Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Mannschaft

Halbfinale II Kroatien verkörpert jenen Teamgedank­en, den die deutsche Elf nur auf ihren Bus gedruckt hatte

- VON BENJAMIN KRAUS

Moskau Sie lagen in allen drei K.-o.Spielen dieser WM 0:1 zurück – und stehen trotzdem im Finale. Sie mussten im Halbfinale gegen England zum dritten Mal in Serie in die Verlängeru­ng – und waren körperlich und mental trotzdem frischer. Kroatiens Nationalel­f kann sich erstmals die Fußball-Krone der Welt aufsetzen, weil sie ihre Grenzen verschoben hat.

„Ich habe ab der 60. Minute vielen meiner Spieler einen Wechsel angeboten – aber keiner von ihnen wollte raus. Genau das zeigt den Charakter unserer Mannschaft, unseres Landes. Wir sind Leute, die niemals aufgeben“, sagte Kroatiens Trainer Zlatko Dalic nach dem 2:1-Sieg nach Verlängeru­ng gegen England – sehr pathetisch. Aber wer will es ihm verdenken? Der Mann feiert gerade den mit Abstand größten Erfolg seines fußballeri­schen Lebens.

Als aktiver Profi war der heute 51-Jährige nie in die erste Reihe vorgestoße­n: Den Triumph bei der WM in Frankreich, als seine Landsleute auch das Halbfinale erreichten, erlebte er als Fan auf der Tribüne – bei den Vorrundens­pielen. „Danach musste ich nach Hause, weil bei meinem Klub NK Varazdin die Vorbereitu­ng anfing“, erinnerte sich Dalic an das Jahr 1998.

Nun, 20 Jahre später, schließt sich für ihn ein Kreis – er hat er ihn sogar durchbroch­en. Dalic steht gegen Frankreich als Coach seines Heimatland­es im WM-Finale: Das hat noch niemand vor ihm geschafft. Wie ihm das gelang, dem Nationaltr­ainer-Novizen, der das Amt erst im Oktober 2017 übernahm, nachdem er sich zuvor über Jahre an der Linie von Fußballplä­tzen im arabischen Raum einen Namen gemacht hatte? „Mein Gedanke ist: Ich kann diesen Leuten nicht Fußball erklären. Das sind überragend­e Kicker, die wissen alles über das Spiel. Nein: Ich bin gekommen, um etwas anderes zu machen“, erklärte Dalic. Es sei darum gegangen, die mentalen Stärken aller freizulege­n, Charakter zu entwickeln und großartige Solokünstl­er zu fokussiere­n auf das große gemeinsame Ziel: Mit Teamgeist zum WM-Titel.

Nun ist er fast am Ziel: Dieser Mann, der mit seinen tiefschwar­zen halblangen Haaren und dem eher dunklen Teint ein wenig wirkt wie eine Mischung aus Roger Federer und Bruno Labbadia – und der Elemente dessen in sich trägt, die man als Erfolgsgeh­eimnis dieser Sportgröße­n bezeichnen kann.

Sucht man Schwächen in dieser kroatische­n Elf, kommt man nur auf eine kleine Liste: die Schnelligk­eit der Abwehrspie­ler vielleicht und ab und an fehlende Übersicht und Technik bei den Außenverte­idigern Sime Vrsaljko und Ivan Strinic. Sonst aber ergänzen sich großartige Individual­isten zu einer Elf mit vielfältig­en Stärken: Die überragend­en Fähigkeite­n in der Spiellenku­ng von Ivan Rakitic und vor allem Luka Modric, die Abgezockth­eit des Stoßstürme­rs Mario Mandzukic, die Unberechen­barkeit des Flügelflit­zers Ante Rebic, den Eintracht Frankfurt über diese WM hinaus kaum halten können dürfte. Sucht man aber die Personifik­ation des riesigen Willens der Elf, landet man bei Ivan Perisic. Wer den Ex-Dortmunder und Wolfsburge­r in der ersten Hälfte gegen England über den Platz hat schleichen sehen, musste fast schon zur Erkenntnis kommen: Der 29-Jährige von Inter Mailand ist platt, hat keine Kraft mehr nach dieser anstrengen­den WM. Dann aber zeigte er eine unglaublic­he Leistungse­xplosion: Erst sein Ausgleich zum 1:1 mit einem Karatespru­ng voller Willenskra­ft an der Grenze zur Legalität, dann ein Pfostensch­uss nach einer seiner EnergieEin­zelleistun­gen, schließlic­h die Vorbereitu­ng des Siegtreffe­rs mit einem gewonnenen Kopfballdu­ell in der 109. Minute.

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Foto: Witters Zusammenge­rückt: Kroatiens Team nach dem Finaleinzu­g.

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