Augsburger Allgemeine (Land Nord)
In Augsburg wird mehr gestritten
kein Selbstläufer: Eine große Zahl an Juristen, sagt Rubach, käme gerade mal so über die Runden.
Der Arbeitsrechtler Thomas Weckbach aus Augsburg sieht ähnliche Gründe für den Anstieg der Zahlen, er spricht davon, „dass der Rechtsmarkt gewachsen ist“. Weckbach, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer in München, weist zudem darauf hin, dass immer mehr Menschen eine Rechtsschutzversicherung abschließen und der Standort Augsburg für Juristen kein schlechtes Pflaster sei. Auch sei die allgemeine Entwicklung nicht auf Augsburg beschränkt.
Das stimmt, wie ein Blick auf deutschlandweite Zahlen zeigt. Laut offiziellen Statistiken gab es im Jahr 1970 noch gut 23 000 zugelassene Rechtsanwälte im Land. Heute sind es fast 165000. Angesichts der großen Konkurrenz ist es wenig erstaunlich, dass einige Anwälte und Kanzleien für sich werben, etwa mit Anzeigen in Zeitungen und Magazinen. Einer, der auf ungewöhnlichem Wege wirbt, ist der Strafverteidiger Moritz Bode. Sein Konterfei ist seit Juni auf einem Taxi zu sehen.
Bode ist wie Rubach einer der bekannteren Anwälte der Stadt, was auch mit dem Tätigkeitsbereich der beiden zusammenhängt: Wer Mandanten vertritt, die wegen eines Axtmordes vor Gericht stehen, ist in der Öffentlichkeit naturgemäß prä- senter als beispielsweise ein Jurist, dessen Expertise das Speditionsrecht ist. Um weitere Bekanntheit gehe es ihm mit der Taxiwerbung eigentlich auch nicht, sagt Bode. Sondern um ein Wiedererkennungsmerkmal; er habe dazu etwas Progressives machen wollen.
Bode, seit 1996 selbstständig, sagt, er bemerke den Anstieg der Zahlen in seiner Branche gar nicht so sehr. Die große „Anwaltsflut“sei wohl auch vorbei. Er beobachte, dass jüngere Kollegen sich seltener trauten als früher, eine eigene Kanzlei aufzumachen. Viele Rechtsreferendare wollten in einem etablierten Anwaltsbüro unterkommen, zu einem größeren Unternehmen als Justiziar oder beim Staat arbeiten.
Ähnliches sagt Walter Rubach, der wie Bode als Gastdozent bei der Ausbildung von Rechtsreferendaren mitwirkt. „Die wenigsten wollen sich selbstständig machen“, sagt er. Vielleicht zehn Prozent der jungen Juristen hätten das noch vor. Auch Thomas Weckbach von der Anwaltskammer in München sieht Hinweise darauf, dass sich die Zahl der zugelassenen Anwälte einpendelt. Um 2008 habe es einen gewaltigen Anstieg gegeben, mittlerweile habe man kaum noch Wachstum, in anderen Kammern gebe es einen Rückgang. »Kommentar
Man könnte auf den Gedanken kommen, dass die Menschen in Augsburg sich einfach besonders gerne streiten. Bei über 1000 Anwälten in der Region, mehreren Dutzend Kanzleien alleine im Innenstadtbereich, einige davon mit mehreren Dutzend Juristen. Das allerdings wäre ein Trugschluss. Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass in der Stadt öfter die Anwälte bemüht werden als andernorts, im Gegenteil: Laut dem „Streitatlas“des Rechtsschutzversicherers Advocard ist die Streitwut in Augsburg im bundesweiten Vergleich eher unterdurchschnittlich ausgeprägt. Keine seriöse Studie zwar, aber immerhin ein Anhaltspunkt.
Es lässt sich allerdings auch nicht behaupten, dass es in der Stadt wenige Anwälte gäbe. Im Blickpunkt der Öffentlichkeit sind zumeist die Strafrechtler, die meisten Anwälte kümmern sich allerdings um andere Bereich. Es gibt zum Beispiel deutlich mehr Arbeitsrechtler und Familienrechtler in Augsburg – naheliegend, wo doch jede Scheidung einen Anwalt erfordert. Diese Rechtsgebiete gibt es seit Ewigkeiten, andere kamen im Laufe der Jahre hinzu. Sie zeigen auch, wie sehr der Rechtsmarkt gewachsen ist. Wer hätte vor 50 Jahren gedacht, dass es Fachanwälte für Informationstechnologierecht braucht?
Man kann zumindest annehmen, dass sich die Zahl der Anwälte nicht mehr so signifikant erhöhen wird wie in den vergangenen Jahrzehnten, was auch bundesweit gilt. Das ist eine Frage der Logik: Irgendwann ist auch mal Schluss, und schon jetzt ist die wirtschaftliche Realität vieler Juristen eine gänzlich andere, als es glamouröse TV-Serien vermitteln. Nicht wenige Anwälte kämpfen um ihre Existenz.