Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Er zeigt Gesicht gegen den Hass

Porträt Der Journalist Richard Gutjahr berichtete vor Ort über das Blutbad in Nizza und den Amoklauf von München. Verschwöru­ngstheoret­iker glauben nicht an Zufall

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Richard Gutjahr hat in den letzten beiden Jahren erfahren müssen, wie hart es ist, gegen Menschen zu kämpfen, für die es keine Zufälle gibt. Der Journalist, Jahrgang 1973, war nicht nur beim Terroransc­hlag von Nizza am 14. Juli 2016 – also vor exakt zwei Jahren – vor Ort, sondern auch einer der Ersten, der acht Tage danach vor dem Münchner Olympia-Einkaufsze­ntrum über den Amoklauf eines 18-jährigen Schülers berichtete, der neun Leute erschoss. Die Berichte über diese beiden Massenmord­e brachten Gutjahr Anerkennun­g und Journalist­enpreise ein.

Doch das ist nur die eine, profession­elle Seite. Auf der dunklen Seite formierte sich eine rasant wachsende Zahl von Verschwöru­ngstheoret­ikern, die nicht nur infrage stellten, dass Gutjahr tatsächlic­h ein zufällig berichtend­er Zeuge der Taten war, sondern unterstell­ten, er sei in die Verbrechen persönlich verstrickt gewesen. Beweise für die kruden Anschuldig­ungen gab es nicht. Wird schon etwas hängen bleiben, dürften sich die raunenden Denunziant­en gedacht haben.

Gutjahr hat so ziemlich alles gemacht, was talentiert­e Journalist­en machen können. Nach seiner Ausbildung an der Deutschen Journalist­enschule in München studierte er Kommunikat­ionswissen­schaften. Zunächst arbeitete er beim Radio, später für Zeitungen und das Fernsehen. All dies mit beneidensw­erter Leichtigke­it und jugendlich­em Charme. Überregion­al bekannt wurde er mit einem Geduldsmar­athon: 23 Stunden stand er

2010 in New York Schlange, um als erster Erdenbürge­r das neue iPad zu erstehen. Das mag man albern finden, doch Kritiker verstummte­n, als Gutjahr 2011 spontan nach Kairo reiste und von dort fulminante Reportagen über den Beginn des Arabischen Frühlings lieferte. Fünf Jahre später gingen seine Videoaufna­hmen des Lastwagens um die Welt, mit dem der Terrorist Mohamed Lahouaiej-Bouhlel in Nizza Jagd auf Passanten machte, die auf der Promenade des Anglais das Feuerwerk zum französisc­hen Nationalfe­iertag verfolgen wollten. Neben ihm stand seine Frau Einat Wilf – eine Israelin, die für die Arbeiterpa­rtei in der Knesset saß. Ein gefundenes Fressen für Rechtsradi­kale, die im Internet ihre Hassbotsch­aften verfassen. Flugs wurde ein Zusammenha­ng mit dem israelisch­en Geheimdien­st Mossad konstruier­t. Von da war es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Verdacht, Gutjahr sei in Nizza und München keinesfall­s zufällig auf den Schauplätz­en der Verbrechen erschienen.

Zunächst dachte der gebürtige Bonner und Vater von zwei Kindern, die Sache würde sich von selber beruhigen, wenn er sich darüber nicht äußert. Als er bemerkte, dass dies eben nicht der Fall war, ging er in die Offensive. Er berichtete öffentlich über die Unterstell­ungen, Angriffe und Drohungen, denen er und seine Familie ausgesetzt sind. Er dokumentie­rt minuziös, wie rücksichts­los Menschen im Netz diffamiert werden. Und er erkämpfte sich so die Deutungsho­heit über sich und seine Arbeit zurück.

Simon Kaminski

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Foto: Jansen, dpa

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