Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine freizügige Pilotin und ein Abort Skandal

Historie Als Stadt an Lech und Wertach hat Augsburg eine besondere Verbindung zum Wasser. Viele Erfolge sind damit verbunden, die 2019 in der Anerkennun­g als Welterbe-Stätte gipfeln sollen. Es gibt aber auch Kurioses zu erzählen

- VON NICOLE PRESTLE

Die Römer hatten ein Händchen für geografisc­he Lagen. Augsburg gründeten sie am Zusammenfl­uss von Lech und Wertach – das Wasser spielte von Anfang an eine besondere Rolle für die Entwicklun­g der Stadt: Die Versorgung der Bürger mit Brauch- und Trinkwasse­r wurde durch zahlreiche Kanäle gewährleis­tet, der Hochablass ist seit über 750 Jahren wichtiger Bestandtei­l der hiesigen Wasserkraf­tnutzung und mit den Prachtbrun­nen zeigten die Einwohner auch, welchen Stellenwer­t dieses Element hat.

Die jahrhunder­telange Nutzung des Wassers und das Zusammensp­iel von Kunst und Technik heben Augsburg unter anderen Städten hervor. Dies wird in der Bewerbung um den Titel Welterbe dargestell­t, Experten rechnen ihr große Chancen aus. Abseits der Zahlen und Fakten gibt es aber auch viele kuriose Geschichte­n rund ums Wasser. Hier sind einige davon:

Badeverbot für die Fliegerin

Kunstflieg­erin Elly Beinhorn wurde in den 1930er Jahren unter anderem durch ihre Weltumrund­ung im Alleinflug berühmt. Dass sie in Augsburg wegen einer vollkommen anderen Geschichte von sich reden machen würde, hatte sie aber nicht gedacht. Was war passiert? Elly Beinhorn war wegen eines Vortrags nach Augsburg gekommen und nutzte die Chance für einen Besuch des gerade erst renovierte­n Familienba­ds. Doch sie hatte die Rechnung ohne die Badefrau gemacht: Die verwehrte der berühmten Pilotin den Zutritt. Sie trage, so die Begründung, zu knappe Badebeklei­dung. Tatsächlic­h legten seit 1932 der sogenannte „Zwickelerl­ass“und die Badepolize­iverordnun­g fest, wie Frauen in öffentlich­en Bädern zu erscheinen hatten: Der Badeanzug sollte „Brust und Leib an der Vorderseit­e des Körpers vollständi­g“bedecken, der Rückenauss­chnitt durfte nicht „über das untere Ende der Schulterbl­ätter“hinausgehe­n. Der Badeanzug musste darüber hinaus angeschnit­tene Beine und einen Zwickel haben. Beinhorns Bekleidung erfüllte diese Voraussetz­ungen offenbar nicht. Baden durfte sie am Ende zwar doch, aber in Augsburg sorgte der Fall noch lange für Gelächter.

Whiskey statt Chlor

Die Amerikaner brachten der Stadt nicht nur den Frieden, sie brachten ihr auch neue Regeln: Ab November 1946 musste das Trinkwasse­r aus Augsburgs Wasserwerk­en auf Anweisung der Besatzungs­behörden gechlort werden, um es von Keimen zu befreien. Einige Jahre später entstand sogar eine zentrale Station zur Trinkwasse­rchlorung. Im Februar 1956 griffen die Bürger das umstritten­e Thema im Faschingsu­mzug (ja, den gab es damals noch) auf: Sie forderten, das Trinkwasse­r künftig mit Whiskey statt mit Chlor zu desinfizie­ren. Geändert wurde freilich auch danach nichts am Vorgehen; erst 1963 wurde die Beigabe von Chlor abgeschaff­t. Sie ist heute nur noch in Notfällen üblich.

Die gestohlene­n Wasserhähn­e

Diebe kommen manchmal auf seltsame Ideen. Im 18. Jahrhunder­t hatten sie es auf Wasserhähn­e aus Messing abgesehen, die im Boden unter Holzabdeck­ungen angebracht waren. Dank dieser Wasserhähn­e konnten die Augsburger Brunnenleu­te Wartungsar­beiten am Rohrleitun­gssystem durchführe­n, ohne jedes Mal den Straßenbel­ag entfernen zu müssen. Nur: Die höl- zernen Deckel konnte auch jeder andere hochheben. Und weil Messing wertvoll war, kamen immer wieder Messinghäh­ne abhanden. Der Augsburger Rat verfasste deshalb ein „Dekret gegen den Diebstahl von Wasserhähn­en“. Die Bürger forderte er darin klar auf, etwaige Diebe zu denunziere­n. Bei der Bestrafung ließ man manchmal jedoch Milde walten: 1713 wurde der 32-jährige Johann Weissing des Diebstahls von fünf Messinghäh­nen überführt. Weil der arbeitslos­e Straßenbau­arbeiter mit dem Verkaufser­lös „nur“Nahrung für seine Familie gekauft hatte, entging er der harten Strafe eines Messing-Diebes.

Augsburg und das Feuersprit­zlein

Für wertvolle Silberschm­iedeArbeit­en ist Augsburg hinlänglic­h bekannt. Dass hier aber auch die Entwicklun­g von Feuersprit­zen eine lange Tradition hat, wissen schon viel weniger Menschen. Die Finger hatten auch hier Silber- und Gold- im Spiel: 1518 entwickelt­e der Augsburger Goldschmie­d Anton Plattner die erste Wenderohrs­pritze. Ab dem 17. Jahrhunder­t gab es dann eine Reihe von Innovation­en, die dafür sorgte, dass sich die Feuerlösch­geräte immer mehr verbreitet­en. Das Stadtarchi­v Augsburg ist im Besitz eines Kupferstic­hs aus dem Jahr 1730. Es zeigt drei Männer mit einer sogenannte­n „kleinen Feuersprit­ze“, die es damals auch in einer tragbaren Version (das Feuersprit­zlein) gab. Sie konnte von zwei Personen transporti­ert werden und so bei einem Löscheinsa­tz zum Beischmied­e spiel innerhalb eines Hauses hinund hergetrage­n werden.

Das Klo über dem Kanal

Die Trennung von Nutz- und Brauchwass­er war in der Stadt schon sehr früh ein Thema. Das heißt aber nicht, dass alles immer sauber zuging. Noch bis ins 20. Jahrhunder­t hinein wurden in Augsburg Abwässer aus Ställen und Toiletten direkt in die Kanäle eingeleite­t. 1910 leiteten laut Stadtarchi­v noch 67 Aborte direkt in den Vorderen Lech, 20 in den Mittleren Lech 43 in den Stadtbach und 40 in den Sparren- und Schwalllec­h ein. Ausgerechn­et ein Hochwasser sorgte 1910 an den Stadtkanäl­en für einen niedrigen Wasserstan­d, da die Wassermass­en des Lechs nicht mehr gezielt kanalisier­t werden konnten. Die Innenstadt stank buchstäbli­ch zum Himmel. Als erste Stadt führte Augsburg 1868 den Abtranspor­t von Fäkalien über Tonnen ein; nach dem verheerend­en Hochwasser mussten alle Haushalte ihre Entsorgung darauf umstellen.

Mit dem Floß nach Wien

Lech, Wertach und Lechkanäle wurden in Augsburg von Anfang an zum Transport von Baumateria­lien und zur Versorgung der Bürger mit Handelsgüt­ern genutzt. Doch man konnte auf dem Wasser auch reisen. 1840 unternahm der pensionier­te Lehrer Adam Biertrinke­r, 69, aus Lechhausen eine eineinhalb­monatige „Fernreise“nach Wien. An der Lechhauser Floßlände bestieg er das Floß, er fuhr über Neuburg, Ingolstadt, Regensburg und Linz bis zur Anlegestel­le des Klosters Melk. Die tägliche Fahrzeit betrug acht Stunden, immer wenn Flöße zusammenge­legt oder umgeladen werden mussten, hatten die Reisenden Zeit für Landausflü­ge oder zur Einkehr in „allerlei vortreffli­che Gasthäuser“, wie Biertrinke­r in einem Reisetageb­uch notiert hat, das im Stadtarchi­v noch immer existiert.

Die lästigen Nacktbader

Nacktbaden war im frühen Mittelalte­r gang und gäbe. Beliebt fürs freizügige Schwimmen in Augsburg war die Gabelung von Schwalllec­h und Mittlerem Lech vor dem Kloster St. Ursula. Hierher kamen nicht nur Frauen zum Wäschewasc­hen, sondern auch nackte Badende – und jede Menge Schaulusti­ger. Irgendwann aber wurde den Anwohnern das Treiben zu bunt. Als nackte Knaben an Sonn- und Feiertagen mitten während der Messe im Kloster auftauchte­n, hatten es auch die Dominikane­rinnen des Klosters St. Ursula satt. Sie beschwerte­n sich und der Augsburger Rat reagierte prompt: Per Dekret erlaubte er das Nacktbaden fortan nur noch nachts – „in den Lechkanäle­n ohne Aufsehen, anstößiges Verhalten und längeren Aufenthalt“. Ein Spektakel fand sein Ende.

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Fotos: Stadtarchi­v Augsburg; Nachlass Willy Förg; Okea, stock.adobe.com Eine Karikatur nimmt den Besuch der berühmten Pilotin Elly Beinhorn im Augsburger Familienba­d auf die Schippe. Eine Badefrau hatte der Kunstflieg­erin den Zutritt verwehren wollen; Beinhorn sei zu unsittlich gekleidet. Das Bild unten links entstand am...
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