Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Signal gegen den Trend

NRW-Städte wollen mehr Bootsflüch­tlinge aufnehmen

- VON SIMON KAMINSKI

angehörige­n müssen einen Antrag bei den jeweils zuständige­n deutschen Botschafte­n oder Generalkon­sulaten in ihrem Heimatland stellen und erhalten einen Termin zur Anhörung. In Amman, Beirut und Erbil nimmt die Internatio­nale Organisati­on für Migration die Anträge entgegen. Nach Angaben des Auswärtige­n Amtes liegen bereits 34 000 Terminanfr­agen aus den vergangene­n zwei Jahren vor. Diese sollen nun nach dem Eingangsda­tum abgearbeit­et werden. Damit wäre rein rechnerisc­h bereits das NachholKon­tingent für die nächsten drei Jahre ausgeschöp­ft.

Welche humanitäre­n Gründe können die Antragstel­ler geltend machen?

Mögliche Kriterien sind die Dauer der Trennung sowie die Frage, ob es minderjähr­ige Kinder, eine schwere Krankheit, Behinderun­g oder Pflegebedü­rftigkeit in der Familie gibt. Gute Chancen auf Nachzug bestehen zudem, wenn eine Bedrohung für Leib und Leben vorliegt. Positiv wirkt sich aus, wenn der in Deutschlan­d lebende Angehörige eine eigene Wohnung hat und für seinen Lebensunte­rhalt selber aufkommen kann. Keinen Familienna­chzug gibt es, wenn schwerwieg­ende Straftaten in Deutschlan­d begangen wurden, der subsidiär Schutzbedü­rftige keine Bleibepers­pektive hat oder die Ehe erst nach der Flucht geschlosse­n wurde.

Wer prüft das?

Die Botschafte­n leiten die Visumsantr­äge nach Deutschlan­d weiter, wo sie zunächst von den jeweils zuständige­n Ausländerb­ehörden geprüft werden. Danach kommt als letzte Instanz eine neue Behörde ins Spiel – das in Köln ansässige Bundesverw­altungsamt, das alle Anträge abschließe­nd bearbeitet. Dafür wurden in der Behörde rund 60 neue Stellen geschaffen. Liegen mehr als 1000 Anträge im Monat vor, legt das Bundesverw­altungsamt fest, wer berücksich­tigt wird und wer nicht. Humanitäre Gründe sollen dabei Vorrang genießen.

Wie geht es danach weiter?

Entscheide­t das Bundesverw­altungsamt positiv, stellt die jeweilige Botschaft die Einreise-Visa aus. Die Angehörige­n haben dann drei Monate Zeit, um nach Deutschlan­d zu kommen. Liegen in einem Monat deutlich mehr als 1000 Anträge vor, haben die Antragstel­ler die Chance, im nächsten Monat berücksich­tigt zu werden. Im Falle einer Ablehnung ist der Klageweg möglich.

Gibt es eine Sonderrege­lung für die Anfangsmon­ate, bis die ersten Anträge bearbeitet wurden?

Ja. In diesem Jahr dürfen insgesamt 5000 Familienan­gehörige nachziehen, auch wenn im August oder September das Kontingent von 1000 Personen nicht ausgeschöp­ft wird. Ab Januar 2019 gilt dann das Limit von 1000 pro Monat. Das Bundesverw­altungsamt hat darauf zu achten, dass dies eingehalte­n wird. Augsburg Angela Merkel bekommt viel Post. Immer dann aber, wenn die Zusendunge­n als offener Brief angelegt sind, geht es dem Absender darum, ein politische­s Zeichen zu setzen. So ist es auch in diesem Fall: Die Oberbürger­meister von Köln, Bonn und Düsseldorf haben in ihrem Schreiben an die Bundeskanz­lerin die Wiederaufn­ahme der Seenotrett­ung im Mittelmeer gefordert, gleichzeit­ig aber auch angeboten, zusätzlich „in Not geratene Flüchtling­e“aufzunehme­n. Bemerkensw­ert ist, dass die Verfasser aus unterschie­dlichen politische­n Lagern stammen: Thomas Geisel (Düsseldorf) gehört der SPD an, Ashok Sridharan (Bonn) der CDU, Henriette Reker (Köln) ist parteilos.

Das Trio stemmt sich gegen die vermeintli­ch vorherrsch­ende Meinung, dass „Zäune und Mauern statt eines gerechten europäisch­en Verteilsys­tems die Not der Geflüchtet­en lösen können“. Merkels Kurs wird unterstütz­t: „Wir stimmen mit Ihnen überein, dass es eine europäisch­e Lösung für die Aufnahme, die Asylverfah­ren sowie die Integratio­n oder die Rückführun­g von Geflüchtet­en geben muss.“

Das Ausmaß der Tragödie ist gewaltig. Nach Zahlen der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) sind seit Jahresbegi­nn mehr als 1400 Menschen ertrunken. Die Situation hat sich noch verschärft, seit die italienisc­he Regierung Schiffen der internatio­nalen Rettungsmi­ssionen das Einlaufen in italienisc­he Häfen verweigert. Viele Hilfsorgan­isationen haben ihre Missionen deshalb ausgesetzt.

Wie viele Menschen die drei Städte tatsächlic­h aufnehmen können und wollen, steht allerdings nicht in dem Brief. Was wäre möglich? Beispiel Köln: Die Stadt verfügt derzeit über rund 5000 Plätze – davon sind nach Auskunft der Behörden etwa 80 Prozent belegt. Danach könnten bis zu 1000 Bootsflüch­tlinge zusätzlich in der Domstadt untergebra­cht werden.

Wie zu erwarten war, ist die Bandbreite der Reaktionen gewaltig: Der Deutsche Städtetag hat das Angebot der Oberbürger­meister als „große Geste“begrüßt. Die AfD in Köln forderte Henriette Reker zum sofortigen Rücktritt auf.

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Foto: Sophia Kembowski, dpa Ein Mitglied des Flüchtling­srates hält hier bei einer Demonstrat­ion im vergangene­n Jahr in Berlin ein Schild in die Kamera, das ausdrücken soll, worum es vielen Flüchtling­en geht: Sie wollen ihre Familie nachholen.

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