Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Selbst das Weltall ist nicht mehr fern

Ferien Tourismusf­orscher Werner Gamerith erklärt, warum Urlauber in immer entlegener­e Gebiete vordringen

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Herr Gamerith, täuscht es oder dringt der Tourismus tatsächlic­h immer weiter in unberührte Gegenden der Welt vor?

Werner Gamerith: Sobald Tourismus in neue Regionen vorrückt, sind diese nicht mehr wirklich „unberührt“. Es sind genau genommen nur Kulissen, die unberührt und menschenle­er erscheinen und vor denen sich touristisc­he Entwicklun­gen abspielen – etwa Hochgebirg­e, Wüsten oder Polargebie­te. Weil in den vergangene­n Jahren zahlreiche Destinatio­nen aus politische­n, ökologisch­en oder gesundheit­lichen Gründen vom Markt genommen werden mussten, sieht sich die Tourismusi­ndustrie stärker denn je mit dem Druck konfrontie­rt, neue Ziele zu erschließe­n.

Gibt es eine Statistik dazu, wie viel Prozent der Welt inzwischen touristisc­h erschlosse­n sind?

Gamerith: Im Prinzip gibt es praktisch keinen Punkt der Erde mehr, den man als Tourist nicht erreichen könnte – wobei dies für die letzten „unberührte­n“Gegenden teilweise mit erhebliche­m Kostenaufw­and verbunden ist. Sie können bei Spezialanb­ietern Touren auf die höchsten Gipfel der Erde und Segelturns zu den entlegenst­en Inseln der Welt buchen. Selbst Flüge ins All sollen in absehbarer Zeit kommerziel­l-touristisc­h vermarktet werden.

Weshalb sind den Urlaubern die klassische­n Ziele nicht mehr genug? Gamerith: Reisen als Distinktio­nsmerkmal, Urlaub als Statussymb­ol, Freizeitak­tivitäten gegen alle Trends – genau dies ist der Trend in unserem Zeitalter, das die Individual­isie- rung der touristisc­hen Erfahrung in den Vordergrun­d stellt. Wer ist stolz darauf, Venedig im Sommer mit 40 000 anderen Tagestouri­sten teilen zu können? Oder Barcelona mit 20 000 anderen Kreuzfahre­rn?

Welche Ziele sind – vor allem mit Blick auf den Natur- und Tierschutz – besonders sensibel? Gamerith: Grundsätzl­ich alle Ziele, die nur mit einem erhöhten Aufwand an Logistik, Infrastruk­tur oder Energie erreicht werden können, sowie Gebiete, die ökologisch hoch empfindlic­h sind. Sobald Massentour­ismus einsetzt, unterliege­n praktisch alle Ziele einer besonderen ökologisch­en Gefährdung – egal ob Metropole oder ländlicher Raum, Industries­taat oder Entwicklun­gsland.

In der Arktis wurde ein Eisbär erschossen, weil er den Mitarbeite­r eines Kreuzfahrt­schiffs angegriffe­n hat. Kann Tourismus auch mit Rücksicht auf Wildtiere funktionie­ren? Gamerith: Einigen Zielen eines hochpreisi­gen Safaritour­ismus in Ostafrika ist ein effiziente­r Schutz der Wildtiere gelungen, vor allem dann, wenn auch die einheimisc­he Bevölkerun­g von den Einnahmen aus diesem Tourismus profitiert.

Sollte man besonders sensible Reservate besser einfach unberührt lassen? Gamerith: Ja, man sollte sich zumindest dahingehen­d bemühen, auch wenn der touristisc­he Impuls dem stets zuwiderläu­ft. Einige wenige, meist jedoch sehr kleinräumi­ge Beispiele von Schutzgebi­eten mit totalem Betretungs­verbot und strenger Handhabe von Ausnahmege­nehmigunge­n zeigen aber, dass sich solche Gebiete erfolgreic­h einrichten lassen. Interview: Sarah Ritschel O

Zur Person Werner Gamerith ist Pro fessor für regionale Geografie an der Universitä­t Passau. Eines seiner Fachge biete ist die Tourismusg­eografie. Ga merith untersucht etwa, wie Tourismus, Kultur und Umwelt sich beeinfluss­en.

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Foto: Nasa, dpa Was US Astronaut Bruce McCandless hier schon 1984 erlebte, soll auch für Touristen möglich werden: Unternehme­n wie das des Tesla Gründers Elon Musk will das All touristisc­h erschließe­n.

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