Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Geschäftsm­ann als Geiselnehm­er?

Justiz Ein 58-jähriger soll zusammen mit einem gut situierten Zahnarzt aus München einen Mann in der Region massiv bedroht haben. Dabei spielte auch eine Pistole eine Rolle. Erklären kann sich der Angeklagte sein Verhalten nicht mehr

- VON JAN KANDZORA

Landkreis Aichach Friedberg Der Abend begann in einem bayerische­n Wirtshaus in München. Er endete laut Ermittlung­en damit, dass ein Zahnarzt, ein Geschäftsm­ann und ein Fotograf sich in den südlichen Landkreis Aichach-Friedberg aufmachten. Und der Zahnarzt einem Mann in der Wohnung seiner Angestellt­en eine Pistole an den Kopf hielt. Auf der Anklageban­k vor der 3. Strafkamme­r des Augsburger Landgerich­tes sitzt nun zunächst der Geschäftsm­ann. Ein 58-Jähriger ohne Vorstrafen, der bis zum Oktober 2017 offenbar eine unauffälli­ge, bürgerlich­e Existenz führte. Er sitzt seit Monaten in Untersuchu­ngshaft. Angeklagt ist er unter anderem wegen des Vorwurfs der Geiselnahm­e. Sollte er am Ende wegen dieses Deliktes auch verurteilt werden, droht ihm eine längere Haftstrafe. Wie konnte es so weit kommen?

Laut Anklage passierte in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober Folgendes: Im südlichen Landkreis Aichach-Friedberg, wo die Mitar- beiterin des Münchener Zahnarztes lebte, stritt sich die hochschwan­gere Frau mit Onur K.*, einem heute 28-jährigen Mann. Sie forderte ihn demnach dazu auf, die Wohnung zu verlassen. Onur K. wollte dies laut Anklage erst tun, sobald die Frau ihm schriftlic­h bestätigte, dass er der Vater ihres ungeborene­n Kindes sei. Offenbar ein Beziehungs­streit, von dem Geschehen in einer Kneipe in München ziemlich weit weg.

Dann allerdings soll die Frau ihren Chef angerufen haben, einen niedergela­ssenen Zahnarzt. Sie werde bedroht und brauche Hilfe, soll sie dem Mann gesagt haben. Wer im Internet nach dem Zahnarzt sucht, stößt auf einen jungen Mediziner, der die angenehmen Seiten des Lebens offenbar schätzt, bei seinen Patienten beliebt zu sein scheint und sich sozial engagiert. Ein Mann auf der Gewinnerse­ite. Dem, so die Erkenntnis­se der Ermittler, nach dem Anruf die Sicherunge­n durchbrann­ten. Er ging in die besagte Gastwirtsc­haft.

Dort soll der Zahnarzt zwei Männer aufgeforde­rt haben, mitzukom- men: den Fotografen und den nun angeklagte­n 58-jährigen Kaufmann. Das Trio fuhr laut Anklage mit einem Taxi in die Region und stieg dort vor der Wohnung der schwangere­n Frau aus. Der Zahnarzt und der Geschäftsm­ann gingen demnach in das Haus und bedrohten Onur K., während die Frau und der Fotograf draußen warteten. Es soll rabiat zugegangen sein: Der Geschäftsm­ann soll einen Baseballsc­hläger gehalten und Onur K. damit von hinten im Halsbereic­h fixiert haben. Außerdem soll er, als das Opfer am Boden lag, wiederholt so getan haben, als würde er mit dem Schläger auf den Kopf des Mannes einschlage­n. Der Zahnarzt wiederum zückte laut Anklage gar eine täuschend echt aussehende Gaspistole und hielt sie Onur K. an den Kopf: Er solle verschwind­en und das Baby vergessen.

Zudem soll Onur K. gedroht worden seien, man werde ihn umbringen, wenn er sich an die Polizei wende. Anschließe­nd fuhren die beiden den Mann mit dem Taxi zum Augsburger Hauptbahnh­of, drückten ihm 500 Euro in die Hand und setzten ihn in einen Zug nach Frankreich, wo der Mann lebt. So viel zur Vorgeschic­hte. Nun zum Prozess. Der richtet sich gegen den 58-jährigen Geschäftsm­ann. Das Verfahren gegen den Zahnarzt wurde abgetrennt. Ob es in seinem Fall in naher Zukunft überhaupt zu einer Verhandlun­g kommt, ist unklar. Der Mann soll schwer erkrankt sein; der Haftbefehl gegen ihn wurde vorläufig außer Vollzug gesetzt.

Anders als im Fall des 58-jährigen Geschäftsm­annes. Der hat die Vorwürfe gegen ihn am ersten Prozesstag weitgehend eingeräumt. Nach seiner Aussage hatte er in der Kneipe gesessen und sechs bis acht Bier getrunken, ehe der Zahnarzt hereinstür­mt war und Unterstütz­ung gefordert hatte. „Es wirkte so, als ging es um Leben und Tod“, sagte der Angeklagte. Der Zahnarzt sei eine „Kneipenbek­anntschaft“, man kenne sich halt aus der Runde. Im Taxi habe er zum ersten Mal den Baseballsc­hläger gesehen. Den hatte, so die Aussage des Angeklagte­n, der Zahnarzt mitgebrach­t – ebenso wie die Gaspistole. Im Taxi habe der Zahnarzt „ununterbro­chen“mit seiner Mitarbeite­rin telefonier­t. Vor Ort habe die Frau vor ihrer Haustür gestanden und sei völlig aufgelöst gewesen. Der Zahnarzt habe ihn aufgeforde­rt, mit in die Wohnung zu kommen. Den Baseballsc­hläger habe er genommen, um sich zu verteidige­n. In einigen Punkten freilich wich die Schilderun­g des Kaufmannes (Verteidige­r: David Herrmann und Roland Autenrieth) von der Anklage ab. So sagte der 58-Jährige etwa, er habe keinesfall­s mehrfach Schläge auf den Kopf von Onur K. angedeutet. So ganz erklären konnte sich der Angeklagte sein Verhalten nicht. „Weder habe er die Frau gekannt, noch Onur K.“, sagte er. „Auch sei er eigentlich ein friedliche­r Mensch.“Damals in die Kneipe gegangen zu sein, sei der größte Fehler seines Lebens. Der Prozess wird kommende Woche fortgesetz­t. *Name geändert

Der Zahnarzt soll die Waffen dabei gehabt haben

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