Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was soll nur aus der Liebe werden?
Zeitgeist Ein Mann, eine Frau, beide als Blogger über Sex und Gefühle zu Stars geworden: Ihre Debütromane entblößen
Was wird in Zeiten der Selfie-Kultur und der Selbst-Optimierung aus Beziehungen? Wie wirken sich die Verschiebungen der Geschlechterrollen aufs Mann- und Frau-Sein, aufs Paar-Sein aus? Was macht die Verfügbarkeit von Partnern über Dating-Plattformen wie Tinder mit dem Gefühlsleben? Solche Fragen unserer Zeit beschäftigen auch Wissenschaftler, Politiker und Künstler – für den größten Wirbel aber sorgen sie naturgemäß im Medium des Zeitgeistes selbst, im Internet. Dort werden Menschen mit ihren öffentlich privaten Kolumnen zu Stars, hier: die Blogger der Liebe.
In Deutschland hat das Michael Nast zu einem umschwärmten Bestsellerautoren gemacht, beginnend mit einer Folge seiner Online-Texte, die mit der Überschrift „Generation Beziehungsunfähig“so ins Herz traf, dass die Leser in die Millionen gingen und dann auch die Buchversion diesen Titel trug. In den USA erreicht Melissa Broder auf Twitter über ein halbe Million Abonnenten unter dem Motto „So Sad Today“(So traurig heute), und auch daraus wurde ein gleichnamiger Buchbestseller. Traurig, tatsächlich, denn bei der Broder wie bei Nast ist der Befund ein großes Unglück: Die Liebe droht zwischen Überforderung und Verklärung, Marktlogik und Erlebnissucht in einer Welt mit vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten unmöglich zu werden.
Welches Prinzip hier am Werk ist und bei Millionen Menschen ankommt, offenbart sich gerade, indem die beiden Autoren nun ihre ersten Bücher der Fiktion vorgelegt haben. Michael Nasts Debütroman heißt „#Egoland“, der von Melissa Broder „Fische“– in beiden geht es um die Unmöglichkeit der Liebe – auf ihre jeweils eigene Art. Nast, der in Kolumnen vordergründig launig und im Kern dunkel analytisch schreibt, um dann ins Pathos des Besinnungspropheten zu kippen, hat einen Plot um Manipulationen mit Identitäten und Gefühlen gebastelt. Melissa Broder, die einen literarischen Ton anschlägt, am besten originell, immer emotional, hat eine Fantasie über einen geheimnis-, vielleicht auch verhängnisvollen, jedenfalls übermenschlichen Retter aus dem Liebesdilemma gesponnen. Es ist fast schon witzig: der Mann den Thriller, die Frau das Märchen.
Was dagegen nicht witzig ist: Beides sind im Kern Methoden, um dem Stoff die größtmögliche Dramatik zu verleihen. Und das darf durchaus als typisch gelten. Am Ende geht es nur darum, einen realistischen Blick auf die nun mal restlos irdische Liebe zu gewinnen, um sie zu retten. Eigentlich bieder. Aber darum müssen die Erzählungen auch in Bloggs ein möglichst mächtiges Spannungsverhältnis zwischen Traum und Gefährdung aufbauen. Unterhaltung eben. Bloß täuschen sie viel mehr Relevanz vor, als beschrieben sie die Wirklichkeit.
» Die Bücher
Melissa Broder: Fische.
Übs. Eva Bonné, Ullstein, 352 S., 21 ¤ Michael Nast: #Egoland.
Edel, 432 S., 17,95 ¤