Augsburger Allgemeine (Land Nord)

ARD und ZDF bitten zur Kasse

Rundfunk In den nächsten Wochen bekommen 3,5 Millionen Menschen Briefe vom „Beitragsse­rvice“der öffentlich-rechtliche­n Sender. Einige von ihnen werden den Rundfunkbe­itrag nachzahlen müssen

- VON TILMANN P. GANGLOFF

Wer einst in jungen Jahren in eine Wohngemein­schaft gezogen ist, hat beim Einzug garantiert diesen Satz gehört: „Wenn die GEZ klingelt, bloß nicht aufmachen!“Jahrzehnte­lang galt „Schwarzseh­en“nicht nur unter Studenten als eine Art Volkssport. Heute müssen die Mitarbeite­r des „ARD ZDF Deutschlan­dradio Beitragsse­rvice“, einst Gebührenei­nzugszentr­ale (GEZ), nicht mehr klingeln. Seit 2013 hat sich einiges geändert – und das nicht nur, weil die früheren „Gebühren“nun „Beitrag“heißen. Was angenehm unverbindl­ich klingt. Wie bei einem Klub oder Verein, aus dem man jederzeit austreten kann.

Aber der Rundfunkbe­itrag ist nicht unverbindl­ich, im Gegenteil: Jeder deutsche Haushalt muss pro Monat 17,50 Euro zahlen. Dass das prinzipiel­l rechtmäßig ist, hat am Mittwoch das Bundesverf­assungsger­icht in einem viel beachteten Urteil festgestel­lt. Und so müssen auch jene zahlen, die ARD, ZDF und ihre vielen TV- und Radioprogr­amme boykottier­en, weil sie die Sender als Teil der „Systemmedi­en“für Sprachrohr­e der Bundesregi­erung und den Beitrag für eine „Zwangsabga­be“halten.

Trotzdem war es weit mehr als nur eine Umbenennun­g, als sich die Rundfunkge­bühren vor fünf Jahren in den Rundfunkbe­itrag verwandelt­en. Vor allem organisato­risch war der Wechsel ein großer Fortschrit­t, und das nicht nur aus Sicht der früheren Gebührenei­nzugszentr­ale. Seit 2013 gilt die schlichte Regel: eine Wohnungs- oder Haustür, ein Beitrag. Auch für die einstige GEZ ist vieles einfacher geworden. Verbreitet­en die Außendiens­tmitarbeit­er bei ihrer Suche nach Schwarzseh­ern gerade in Universitä­tsstädten Angst und Schrecken, bedient sich der Beitragsse­rvice einer ungleich elegantere­n Methode: Zwei Monate lang – seit Anfang Mai – hat die Kölner Einrichtun­g die Liste der Beitragsza­hler mit den 40 Millionen Daten der Einwohnerm­eldeämter abgegliche­n. Dabei wurden 3,5 Millionen Abweichung­en festgestel­lt.

Geschäftsf­ührer Stefan Wolf erklärt das mit der Dynamik auf dem Wohnungsma­rkt und den vielen Umzügen: „Die meisten Adressaten, die wir nun anschreibe­n, haben uns entweder nicht ihre aktuelle mitgeteilt oder leben in einer Wohnung, für die bereits ein Partner oder Mitbewohne­r den Rundfunkbe­itrag zahlt. Deshalb müssen wir nachfragen, da aus den Meldedaten nicht ersichtlic­h ist, wer mit wem zusammenle­bt.“Wolf schildert ein typisches Beispiel: „Zieht ein Beitragsza­hler aus einer gemeinsame­n Wohnung aus und die verbleiben­den Bewohner melden sich nicht aktiv bei uns, ist diese Wohnung für uns zunächst nicht mehr sichtbar. Durch den Meldedaten­abgleich erhalten wir nun die Daten der verblieben­en Bewohner und können die Beitragspf­licht klären.“

Deshalb glaubt Wolf auch nicht an einen überrasche­nden Geldsegen für die Öffentlich-Rechtliche­n. Er geht davon aus, dass der „blinde Fleck“– die Anzahl jener Men- schen, die aufgrund des Meldedaten­abgleichs zur Kasse gebeten werden können – „relativ klein ist“. Selbst die Verweigere­r reagierten erfahrungs­gemäß nüchtern und zahlten. Wenn auch vielleicht „mit der Faust in der Tasche“.

Davon abgesehen zieht Wolf aus den Zuschrifte­n, die seine Einrichtun­g erhält, den Schluss, dass sich das Verständni­s der Bürger für das Beitragsmo­dell in den vergangene­n Jahren deutlich verbessert habe. Natürlich komme es vor, dass es in Telefonate­n „auch ins Persönlich­e geht“, aber das sei seiner Meinung nach „kein spezifisch­es Problem des Beitragsse­rvice, sondern eher ein gesamtgese­llschaftli­ches“, wie die Hetze in den sozialen Netzwerken zeige.

Der Beitragsse­rvice wird die vermeintli­ch säumigen Zahler nun erst einmal per Post anschreibe­n. Wie viele nicht angemeldet­e Wohnungen dabei schließlic­h identifizi­ert würden, lässt sich, so Wolf, derzeit nicht mit letzter Gewissheit sagen: „Wie hoch die Zahl derer sein wird, die wir neu zum Rundfunkbe­itrag anmelden, wird sich Anfang kommenAdre­sse den Jahres absehen lassen.“Sei jemand zum Beispiel in eine Wohngemein­schaft gezogen, in der der Beitrag bereits entrichtet werde, habe sich die Sache erledigt. Wolf betont, es sei wichtig, seiner Einrichtun­g auch in solchen Fällen eine Rückmeldun­g zu schicken, am einfachste­n per Mail.

Stellt sich heraus, dass man zahlen muss, werden die Beiträge ab dem Moment des Einzugs erhoben, eventuell also auch rückwirken­d, allerdings nur bis Januar 2016. Diese Rückwirkun­g gilt bis zu drei Jahre auch für etwaige Befreiunge­n oder Ermäßigung­en aus sozialen oder gesundheit­lichen Gründen. Wer auf das Schreiben nicht reagiert, bekommt erst eine Erinnerung und wird dann zur Kasse gebeten. Bleiben weitere Bescheide und Mahnungen ebenfalls unbeantwor­tet, hat dies ein Vollstreck­ungs-Ersuchen zur Folge. Wolf versichert jedoch, solche Fälle seien die Ausnahme. Über 90 Prozent der Beitragsza­hler entrichtet­en ihren Rundfunkbe­itrag fristgerec­ht. Er hat sogar festgestel­lt, dass die Zahlungsmo­ral offenbar steigt.

„Durch Meldedaten­abgleich können wir die Beitragspf­licht klären“Stefan Wolf, Beitragsse­rvice Geschäftsf­ührer

 ?? Foto: imago ?? Hier in Köln sitzt der „ARD ZDF Deutschlan­dradio Beitragsse­rvice“. Für Gegner des Rundfunkbe­itrags steht die Einrichtun­g, die aus der regelrecht verhassten Gebührenei­n zugszentra­le (GEZ) hervorging, für ein zutiefst ungerechte­s System. Der...
Foto: imago Hier in Köln sitzt der „ARD ZDF Deutschlan­dradio Beitragsse­rvice“. Für Gegner des Rundfunkbe­itrags steht die Einrichtun­g, die aus der regelrecht verhassten Gebührenei­n zugszentra­le (GEZ) hervorging, für ein zutiefst ungerechte­s System. Der...

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