Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der vermessene Radler
Man setzt sich drauf und fährt los. Wie romantisch. Heute wird auf dem Fahrrad gezählt, gemessen und aufgezeichnet
Augsburg zählt die Stadt die Fahrräder: Konrad-Adenauer-Allee, Ulrichsbrücke und nahe der CityGalerie. Seit Januar waren an diesen drei Orten schon mehr als 1,1 Millionen Fahrräder unterwegs. Die meisten fahren in der AdenauerAllee über die unsichtbare Messschleife, mehr als eine halbe Million: Täglich im Schnitt rund 2500 – am eisigen Wintertag natürlich ein paar weniger als am 21. Juni 2018, als 5154 Radler (Rekord!) in Richtung Königsplatz oder TheodorHeuss-Platz unterwegs waren. Ist das viel? Eine Verkehrszählung vor ein paar Jahren ergab, dass in der Adenauer-Allee und der Schießgrabenstraße täglich knapp 12 000 Autos fahren. Das sind nur noch halb so viele wie vor dem Umbau des Königsplatzes. Ein Teil fährt nun anderswo, aber ein anderer ist – so hoffen wir einfach mal – auch auf das Rad umgestiegen. 2500 Radler klingt nicht übel – und sie sind deutlich angenehmer für Ohren und Lungen als die gleiche Zahl an Autos. Die Messpunkte sind keine Spielerei. Sie sollen zeigen, wo
wie viele Radfahrer un- terwegs sind und ein Zeichen setzen: Wir sind keine kleine Minderheit. Von wegen.
Mehr als 2000 Augsburger setzen derzeit noch ein zweites Zeichen. Im Stadtradeln schreiben sie jeden Fahrradkilometer auf. Bis Mittwoch waren es fast 390 000 – ich wünsche mir, dass die Zahl jetzt schon veraltet ist. Jeder kann noch mitmachen (stadtradeln.de/augsburg) und ein Zeichen setzen. Es wird gesehen. Beispiel gefällig? Die Fahrradstraße in Pfersee erhält nun doch Vorfahrt. Hut ab – das ist eine Einladung zum munteren Weiterradeln und digitalen Kilometersammeln.
Heute zählt der Radtacho jeden Meter geräuschlos. Die Sportuhr merkt sich jede Kurve und vergisst keinen Herzschlag. Manchmal schreibt sie frech: Trainieren Sie heute noch zehn Minuten... Und die Zukunft heißt Vernetzung. Räder, die mitteilen, wann die Bremsen abgefahren sind, die im Notfall Hilfe rufen und jeden Muckser dokumentieren. Spannend. Ja. Und nein. Manchmal denke ich an das leicht schabende Geräusch des ersten Tachos zurück. Ohne Batterie und Bluetooth. Einfach nur Freiheit auf zwei Rädern. Vorbei? Nein. Tacho weg, Uhr weg, Handy weg. Draufsitzen, losfahren, genießen.
Marcus Bürzle, 42, kam durch Zufall zum Fahrrad und sitzt inzwischen praktisch täglich drauf.
***
Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Mein Augsburg“mit typisch Augsburgerischen Ansichten und Geschichten.