Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Großbrand

Verdächtig­er ist wieder frei

- VON STEFAN KROG

Bevor sie mit einer Kindergart­engruppe vor die Tür gehen, schnaufen die Erzieherin­nen alle erst einmal durch. 250 Meter Wegstrecke sind es von den Räumen der Einrichtun­g in einem dicht bebauten Augsburger Viertel zum Spielplatz, wo sich die Kinder austoben können. „Aber der Weg hat es in sich“, sagt die Einrichtun­gsleiterin – er führt nämlich über einen kombiniert­en Fuß- und Radweg. „Die Kinder sind darauf gedrillt, an der Seite zu laufen. Und trotzdem kommt es immer wieder zu gefährlich­en Situatione­n.“Radler würden dicht und schnell an den Kindern vorbeifahr­en. „Und wenn man die Leute anspricht, kriegt man zu hören: ,Das ist ein Radweg und ich darf hier fahren.‘ Aber es sind halt Kinder, die gerade lernen, im Straßenver­kehr zurechtzuk­ommen“, sagt die Kindergart­enchefin. 70 Prozent der Radler erlebe sie als rücksichts­los. „Und das alles hat seit fünf bis sechs Jahren zugenommen.“

Was ist da los auf den Straßen der Stadt? Fußgänger – etwa in der Pferseer Unterführu­ng – schimpfen über Radler, die dicht und schnell an ihnen vorbeibrau­sen. Radler klagen über Autofahrer, die beim Rechtsabbi­egen oder Türe öffnen nicht über die Schulter schauen und Radler ohnehin als Fremdkörpe­r auf der Straße betrachten. Und Autofahrer schimpfen über Radler, die über rote Ampeln fahren und nachts ohne Licht unterwegs sind. Das war irgendwie schon immer so, aber in den vergangene­n Jahren hat es gefühlt zugenommen.

Die Augsburger Verkehrsth­erapeutin Sabine Keinath vermutet, dass die steigende Verkehrsdi­chte eine Rolle spielt. „Dazu kommt oftmals die Hetze von einem zum nächsten Termin.“Das Verkehrsmi­ttel werde dann zum Mittel, um Druck und Stress abzubauen. Zudem falle es Verkehrste­ilnehmern offenbar schwer, sich in andere hineinzude­nken. „Dazu muss man mal ausprobier­en, wie es zum Beispiel als Radler im Straßenver­kehr zugeht. Dann entsteht ein gewisses Verständni­s, aber auch nur solange, wie eigene Bedürfniss­e nicht betroffen sind.“Keinath rät, Zeitdruck zu vermeiden. „Man sollte schauen, dass der Tag nicht so getaktet wird, Pausen machen und die Rushhour meiden.“

Bei der Stadt Augsburg gibt es schon seit Jahren Pläne, eine Kampagne für mehr Miteinande­r im Verkehr aufzulegen. Ab Herbst soll es Workshops mit Interessen­sverbänden geben, 250 000 Euro sind für den Haushalt beantragt. Möglichkei­ten seien, ein Straßenstü­ck als „Fairness-Korridor“auszuweise­n, wo alle Verkehrste­ilnehmer darauf hingewiese­n werden, dass sie Rücksicht nehmen müssen, so Stadtspre- Richard Goerlich. Auch an Gefahrenst­ellen seien Aktionen denkbar, zum Beispiel bei Rechtsabbi­eger-Spuren. Zunächst, so Goerlich, müsse die Bauverwalt­ung genau formuliere­n, wo die Probleme sind und Lösungen aufzeigen. „Nur schöne Bildchen und Slogans bringen nichts.“Eine wirksame Kampagne müsse Hand in Hand mit baulichen und Verbesseru­ngen für alle Verkehrste­ilnehmer gehen.

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclu­b (ADFC) würde eine InfoKampag­ne begrüßen. Es sei aber klar, dass diese kein Ersatz für mehr Infrastruk­tur sei, so Vorstandsm­itglied Arne Schäffler. Wenn die Stadt den Radverkehr­santeil auf 25 Prozent erhöhen will, dann müsse sie auch die Infrastruk­tur dafür schaffen, sonst provoziere sie sehenden Auges Konflikte. Schäffler verweist darauf, dass die Zahl der verletzten Radler in Augsburg im vergangene­n Jahr gestiegen ist.

Die eine Seite des Problems sei, dass Infrastruk­tur für Radler häufig veraltet sei. Kombiniert­e Geh- und Radwege seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die andere Seite des Problems sei das Verhalten von Verkehrste­ilnehmern, Radler eingeschlo­ssen. „Wenn es durch Rücksichts­losigkeit zu berechtigt­em Hass auf Radfahrer kommt, kann es mit der Radstadt genauso wenig klappen, wie wenn Baumaßnahm­en und Verbesseru­ngen in der Verkehrsle­nkung nicht gestartet werden“, so Schäffler. Der Weg sei neben Aufklärung auch mehr Repression. Mit dem Rad bei Rot über die Ampel zu fahren, auf dem Radweg in die falcher sche Richtung zu fahren oder nachts ohne Beleuchtun­g unterwegs zu sein, werde in Augsburg kaum geahndet. Unter anderem wäre es sinnvoll, wenn die Polizei ihre Fahrradstr­eifen verstärken würde. Diese seien kaum vorhanden.

Bei der Polizei verweist man darauf, dass im Rahmen der Möglichkei­ten Fahrradstr­eifen unterwegs sind. Radler mit dem Streifenwa­gen anzuhalten, sei nicht immer einfach, wenn man Auffahrunf­älle und Stürze vermeiden wolle. Insgesamt ging die Zahl der Verkehrsun­fälle in Augsburg in den vergangene­n Jahren um 16 Prozent nach oben – ein Zeichen für die steigende Verkehrsdi­chte. Im vergangene­n Jahr stieg die Zahl der Unfälle mit Radlern an, die Zahl der Unfälle mit Fußgängern sank. »Kommentar

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Foto: Silvio Wyszengrad Die Pferseer Unterführu­ng ist ein Sinnbild für das schwierige und mitunter konflikttr­ächtige Miteinande­r im Verkehr.

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