Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Großbrand
Verdächtiger ist wieder frei
Bevor sie mit einer Kindergartengruppe vor die Tür gehen, schnaufen die Erzieherinnen alle erst einmal durch. 250 Meter Wegstrecke sind es von den Räumen der Einrichtung in einem dicht bebauten Augsburger Viertel zum Spielplatz, wo sich die Kinder austoben können. „Aber der Weg hat es in sich“, sagt die Einrichtungsleiterin – er führt nämlich über einen kombinierten Fuß- und Radweg. „Die Kinder sind darauf gedrillt, an der Seite zu laufen. Und trotzdem kommt es immer wieder zu gefährlichen Situationen.“Radler würden dicht und schnell an den Kindern vorbeifahren. „Und wenn man die Leute anspricht, kriegt man zu hören: ,Das ist ein Radweg und ich darf hier fahren.‘ Aber es sind halt Kinder, die gerade lernen, im Straßenverkehr zurechtzukommen“, sagt die Kindergartenchefin. 70 Prozent der Radler erlebe sie als rücksichtslos. „Und das alles hat seit fünf bis sechs Jahren zugenommen.“
Was ist da los auf den Straßen der Stadt? Fußgänger – etwa in der Pferseer Unterführung – schimpfen über Radler, die dicht und schnell an ihnen vorbeibrausen. Radler klagen über Autofahrer, die beim Rechtsabbiegen oder Türe öffnen nicht über die Schulter schauen und Radler ohnehin als Fremdkörper auf der Straße betrachten. Und Autofahrer schimpfen über Radler, die über rote Ampeln fahren und nachts ohne Licht unterwegs sind. Das war irgendwie schon immer so, aber in den vergangenen Jahren hat es gefühlt zugenommen.
Die Augsburger Verkehrstherapeutin Sabine Keinath vermutet, dass die steigende Verkehrsdichte eine Rolle spielt. „Dazu kommt oftmals die Hetze von einem zum nächsten Termin.“Das Verkehrsmittel werde dann zum Mittel, um Druck und Stress abzubauen. Zudem falle es Verkehrsteilnehmern offenbar schwer, sich in andere hineinzudenken. „Dazu muss man mal ausprobieren, wie es zum Beispiel als Radler im Straßenverkehr zugeht. Dann entsteht ein gewisses Verständnis, aber auch nur solange, wie eigene Bedürfnisse nicht betroffen sind.“Keinath rät, Zeitdruck zu vermeiden. „Man sollte schauen, dass der Tag nicht so getaktet wird, Pausen machen und die Rushhour meiden.“
Bei der Stadt Augsburg gibt es schon seit Jahren Pläne, eine Kampagne für mehr Miteinander im Verkehr aufzulegen. Ab Herbst soll es Workshops mit Interessensverbänden geben, 250 000 Euro sind für den Haushalt beantragt. Möglichkeiten seien, ein Straßenstück als „Fairness-Korridor“auszuweisen, wo alle Verkehrsteilnehmer darauf hingewiesen werden, dass sie Rücksicht nehmen müssen, so Stadtspre- Richard Goerlich. Auch an Gefahrenstellen seien Aktionen denkbar, zum Beispiel bei Rechtsabbieger-Spuren. Zunächst, so Goerlich, müsse die Bauverwaltung genau formulieren, wo die Probleme sind und Lösungen aufzeigen. „Nur schöne Bildchen und Slogans bringen nichts.“Eine wirksame Kampagne müsse Hand in Hand mit baulichen und Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmer gehen.
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) würde eine InfoKampagne begrüßen. Es sei aber klar, dass diese kein Ersatz für mehr Infrastruktur sei, so Vorstandsmitglied Arne Schäffler. Wenn die Stadt den Radverkehrsanteil auf 25 Prozent erhöhen will, dann müsse sie auch die Infrastruktur dafür schaffen, sonst provoziere sie sehenden Auges Konflikte. Schäffler verweist darauf, dass die Zahl der verletzten Radler in Augsburg im vergangenen Jahr gestiegen ist.
Die eine Seite des Problems sei, dass Infrastruktur für Radler häufig veraltet sei. Kombinierte Geh- und Radwege seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die andere Seite des Problems sei das Verhalten von Verkehrsteilnehmern, Radler eingeschlossen. „Wenn es durch Rücksichtslosigkeit zu berechtigtem Hass auf Radfahrer kommt, kann es mit der Radstadt genauso wenig klappen, wie wenn Baumaßnahmen und Verbesserungen in der Verkehrslenkung nicht gestartet werden“, so Schäffler. Der Weg sei neben Aufklärung auch mehr Repression. Mit dem Rad bei Rot über die Ampel zu fahren, auf dem Radweg in die falcher sche Richtung zu fahren oder nachts ohne Beleuchtung unterwegs zu sein, werde in Augsburg kaum geahndet. Unter anderem wäre es sinnvoll, wenn die Polizei ihre Fahrradstreifen verstärken würde. Diese seien kaum vorhanden.
Bei der Polizei verweist man darauf, dass im Rahmen der Möglichkeiten Fahrradstreifen unterwegs sind. Radler mit dem Streifenwagen anzuhalten, sei nicht immer einfach, wenn man Auffahrunfälle und Stürze vermeiden wolle. Insgesamt ging die Zahl der Verkehrsunfälle in Augsburg in den vergangenen Jahren um 16 Prozent nach oben – ein Zeichen für die steigende Verkehrsdichte. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Unfälle mit Radlern an, die Zahl der Unfälle mit Fußgängern sank. »Kommentar