Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im Berliner Haifischbe­cken kämpft Horst Seehofer ums Überleben

Leitartike­l Er wollte das Innenminis­terium wie die Staatskanz­lei führen. Doch er kann nicht über den Niederunge­n der Politik schweben. Seine Gegner riechen die Schwäche

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Aufgeben kommt für ihn nicht infrage. Obwohl sich scheinbar alle Kräfte gegen ihn verschwore­n haben. Und tatsächlic­h, unter Aufbietung aller Energie gelingt ihm der größte Fang seines Lebens. Doch die Freude währt nicht lange. Im Wasser lauern die Haifische, seine Beute zieht sie magisch an. Am Ende bleibt ihm nur das blanke Skelett.

Horst Seehofer ist nicht Santiago, der Fischer aus Ernest Hemingways eindrucksv­oller Novelle „Der alte Mann und das Meer“. Und doch sind die Parallelen verblüffen­d. Kurz nur ist die Spanne zwischen Erfolg und Demütigung, der Fang löst sich buchstäbli­ch in nichts auf. So droht es auch Horst Seehofer zu ergehen, der in den Koalitions­verhandlun­gen im Frühjahr in einem letzten großen politische­n Triumph das Innenminis­terium erbeutete – und nun selber im Haifischbe­cken der Berliner Politik zur Beute seiner Gegner wird. Verzweifel­t kämpft er um sein Amt wie auch um seine Reputation und muss fast schon hilflos mit ansehen, wie er all das nicht mehr verteidige­n kann. Längst ist er zur tragischen Figur dieser Regierung geworden, weil er erst mit großen Ankündigun­gen gestartet ist, die er in der Kürze der Zeit nicht einhalten konnte. Dann zettelte er einen Konflikt mit Angela Merkel an, der fast zum Koalitions­bruch führte, und nun, sichtlich angeschlag­en, wird er von allen Seiten bedrängt.

Unverkennb­ar, ausgerechn­et der erfahrene Polit-Profi Horst Seehofer, der schon unter Helmut Kohl im Kabinett saß, hat die Bedeutung, die Größe und die Komplexitä­t seines Amtes unterschät­zt, das er zudem zusätzlich noch um die Bereiche Bauen und Heimat erweiterte. Schon ohne diese Zusatzaufg­aben erfordert das Innenresso­rt den ganzen Mann, die Spanne reicht von der klassische­n Innenpolit­ik über die Terrorabwe­hr und den Verfassung­sschutz bis zum Sport. Doch Seehofer, der Generalist, glaubte, das Haus wie früher seine Staatskanz­lei in Bayern führen zu können. Er gibt oben die groben Leitlinien vor, darunter erledigen seine Staatssekr­etäre die Detailarbe­it. Doch ein Innenminis­ter ist kein über den Niederunge­n der Politik schwebende­r Ministerpr­äsident, denn er ist eingebunde­n in die Kabinettsd­isziplin, muss sich mit der Schwesterp­artei und mit dem Koalitions­partner abstimmen. Zudem hat er es in vielen Fragen der inneren Sicherheit mit den selbstbewu­ssten Länderkoll­egen und in den großen europäisch­en Fragen mit den EUKollegen zu tun. Zudem ist er politisch verantwort­lich für das, was in den zahllosen ihm unterstehe­nden Behörden, vom Bamf bis zum Verfassung­sschutz, passiert. Wenn aber nun selbst aus dem Führungszi­rkel des Innenresso­rts Berichte lanciert werden, der Chef sei oft nur an drei Tagen in der Woche am Schreibtis­ch und – selbst für seine Staatssekr­etäre – manchmal stundenlan­g nicht erreichbar, er meide die Sitzungen in Brüssel und lasse Akten unbearbeit­et liegen, dann wirft dies ein schlechtes Licht auf den Minister.

Als im Frühjahr Markus Söder nach der Macht im Freistaat griff, konnte Seehofer nur CSU-Chef bleiben, weil er nach Berlin wechselte. Doch beide Jobs bedingen einander wechselsei­tig. Ohne CSU-Vorsitz kein Innenminis­terium, ohne Innenminis­terium kein CSU-Vorsitz. Der Wechsel-Coup war der Fang seines Lebens. Nun aber kreisen die Haie um ihn, riechen seine Schwäche und verstärken die Angriffe. Von allen Seiten gerät er unter Beschuss. Viel deutet darauf hin, dass sich am 14. Oktober sein Schicksal entscheide­t, wenn die CSU einen Schuldigen für ein mögliches Wahldebake­l in Bayern braucht. Dann droht Horst Seehofer mit leeren Händen dazustehen. Wie Santiago, der Fischer, nach dem Fang seines Lebens.

CSU-Vorsitz und Innenminis­terium bedingen einander

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