Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Attention, ihr großen Franzosen!
Der Fußball verändert Menschen. Nicht jeden so nachhaltig, wie diesen einst schüchternen Buben aus ärmlichen Verhältnissen Madeiras, der sich später seine kurzen Hosen tief in die Familienplanung hineindrapierte und soeben einen 300-Millionen-Vertrag unterschrieben hat. Die meisten Menschen müssen sich mit 90 Minuten in einem anderen Leben bescheiden. Mit Momenten des Entrücktseins, der Veräußerung, des Entzückens und der Verzweiflung.
Zu besichtigen auf den WMRängen in den bemalten Gesichtern, die am Ende im Tränenstrom zerfließen. Dass auch über diese WM Monsterwellen der Rührung hereinbrechen würden, war klar. Spätestens mit der K.-o.-Runde, wenn jedes Spiel ein Abschied ist, breitet sich heulendes Elend aus. Mittwochnacht flossen englisches Rot und Weiß ineinander. Tränen, die sich die Mannschaft verdient hatte. Als die Deutschen scheiterten, hat keiner geheult.
Fußball verändert aber auch ein Land – wenngleich nicht für immer. Deutschland hat davon 2006 profitiert, Russland erlebt es in diesen Wochen. Mitunter befördert dieses simple Spiel kleinere Nationen sogar erst ins Bewusstsein der Welt. Wer hatte je etwas von den Färöer-Inseln gehört, bis die Feierabendkicker die Österreicher blamierten. Und wer, abseits notorischer Balkan-Reisender, wusste bislang viel über Kroatien zu sagen – geschweige denn, wo es auf dem Globus zu finden ist. Die meisten Amerikaner dürften Kroatien in den Hinterhof Mexikos verorten. Geschenkt! Schließlich weiß auch nicht jeder Europäer, wo West Virginia ist – das genauso klein ist wie Kroatien mit 60 000 Quadratkilometern und vier Millionen Einwohnern.
Der Kleinste der 32 WM-Teilnehmer hat in Russland Riesen wie Nigeria, Argentinien, den Gastgeber selbst und England besiegt. Wie das zu erklären ist? Mit Leidenschaft und Herz, Luka Modric und nervenstarken Elfmeterschützen. Attention, ihr großen Franzosen!