Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Frage der Woche

- STEFANIE WIRSCHING

In früheren Zeiten hatten die Hundstage ein mieses Image. Gewarnt wurde vor plötzliche­m Haarausfal­l, schlechtem Wein, tollwütige­n Mondsüchti­gen und vor dem Baden, weil während der Hundstage das Wasser schnell mal giftig werde. Heute hält sich kein Mensch mehr an all die Regeln. Gebadet wird wie irre, die Mondsüchti­gen torkeln glücklich von einem Sommerfest zum nächsten, und im Hugo mit ordentlich Holundersi­rup gesüßt und mit Minze garniert schmeckt auch noch schlechter Wein. Man kann die Hundstage also genießen. Aber sollte man es auch tun? Unbedingt! Die Hundstage nämlich sind so etwas wie der Siedepunkt des Jahres, einmal alles abgekocht, dann ist der Sommer so weich wie Spaghetti nach acht Minuten. Also genau richtig. Und der Mensch kann sich endlich sommersatt fühlen, gestillt nämlich die Sehnsucht nach der Wärme.

Deswegen zum Beispiel pilgern alle Italiener im August ans Meer, auch wenn sie den Sand nur mit Flipflops betreten können, das eben gekaufte Eis auf dem Weg zum Liegestuhl zerrinnt, das Meer sich als warme Badewanne gibt… So aber muss man es machen, die trägen heißen Tage bis zur Neige auskosten, so wie man auch ab und an ordentlich ausschlafe­n muss! Dann aber kann es wieder weitergehe­n, darf der erste kühle Hauch an den Herbst erinnern, kann man sich ein wenig wehmütig vom Sommer verabschie­den, die dickeren Jacken wieder rausholen, die Schulhefte fürs neue Jahr kaufen, an die ersten Weihnachts­geschenke denken … Weil einem die Kälte nicht mehr schrecken kann, wenn man zumindest einmal die Hitze gefühlt hat. Weil die Hundstage so etwas wie die goldene Essenz des Sommers sind. Weil man nur dann Rilke zitieren kann: „Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.“

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Foto: dpa
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