemein­den Bayerns eine Beschwerde bei der Regierung und der Besatzungs­macht einzureich­en.

In gleicher Sitzung im Juli 1948 versanken Bürgermeis­ter Josef Helmschrot­t und die Gemeinderä­te aber nicht in Resignatio­n. Sie beschlosse­n, das alte Rathaus am Kirchplatz vor der Pfarrkirch­e St. Jakobus für vier Volksschul­klassen umzubauen. Die Umbaukoste­n waren schon in der neuen DM-Währung in Höhe von 4500 ermittelt. Auch der Beschluss, das bisherige Strassersa­al-Gebäude in der Augsburger Straße in seiner äußeren Form zu erhalten und im Inneren als Rathaus umzubauen, zeugte von Aufbruchst­immung. Auch die Vergabe von Pflasterar­beiten in der Ludwig-Hermann-Straße aus „reifenersp­arenden Gründen“gehörte zum Start in die neue D-Mark-Zeit.

Wenige Monate nach der Währungsre­form gab es bereits ein erstes sichtbares unternehme­risches Signal des späteren Wirtschaft­swunders. Am 7. Oktober 1948 wurde von Otto Kirner in der Augsburger Straße ein Kino, das „Filmtheate­r“, eröffnet.

Neue Münzen gab es am 20. Juni 1948 noch nicht. Reichspfen­nigMünzen blieben weiterhin Zahlungsmi­ttel, allerdings lediglich zu einem Zehntel des aufgeprägt­en Wertes. Am 24. August hieß es dann in den Zeitungen „Neues Kleingeld ist da“. Es waren aber immer noch keine Münzen, sondern Fünf- und Zehn-Pfennig-Scheinchen. Sie wurden ab 1949 nach und nach von neuem Hartgeld abgelöst.

An diese Scheine erinnert sich auch unser Autor Karl-Heinz Wagner noch gut: „In bester Erinnerung sind mir als Kind die ersten Fünfpfenni­gund Zehnpfenni­gD-Mark-Scheine aus dem Jahr 1948. Solche geschenkte­n Scheine waren für mich ein begehrtes Zahlungsmi­ttel, um damit so manche Waffel Eis zu kaufen.“

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Foto: Archiv Schaner/Repro: Marcus Merk Das erste Signal des Wirtschaft­swunders in Gersthofen war 1948 das Kino an der Augsburger Straße.
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