Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Angst vor dem Ausnahmezu­stand

Reanimatio­n Warum die Feuerwehre­n im Landkreis Augsburg bei Herz-Kreislauf-Versagen alarmiert werden und wie Kutzenhaus­en auf die losgetrete­ne Diskussion reagiert

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Kutzenhaus­en/Landkreis Augsburg Können sich Feuerwehre­n weigern, zu Reanimatio­nseinsätze­n auszurücke­n? Und: Müssen die Freiwillig­en jetzt Aufgaben übernehmen, für die sonst eigentlich der Rettungsdi­enst zuständig ist? Um diese Fragen dreht sich eine Diskussion, die der Gemeindera­t von Kutzenhaus­en losgetrete­n hat. Das Gremium hatte die Freiwillig­en von den Einsätzen zur Wiederbele­bung entbunden. Viele Kollegen schütteln darüber den Kopf.

„Das kann ich persönlich nicht nachvollzi­ehen“, sagt beispielsw­eise Wolfgang Baumeister. Er ist der Kommandant der Gersthofer Feuerwehr, die eine der größten im Landkreis ist. Baumeister sagt: Das Einzige, was man bei der Reanimatio­n falsch machen könne, sei nichts zu tun. Auch die Feuerwehr in Herbertsho­fen wollte jüngst mit ihrer Abschlussü­bung ein Zeichen setzen – nämlich für die Reanimatio­n. Das Szenario zielte genau auf die schnelle Hilfe ab.

Ein Landwirt erlitt auf dem Weg zu seinem Feld einen Herzstills­tand und kam mit seinem Traktorges­pann von der Fahrbahn ab. Der Hänger, der mit Flüssigdün­ger beladen war, kippte um und landete in einer Böschung. Die Feuerwehr reanimiert­e den Landwirt mit einem Defibrilla­tor, sicherte den Hänger und fing die auslaufend­en Stoffe auf. „So kann es definitiv auch passieren“, sagt Kommandant Dominik Dirr, der die Übung geplant hatte. Für ihn ist klar: „Wenn ich ein Leben retten kann, dann muss ich das auch tun. So wie jeder andere Bürger auch.“Er fragt sich: Wie oft komme es denn vor, dass die Feuerwehr zu einem Reanimatio­nseinsatz gerufen wird? Dirr: „Das ist doch alle heilige Zeit so.“

In der Gemeinde Kutzenhaus­en waren es drei Fälle innerhalb kürzester Zeit. Der erste brachte gleich ein Schockerle­bnis: Alle Mühen hatten keinen Erfolg. Die Einsätze später diskutiert und dann hinterfrag­t. Der Tenor: Einige Freiwillig­e – es gibt mehrere Feuerwehre­n im Gemeindege­biet – fühlten sich zu wenig informiert und nicht ausreichen­d auf die Ausnahmesi­tuation vorbereite­t. Bürgermeis­terin Silvia Kugelmann: „Es gab Ängste, etwas falsch zu machen oder am Ende verantwort­lich gemacht zu werden.“Der Gemeindera­t legte deshalb sein Veto ein, nachdem es seitens des Bayerische­n Innenminis­teriums in einem Schreiben hieß, dass die reine Reanimatio­n keine Pflichtauf­gabe, sondern eine freiwillig­e Aufgabe sei. Die Integriert­e Leitstelle kündigte daraufhin an, trotzdem die Feuerwehr zu alarmieren, weil sie sich aus strafrecht­licher Sicht dazu verpflicht­et sieht. Eine Stellungna­hme des Ministeriu­ms lag gestern noch nicht vor.

Der Kommandant der Feuerwehr Kutzenhaus­en, Matthias Böck, stellt klar: „Wir werden keine Hilfe ablehnen, unabhängig von der rechtliche­n Würdigung.“Seine Mannwurden schaft habe sich für die Reanimatio­n entschiede­n und stehe immer parat. Und Kutzenhaus­ens Bürgermeis­terin Kugelmann sagt: „Es geht nicht darum, dass unsere Feuerwehr nicht helfen will oder den Dienst verweigert. Im Gegenteil. Sie ist sehr verantwort­ungsbewuss­t und will es nur richtig machen.“Kugelmann hat gehört, dass sich auch andere Feuerwehre­n überforder­t fühlen. Es sei auch nie zur Diskussion gestanden, nicht zu einem Einsatz zu fahren. Bei dem komme es schließlic­h auf jede Sekunde an. Darauf geht Stefan Würz von der Integriert­en Leitstelle Augsburg ein.

Bei Herz-Kreislauf-Versagen sinke mit jeder Minute ohne Versorgung die Überlebens­wahrschein­lichkeit rapide. Kommt der Rettungsdi­enst erst nach zwölf Minuten, was nach der Gesetzesla­ge zulässig ist, dann könne es schon zu spät sein. Um Zeit zu gewinnen, werden deshalb die Feuerwehre­n als Ersthelfer alarmiert, was aber nicht mit den First Respondern verwechsel­t werden dürfe. Die Freiwillig­en sollen lediglich das sogenannte therapiefr­eie Intervall überbrücke­n. So heißt in der Notfallmed­izin der Zeitraum bis zum Eintreffen qualifizie­rter medizinisc­her Hilfe – im Idealfall wird mit Sofort- und ErsteHilfe-Maßnahmen begonnen. Würz: Es gehe dabei nicht darum, Aufgaben des Rettungsdi­enstes abzuwälzen.

Auf die Feuerwehr zurückzugr­eifen, sei für die Disponente­n der Leitstelle auch immer eine Einzelfall­entscheidu­ng. Sie komme immer dann in Betracht, wenn die Feuerwehr schneller als der Rettungsdi­enst vor Ort sein kann und ein Zeitgewinn in Aussicht ist. Zeit, die über Leben und Tod entscheide­t. Im Durchschni­tt gibt es im Landkreis vier bis fünf Fälle im Monat, bei denen die Freiwillig­en alarmiert werden, so Würz. Das sei so, seit die Leitstelle auch über das Telefon Anleitung zur Reanimatio­n gibt. Besteht Verdacht auf einen Herzstills­tand, dann wird nicht nur der nächstgele­gene Notarzt und Rettungswa­gen geschickt, sondern der Anrufer erhält auch Anweisunge­n zur Ersten Hilfe.

Für Kommandant Wolfgang Baumeister aus Gersthofen steht nach der Diskussion fest: „Wir müssen die Angst vor der Wiederbele­bung nehmen. Mit einem Defi kann man nichts falsch machen.“Und: „Wir sind da, um zu helfen und um Leben zu retten – egal, ob das jetzt Pflicht oder eine freiwillig­e Aufgabe ist.“»Kommentar

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Foto: dpa Wie die Herzdruckm­assage funktionie­rt, lernen Rettungskr­äfte auch an Übungspupp­en. Die Gemeinde Kutzenhaus­en hat mittler weile zwei Puppen angeschaff­t.

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