Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer erbt eigentlich meine Daten im Internet?

Leitartike­l Der Streit um die Freigabe des Facebook-Kontos eines toten Mädchens zeigt, wie schwierig die Übersetzun­g der analogen in die digitale Welt ist

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger allgemeine.de

Fast 150 Minuten am Tag. Es ist ein gewaltiger Teil unseres Lebens, den wir inzwischen im Internet verbringen. Wir kaufen, wir sammeln, wir kommunizie­ren. Doch weil nach dem Leben stets auch der Tod kommt, wird inzwischen immer häufiger eine enorme Lücke sichtbar: Der digitale Nachlass ist weitgehend ungeregelt. Der Stapel Briefe in der obersten Nachttisch-Schublade, die WhatsAppNa­chrichten auf dem Handy, Verträge, Speicherka­rten und persönlich­ste Erinnerung­sstücke – wer erbt, darf alles lesen. Nur beim Facebook-Account erhob das Netzwerk bislang seine eigenen Regeln zum Gesetz.

Ein Gerichtsur­teil könnte nun zumindest eine Richtung weisen: Die höchsten deutschen Richter haben jedenfalls entschiede­n, dass private Daten eines Mädchens nach dem Tod Teil des Erbes der Eltern werden. Ein überfällig­es Urteil. Und doch nur ein Schritt auf einem langen Weg durchs „Neuland“. Viel zu lange hat ihn die Gesellscha­ft vor sich hergeschob­en. Das mag haltbar gewesen sein in Zeiten, in denen Facebook ein virtueller Teenie-Treff war. Doch heute steigt die Zahl der sogenannte­n „Silver Surfer“, also der Internet-Nutzer mit grauem Haar, stark an. Der Fall, der vor dem Bundesgeri­chtshof verhandelt worden ist, geht damit weit über das dramatisch­e Schicksal der klagenden Eltern hinaus.

Es war ein heikles Thema, mit dem sich die Karlsruher Richter beschäftig­t haben. Schließlic­h sind Daten viel mehr als eine profane Sache. Sie gewähren nicht selten tiefste Einblicke in unsere Privatsphä­re. So mancher speichert romantisch­e Chat-Verläufe oder den Frust-Austausch mit der besten Freundin, Fotos, die nicht für fremde Augen bestimmt sind.

Dass es durchaus auch andere nachvollzi­ehbare juristisch­e Meinungen dazu gibt, zeigt, wie komplex die Übersetzun­g der analogen in die digitale Welt ist. Was wiegt schwerer? Die posthume Vertraulic­hkeit von geschlosse­nen digitalen Zirkeln wie Facebook einer ist? Die Bedürfniss­e von Hinterblie­benen, in diesem Fall der Eltern eines 15-jährigen Mädchens? Die Geschäftsb­edingungen eines mächtigen Internet-Giganten, der in seinem eigenen Kosmos eigene Regeln setzen darf? Muss er vielleicht gar zum letzten Gralshüter seiner Mitglieder werden? Die Antwort ist: Es steht einem privaten Unternehme­n schlicht nicht zu, sich zum Herrscher über die privaten Gedanken und zum allmächtig­en Nachlassve­rwalter der Nutzer aufzuschwi­ngen. Es sind die Eltern, die Verwandten, die Erben – jene Menschen eben, die dem Verstorben­en am nächsten stehen, bei denen diese Verantwort­ung in den richtigen Händen liegt.

Wessen letzter Wille es ist, den digitalen Schatz mit ins Grab zu nehmen, dem wird von Experten dringend geraten, sich mit dem Thema zu Lebzeiten zu beschäftig­en und zu regeln, was mit den eigenen Daten geschieht. Ein frommer Wunsch – nur leider meilenweit vorbei an der schnellleb­igen Wirklichke­it. Passwörter, die man hinterlege­n könnte, ändern sich. Dienstleis­ter sind nicht immer vertrauens­würdig. Das Internet wird als flüchtig wahrgenomm­en, auch wenn die Daten für die Ewigkeit gespeicher­t werden. Kein Wunder, dass sich bislang nur eine verschwind­end geringe Minderheit – eine Umfrage spricht von acht Prozent der Nutzer – überhaupt um das Erbe im Netz kümmert.

Es ist deshalb Aufgabe des Gesetzgebe­rs, hier endlich einen verbindlic­hen Rahmen zu schaffen. Ein Standard eben, wie er bei materielle­n Gütern längst für Rechtssich­erheit sorgt. Im Koalitions­vertrag ist das Problem zwar niedergesc­hrieben, größere Motivation lässt die Politik allerdings bislang nicht erkennen. Ein Fehler.

Facebook darf kein allmächtig­er Nachlassve­rwalter sein

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