Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ohne Klimaschut­z droht eine Migrations­welle“

Interview Eine Initiative setzt sich dafür ein, dass weltweit Bäume gepflanzt werden. 15 Milliarden sind es schon. Der Klimaschüt­zer Frithjof Finkbeiner erklärt, was es damit auf sich hat und wo der Weg hinführen muss

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Wie kommt man auf die Idee, die Welt durch das Pflanzen von Bäumen zu retten?

Frithjof Finkbeiner: Die Idee stammt von meinem Sohn Felix. Er musste mit neun Jahren in der vierten Klasse ein Referat zur Klimakrise halten. Wie gravierend die Auswirkung­en sind, hatte er am Beispiel des Eisbären deutlich gemacht. Und er hat argumentie­rt, jeder könne etwas gegen die Klimakrise machen – auch Kinder: Indem man Bäume pflanzt. Ihn hatte eine Pflanzakti­on von afrikanisc­hen Frauen inspiriert.

Wie viele Bäume haben Sie denn schon gepflanzt?

Finkbeiner: Es sind derzeit über 15 Milliarden Bäume, deren Pflanzung durch die Initiative Plant-for-thePlanet mobilisier­t worden ist. Kinder rufen dort zum Bäumepflan­zen auf oder machen selbst mit.

Und wie viele Bäume wollen Sie noch pflanzen?

Finkbeiner: Es haben noch 1000 Milliarden Bäume Platz auf dieser Erde. Wir wollen, dass diese gepflanzt werden.

Gibt es die 15 Milliarden Bäume denn wirklich? Und wissen Sie, was aus den gepflanzte­n Bäumen geworden ist? Finkbeiner: Unsere Initiative Plantfor-the-Planet ist eine Mobilisier­ungskampag­ne, an der sich schon bis zu 30000 Organisati­onen und Privatpers­onen weltweit beteiligt haben. Diese melden auf den Aufruf der Kinder hin Daten, wie viele Bäume gesetzt wurden. Angesichts des Umfangs lässt sich leider nicht mehr kontrollie­ren, ob diese noch stehen. Etwas anderes ist es, wenn wir als Plant-for-the-Planet Spendengel­d erhalten. Gibt jemand 100 Euro, werden auch 100 Bäume gesetzt. Derzeit forsten wir im mexikanisc­hen Yucatán Flächen auf und beschäftig­en hundert Waldarbeit­er. Diese Bäume stehen sicher! Man kann sie besuchen.

Was überzeugt Sie, dass man mit Bäumen das Klima retten kann? Finkbeiner: Bäume werden über das Überleben der Menschheit entscheide­n. Denn seit rund 25 Jahren, seit dem Gipfel von Rio, verhandeln die Staaten über das Klima. Als wir meinten, Ende 2015 in Paris einen Durchbruch erreicht zu haben, ha-

ben wir zuerst jubiliert. Doch es folgte Enttäuschu­ng: Erstens sind es nur Absichtser­klärungen. Zweitens: Als die Staaten 2016 ihre Klimabeitr­äge meldeten, wurde klar, dass damit das Ziel nicht erreicht werden kann, den Anstieg der Durchschni­ttstempera­tur auf zwei Grad zu begrenzen. Wir tun zu wenig. Deshalb wird es auf eine durchschni­ttliche Erhöhung von drei bis vier Grad

zulaufen. Die Menschheit hat also eine Ambitionsl­ücke. Diese müssen wir schließen. Bäume helfen dabei: Sie nehmen CO2 aus der Atmosphäre auf und speichern es in ihrem Holz. Gelingt es uns, 1000 Milliarden Bäume zu pflanzen, kann man ein Viertel des menschenge­machten CO2-Ausstoßes kompensier­en.

Wie bewerten Sie den Beitrag der Bundesregi­erung in der Klimapolit­ik? Die Klimaschut­zziele für 2020 hat die Regierung gekippt, die Ziele für 2030 will man erreichen und den CO2-Ausstoß um 55 Prozent senken … Finkbeiner: Ich glaube, unsere Kinder werden uns mit jedem Recht dafür verfluchen, was wir getan haben. Das Problem der Klimaschut­zziele ist, dass sie weit in der Zukunft liegen. Für das Jahr 2030 oder 2040 kann man sich tolle Ziele setzen. Die heute amtierende­n Politiker werden dann aber nicht mehr gewählt. Die Folge ist, dass wir heute über Nebensächl­ichkeiten diskutiere­n. Falls wir aber das Klimaprobl­em nicht lösen, werden sich andere Probleme exponentie­ll verschärfe­n.

An welche Probleme denken Sie hier? Finkbeiner: Bei der vereinbart­en maximalen Temperatur­erhöhung von zwei Grad handelt es sich um die weltweite Durchschni­ttstempera­tur. Zwei Grad plus bedeuten in Bayern einen Anstieg um vier Grad und in Afrika mancherort­s um sechs bis acht Grad. Vertrockne­t dort die Ernte, droht eine gigantisch­e Migrations­welle. In Afrika wird sich die Bevölkerun­g bis zum Jahr 2100 auf 4,4 Milliarden Menschen vervierfac­hen. Dies sind die wahren Probleme, über die wir reden müssen.

Welche Lösung schwebt Ihnen vor? Finkbeiner: Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller ist für mich einer der klügsten Politiker, wenn er sagt, dass wir die Fluchtursa­chen bekämpfen müssen. Jeder Euro, den wir im Klimaschut­z anlegen, ist ein gut angelegter Euro. Indem wir Bäume in den armen Ländern pflanzen, neutralisi­eren wir nicht nur das Klimagas CO2, sondern schaffen auch einen Zusatznutz­en. Gelingt es uns, eine Billion Bäume zu pflanzen, könnten weltweit 350 Millionen Arbeitsplä­tze entstehen – in der Aufforstun­g, der Pflege des Waldes und der Holzverarb­eitung.

Das klingt, als sei Holz eine Art Zauberstof­f für Sie?

Finkbeiner: Weltweit steht uns für die Aufforstun­g eine Fläche zur Verfügung, die größer ist als Indien. Einst standen dort Wälder, heute ist es Ödland. Forstet man Nutzwälder auf, kann das Holz später im Bau eingesetzt werden. Damit wird der Kohlenstof­f langfristi­g gebunden. Die Hälfte der Gebäude, die es im Jahr 2050 geben wird, ist noch gar nicht gebaut. Errichtet man sie aus Stahlbeton, würden gigantisch­e Mengen Energie gebraucht. Die konvention­elle Bauindustr­ie ist verantwort­lich für zehn Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Die Zukunft gehört deshalb dem Holzbau, die Zukunft gehört dem Holz.

Leider gehen auch viele Waldfläche­n verloren, um Palmöl anzubauen … Finkbeiner: Wir verlieren auch Wälder, um zum Beispiel Soja für die Tierhaltun­g und den Fleischkon­sum anzubauen. Netto verlieren wir jedes Jahr zehn Milliarden Bäume. Wir sind noch lange nicht auf dem richtigen Weg.

Sie sagen, Sie wollen Unternehme­n ins Boot holen. Viele Konzerne achten aber eher auf ihre Quartalsza­hlen… Finkbeiner: Klimaschut­z liegt meines Erachtens im Eigeninter­esse der Firmen. In einer Welt, die durch die Klimakrise aus den Fugen gerät, in der der Nationalis­mus blüht und sich die Staaten aufgrund der Migrations­ströme abgrenzen, kann man nicht gut wirtschaft­en. Es kommt auf Unternehme­n an, die längerfris­tig denken, zum Beispiel Familienun­ternehmen. Firmen können ihr Handeln klimaneutr­al machen. Deshalb sind Netzwerke wie Kumas in Augsburg sinnvoll, die Firmen und Organisati­onen verknüpfen.

Haben Sie oder Ihr Sohn Felix, der inzwischen 20 Jahre alt ist und studiert, manchmal nicht Angst, als Visionäre abgestempe­lt zu werden?

Finkbeiner: Ich selbst habe mich lange mit der Klimakrise beschäftig­t. Als mein Sohn das Bäumepflan­zen thematisie­rt hat, habe ich erkannt, welche Idee er in die Welt gesetzt hat. Kindern hört man besser zu als Erwachsene­n. Felix hat vor der UN gesprochen, Fürst Albert II. von Monaco unterstütz­t unser Projekt. Jeder kann Bäume pflanzen! Wenn Kinder Bäumen pflanzen können, können es auch Unternehme­n und Staaten! Interview: Michael Kerler

Frithjof Finkbeiner, 55, ist Vizepräsid­ent des Club of Rome Deutschlan­d und Vorsitzend­er der Stiftung Plant for the Planet.

 ?? Foto: David Ebener, dpa ?? Jeder Baum zählt, meint Frithjof Finkbeiner. Er argumentie­rt, dass durch Aufforstun­g das Klima geschützt werden kann.
Foto: David Ebener, dpa Jeder Baum zählt, meint Frithjof Finkbeiner. Er argumentie­rt, dass durch Aufforstun­g das Klima geschützt werden kann.
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