Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Angst vor dem Ausnahmezustand
Reanimation Warum die Feuerwehren im Landkreis Augsburg bei Herz-Kreislauf-Versagen alarmiert werden und wie Kutzenhausen auf die losgetretene Diskussion reagiert
Kutzenhausen/Landkreis Augsburg Können sich Feuerwehren weigern, zu Reanimationseinsätzen auszurücken? Und: Müssen die Freiwilligen jetzt Aufgaben übernehmen, für die sonst eigentlich der Rettungsdienst zuständig ist? Um diese Fragen dreht sich eine Diskussion, die der Gemeinderat von Kutzenhausen losgetreten hat. Das Gremium hatte die Freiwilligen von den Einsätzen zur Wiederbelebung entbunden. Viele Kollegen schütteln darüber den Kopf.
„Das kann ich persönlich nicht nachvollziehen“, sagt beispielsweise Wolfgang Baumeister. Er ist der Kommandant der Gersthofer Feuerwehr, die eine der größten im Landkreis ist. Baumeister sagt: Das Einzige, was man bei der Reanimation falsch machen könne, sei nichts zu tun. Auch die Feuerwehr in Herbertshofen wollte jüngst mit ihrer Abschlussübung ein Zeichen setzen – nämlich für die Reanimation. Das Szenario zielte genau auf die schnelle Hilfe ab.
Ein Landwirt erlitt auf dem Weg zu seinem Feld einen Herzstillstand und kam mit seinem Traktorgespann von der Fahrbahn ab. Der Hänger, der mit Flüssigdünger beladen war, kippte um und landete in einer Böschung. Die Feuerwehr reanimierte den Landwirt mit einem Defibrillator, sicherte den Hänger und fing die auslaufenden Stoffe auf. „So kann es definitiv auch passieren“, sagt Kommandant Dominik Dirr, der die Übung geplant hatte. Für ihn ist klar: „Wenn ich ein Leben retten kann, dann muss ich das auch tun. So wie jeder andere Bürger auch.“Er fragt sich: Wie oft komme es denn vor, dass die Feuerwehr zu einem Reanimationseinsatz gerufen wird? Dirr: „Das ist doch alle heilige Zeit so.“
In der Gemeinde Kutzenhausen waren es drei Fälle innerhalb kürzester Zeit. Der erste brachte gleich ein Schockerlebnis: Alle Mühen hatten keinen Erfolg. Die Einsätze später diskutiert und dann hinterfragt. Der Tenor: Einige Freiwillige – es gibt mehrere Feuerwehren im Gemeindegebiet – fühlten sich zu wenig informiert und nicht ausreichend auf die Ausnahmesituation vorbereitet. Bürgermeisterin Silvia Kugelmann: „Es gab Ängste, etwas falsch zu machen oder am Ende verantwortlich gemacht zu werden.“Der Gemeinderat legte deshalb sein Veto ein, nachdem es seitens des Bayerischen Innenministeriums in einem Schreiben hieß, dass die reine Reanimation keine Pflichtaufgabe, sondern eine freiwillige Aufgabe sei. Die Integrierte Leitstelle kündigte daraufhin an, trotzdem die Feuerwehr zu alarmieren, weil sie sich aus strafrechtlicher Sicht dazu verpflichtet sieht. Eine Stellungnahme des Ministeriums lag gestern noch nicht vor.
Der Kommandant der Feuerwehr Kutzenhausen, Matthias Böck, stellt klar: „Wir werden keine Hilfe ablehnen, unabhängig von der rechtlichen Würdigung.“Seine Mannwurden schaft habe sich für die Reanimation entschieden und stehe immer parat. Und Kutzenhausens Bürgermeisterin Kugelmann sagt: „Es geht nicht darum, dass unsere Feuerwehr nicht helfen will oder den Dienst verweigert. Im Gegenteil. Sie ist sehr verantwortungsbewusst und will es nur richtig machen.“Kugelmann hat gehört, dass sich auch andere Feuerwehren überfordert fühlen. Es sei auch nie zur Diskussion gestanden, nicht zu einem Einsatz zu fahren. Bei dem komme es schließlich auf jede Sekunde an. Darauf geht Stefan Würz von der Integrierten Leitstelle Augsburg ein.
Bei Herz-Kreislauf-Versagen sinke mit jeder Minute ohne Versorgung die Überlebenswahrscheinlichkeit rapide. Kommt der Rettungsdienst erst nach zwölf Minuten, was nach der Gesetzeslage zulässig ist, dann könne es schon zu spät sein. Um Zeit zu gewinnen, werden deshalb die Feuerwehren als Ersthelfer alarmiert, was aber nicht mit den First Respondern verwechselt werden dürfe. Die Freiwilligen sollen lediglich das sogenannte therapiefreie Intervall überbrücken. So heißt in der Notfallmedizin der Zeitraum bis zum Eintreffen qualifizierter medizinischer Hilfe – im Idealfall wird mit Sofort- und ErsteHilfe-Maßnahmen begonnen. Würz: Es gehe dabei nicht darum, Aufgaben des Rettungsdienstes abzuwälzen.
Auf die Feuerwehr zurückzugreifen, sei für die Disponenten der Leitstelle auch immer eine Einzelfallentscheidung. Sie komme immer dann in Betracht, wenn die Feuerwehr schneller als der Rettungsdienst vor Ort sein kann und ein Zeitgewinn in Aussicht ist. Zeit, die über Leben und Tod entscheidet. Im Durchschnitt gibt es im Landkreis vier bis fünf Fälle im Monat, bei denen die Freiwilligen alarmiert werden, so Würz. Das sei so, seit die Leitstelle auch über das Telefon Anleitung zur Reanimation gibt. Besteht Verdacht auf einen Herzstillstand, dann wird nicht nur der nächstgelegene Notarzt und Rettungswagen geschickt, sondern der Anrufer erhält auch Anweisungen zur Ersten Hilfe.
Für Kommandant Wolfgang Baumeister aus Gersthofen steht nach der Diskussion fest: „Wir müssen die Angst vor der Wiederbelebung nehmen. Mit einem Defi kann man nichts falsch machen.“Und: „Wir sind da, um zu helfen und um Leben zu retten – egal, ob das jetzt Pflicht oder eine freiwillige Aufgabe ist.“»Kommentar