Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bis heute ein Mythos
Historie In Belfast wurde die Titanic gebaut. Das Schiffsmuseum dort ist eins der besten der Welt. Touristen erleben selbst, in welchem Luxus die Passagiere ihrem Schicksal entgegenfuhren
Belfast Fast schwebt man die elegante Treppe hinauf, lichtdurchflutet der Aufgang durch die große Kuppel aus Eisen und Buntglas. Es geht vorbei an der geschnitzten Wandtäfelung in den Speisesaal, wo der rote Teppich die Klänge der Geigenspieler dämpft. Es sind die Luxusräume der Titanic, die man bei dem virtuellen Rundgang mithilfe von riesigen Leinwänden auf drei Seiten erblickt, während im Maschinenraum die Motoren dröhnen und in der Holzklasse darüber Gänge zu den einfachen Kabinen führen.
Im Titanic-Museum im nordirischen Belfast ist der Besucher zurückversetzt in die Zeit jenes berühmten Schiffes, dessen Geschichte und Mythos bis heute die Menschen faszinieren. Das spektakuläre Gebäude liegt in den ehemaligen Hafen-Docks. Fast genau an jener Stelle wurde das 268 Meter lange Gefährt von 3000 Arbeitern in der Werft von Harland & Wolff gebaut. „Es war die Zeit der Industrialisierung und Belfast war Boom-Stadt“, wie es in der multimedialen Ausstellung heißt, die auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse von damals beleuchtet. Das Museum misst dieselbe Höhe wie einst die Titanic und beim Blick aus einem der Panoramafenster im oberen Stockwerk wird einem das Ausmaß des Schiffs bewusst.
Am 31. Mai 1911 wurde es hier unter dem Jubel zehntausender Zuschauer von der Rampe zu Wasser gelassen, um dann im Jahr 1912 seine Jungfernfahrt von Southampton nach New York zu starten. Dort aber sollte die Titanic nie ankommen. Am 14. April 1912 sank der unsinkbare Dampfer nach dem Zusammenstoß mit einem Eisberg.
„Wir haben die Geschichte zurück nach Nordirland gebracht“, sagt Judith Owens, Chefin des Museums. Auf vier Stockwerken wird mithilfe von persönlichen Erinnerungen, Briefen, Nachbauten der Möbel, Erzählungen einzelner Schicksale, Installationen sowie Fotos und Botschaften der Passagiere und Werftarbeiter der Weg vom Bau der Titanic bis zu ihrer letzten Ruhestätte auf dem Meeresboden des Nordatlantiks beschrieben.
Das war keineswegs selbstverständlich, über Jahrzehnte hegte Belfast eine zurückhaltende, fast schamvolle Beziehung zu der Katastrophe. Das Trauma saß tief und erst spät erkannte man den Wert der Titanic für die hiesige Wirtschaft. Immerhin, der Liner sei funktionsfähig gewesen, als er hier vom Stapel gelassen wurde, sagt einer der Museumsführer wie als Versicherung dafür, dass nicht die Nordiren Schuld am Desaster tragen. Die Rückbesinnung auf die Schiffsbau- tradition scheint sich für Belfast auszuzahlen. 2016 wurde das Museum in einer Umfrage zur weltweit führenden Touristenattraktion gekürt. Seit der Eröffnung 2012 strömten mehr als 4,5 Millionen Besucher aus 145 Ländern in die Riesenausstellung, 85 Prozent kamen von außerhalb Nordirlands. Belfast ist mit der Inszenierung des Untergangs die Auferstehung als Touristenziel gelungen. Die 340 000-EinwohnerStadt versucht, ihre dunkle Vergangenheit zu überwinden. Die Wunden des Nordirland-Konflikts sind keineswegs verheilt, zu frisch ist der Frieden, zu fragil sind die Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken, Unionisten und Republikanern selbst 20 Jahre nach dem historischen Karfreitagsabkommen. Um mehr Gäste anzulocken, hat sich die Innenstadt in den vergangenen Jahren herausgeputzt, Sterne-Restaurants siedelten sich an, Infrastrukturprojekte wurden realisiert.
Doch heute treibt den nördlichen Teil des Vereinigten Königreichs die Sorge vor den Auswirkungen des EU-Austritts um. Der Brexit als Eisberg? Die Menschen in Nordirland hoffen vielmehr, dass der Tourismus weiterwächst. Es gebe noch viel Luft nach oben, sagt John McGrillen vom Tourismusverband in Nordirland. 2017/2018 etwa hatte das Titanic-Museum so viele Besucher wie nie zuvor, Hotels werden gebaut, die Filmindustrie lässt sich im neuen Titanic-Viertel nieder. Die Erfolgsgeschichte von Belfast soll jetzt erst richtig losgehen.