Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Warum uns Berührungen guttun
Psychologie Umarmen, Händeschütteln oder eine Massage: Gegenseitiges Spüren ist lebenswichtig – nicht nur für die Psyche, sondern auch die körperliche Gesundheit. Selbst Kleinigkeiten können positiv wirken. Wie man sich das zunutze machen kann
Wenn wir morgens dicht gedrängt in der vollen Bahn stehen, ist sie uns unangenehm – die Nähe zu anderen Menschen. Wir versuchen, Augenkontakt mit anderen zu vermeiden und sie möglichst nicht zu berühren. Auf der anderen Seite gibt es ein Bedürfnis nach Berührung und Nähe. Und das zu Recht, sagen Experten. Denn sie hält gesund.
„Wir alle haben Distanzzonen, innerhalb derer wir bestimmte Personen dulden“, sagt die Psychologin Julia Scharnhorst. Der Mensch unterscheidet: Freunde und Bekannte dürfen näher heran, Fremde dagegen müssen Abstand bewahren. Wird dieser Abstand nicht eingehalten, fühlt man sich bedrängt.
Hinzu kommt die Reizüberflutung, besonders im städtischen Gebiet. „Heutzutage ist es oft so, dass Menschen durch soziale Netzwerke und ihre Umwelt überstimuliert sind durch Kontakte zu anderen und sich eher zurückziehen wollen“, sagt die Psychologin Christine Sowinski vom Kuratorium Deutsche Altershilfe. In der Bahn auf dem Weg zur Arbeit sind die Menschen meist sowieso schon gestresst. Kommen ungewollte Berührungen von Fremden hinzu, steigert dies die Stresssituation.
Doch es gibt auch das Gegenteil: Der Boom der Wellnessbranche ist eines der Indizien dafür, dass das Bedürfnis nach fremder Berührung trotzdem da ist, sagt Scharnhorst. Zu Recht. Denn der Mensch braucht Berührung. Erfahren Kinder zu wenig von ihr, kann es zu Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten kommen. Auch im Erwachsenenalter tut Berührung gut – vorausgesetzt, wir stehen der Person, die uns berührt, neutral bis positiv gegenüber und empfinden die Situation nicht als unangenehm. Dann kann Berührung nicht nur Auslöser von Stress sein, sondern diesen reduzieren – und die Gesundheit fördern.
Ute Repschläger ist Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes selbstständiger Physiotherapeuten. Sie weiß, wie bedeutsam Berührungen für den Menschen sind. „Wir merken das besonders in der Betreuung älterer Menschen, zum Beispiel bei Hausbesuchen oder auch im Altenheim. Wenn wir sie berühren, blühen sie auf.“
Auch bei der Behandlung jüngerer Menschen in der Praxis zeigt sich, dass Berührung nicht nur körperlich wirkt, sondern auch psy- chische Effekte hat. „Berührung bringt Nähe. Man kommt ins Gespräch, manche Patienten fangen an zu erzählen.“Dabei kommen manchmal sogar alte Erfahrungen hoch. „Es gibt Fälle, da fangen die Menschen an zu weinen, weil sie die Berührung zum Beispiel an die eines geliebten Menschen von früher erinnert.“Selbst kleine Berührungen im Alltag – kaum wahrgenommen – können eine enorme Wirkung haben. So verstärkt es die Interaktion zwischen zwei Menschen schon, wenn der eine dem andern beim Sprechen kurz die Hand auf den Arm oder die Schulter legt.
Auf biologischer Ebene ist der Mensch so veranlagt, dass er Berührungen als angenehm empfindet. Werden wir von einem anderen Menschen berührt, werden die im Volksmund als „Glückshormone“bezeichneten Botenstoffe Oxytocin und Dopamin ausgeschüttet. Sie docken an Rezeptoren im Gehirn an und bewirken eine Reihe positiver Effekte, erklärt Repschläger.
Sie reduzieren zum Beispiel Stress und Angst und lösen ein allgemeines Wohlbefinden aus. Sie stärken die Bindung und das Vertrauen zur anderen Person. Bei intensiven Berührungen wie Massagen lösen sich Verspannungen. Durch die Aktivierung des Gedächtnisses hat Berührung zudem einen Effekt auf die Erinnerung und geistige Leitungsfähigkeit. Nicht zuletzt stärkt Berührung das Immunsystem und kann sogar bei Depressionen helfen. „Berührung ist lebenswichtig“, sagt Physiotherapeut Repschläger. „Ohne Berührung werden wir krank.“
Dabei ist zunächst mal egal, wer uns berührt. Sogar wenn sich jemand selbst berührt, beispielsweise beim Eincremen, passiert biologisch gesehen das gleiche wie bei der Berührung von einer anderen Person. Berührungen von Menschen, zu denen wir eine enge Bindung haben,
In Stresssituationen erleben viele das Gegenteil
erleben wir jedoch intensiver. Bei anderen Personen wie Pflegern muss zunächst ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, damit die Berührung wirklich guttun kann.
Ein Berührungsdefizit, wie es oft ältere Menschen durch ihre Lebenssituation erfahren, kann ein Stück weit durch geeignete Hobbys kompensiert werden. Standardtanz etwa, rät Psychologin Sowinski. „Die Bewegung, das Anfassen an den Händen, das tut gut.“Auch Sport oder haptische Beschäftigungen wie etwa Töpfern helfen.
Selbst das Schmusen mit Haustieren hat einen Effekt, sagt Sowinski: „Es ersetzt zwar keine Liebesbeziehung, aber den Körperkontakt eines Tieres kann man gerade bei einsamen Menschen nicht genug schätzen.“Auch dabei werden „Glückshormone“ausgeschüttet, was das Wohlbefinden stärkt und die Stimmung hebt. Also lautet der Rat der Experten: die Lieben ruhig etwas öfter umarmen – und das Haustier am besten gleich auch.
Auch das Schmusen mit dem Haustier ist gesund