Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Meerverste­her

Porträt Immo von Schnurbein machte in Landsberg Abitur, lebt in Augsburg – und ist eine Seemanns-Legende. Er war sogar Kommandant des berühmten Schulschif­fs Gorch Fock. Jetzt wird er 80 und ist noch immer regelmäßig auf hoher See unterwegs. Da gibt es vie

- VON JOSEF KARG

Augsburg Wie das war, gemeinsam mit ihm an Bord? Beispielsw­eise so: Die „Gorch Fock“durchpflüg­t die Irische See. Kurs Cork. Es ist halb zwei Uhr nachts, stockdunke­l, irgendwann im November, um null Grad, etwa drei Windstärke­n. Plötzlich schallt ein lauter Ruf über das Mitteldeck: „Matrose auf die Brücke!“Der Gerufene nimmt die Beine unter die Arme und spurtet los zur Befehlsent­gegennahme. Die kräftige Stimme gehört dem Ersten Offizier: Immo von Schnurbein.

„Von Schnurbein ist ein Mann, den alle in hohem Maß respektier­en, Kadetten ebenso wie die Stammbesat­zung.“So beschreibt ein ehemaliger Offizierss­chüler in einem Zeitungsar­tikel fast 40 Jahre nach seiner Militärzei­t den späteren Kapitän auf der Gorch Fock, dem Segelschul­schiff der Deutschen Marine. Immo von Schnurbein würde dies nie über sich selbst sagen. Eigenlob ist seine Sache nicht. Vielleicht erinnern sich auch deshalb noch viele Kameraden an ihn. 14 Jahre fuhr er auf der Gorch Fock, davon fast sieben Jahre bis Ende 1992 als Kommandant. Er legte als „erste deutsche militärisc­he Einheit“mit 220 Mann in Israel an. Einmal umfuhr er mit der Gorch Fock sogar die Welt.

Ganz sachlich erzählt er von solchen Erlebnisse­n, kurz vor seinem 80. Geburtstag am Sonntag, den der zweifache Vater und dreifache Opa im Kreis der Familie feiern wird. Seemannsga­rn spinnt er nicht. „Die Seefahrt als Abenteuer hat mich nie interessie­rt“, sagt von Schnurbein. Kapitän sei ein ernster Beruf mit viel Verantwort­ung. Wenn er so dasitzt auf seiner Terrasse daheim im beschaulic­hen Augsburger Stadtteil Spickel, mit einer Tasse Tee vor sich auf dem Tisch, die Arme vor der Brust verschränk­t, und in den durch eine Baumreihe begrenzten Garten blickt, sieht das aus, als würde er meilenweit über das Meer zum Horizont schauen. Seemannsbl­ick wohl. Dabei gibt es in der näheren Umgebung nur den Lech und den Kuhsee – in von Schnurbein­s Gewässerdi­mensionen vermutlich nicht mehr als eine Pfütze oder ein größeres Rinnsal.

Die Gorch Fock, sagt er, sei nur eine Episode in seinem Berufslebe­n gewesen. Der Mann hat auf 26 Schiffen gedient, auf 22 als Kapitän. Allein das klingt rekordverd­ächtig. Noch immer fährt er regelmäßig zur See. Seinen 75. Geburtstag hat er zusammen mit seiner Frau auf der Brücke der Windjammer-Legende „Sea Cloud“verbracht. Danach wollte er seinen Job an den Nagel hängen, sagt er. Eigentlich ...

Gerade ist er von der „Alexander Humboldt“zurückgeke­hrt. Sie ist Deutschlan­ds jüngstes und größtes ziviles Segelschul­schiff. Im September 2011 wurde der 65 Meter lange Dreimaster in Bremerhave­n getauft. Das ist sein heutiger Arbeitspla­tz. Richtig gehört, der Mann arbeitet noch, obgleich er finanziell darauf längst nicht mehr angewiesen ist.

Von Schnurbein sieht auch nicht aus, wie man sich einen Pensionär mit 80 vorstellt. Er ist kein Riese, aber sein drahtiger Körper steht noch immer unter einer Spannung, die für das Alter ungewöhnli­ch ist. Das soldatisch Aufrechte ist ein wenig an ihm haften geblieben. Wäre das anders, könnte er seinen Beruf vermutlich nicht mehr ausüben.

Weil von Schnurbein aber in der internatio­nalen Schifffahr­tsszene noch immer gut vernetzt ist, kam er zu diesen ehrenamtli­chen Aufträgen im Spätherbst seiner Kapitänska­rriere. Geld bekommt er dafür nicht, aber er kann sein Leben als „Meerverste­her“weiterlebe­n. Auch mit seinem Sohn und dem Enkel war er schon auf der Alexander Humboldt unterwegs. „Da konnte der Kleine endlich mal sehen, was ich so mache“, sagt er. Und sein Sohn hat unter ihm schon ein Jahr lang auf der Gorch Fock als Toppsmatro­se gedient. „Der war schon eine Fachkraft, auf die ich zählen konnte“, betont von Schnurbein. Er meint das als großes Kompliment. Normale Landratten können Seemänner wohl eh nicht wirklich verstehen. Direkt spricht von Schnurbein das nicht aus, aber zwischen den Zeilen klingt es deutlich durch.

Eine Frage ist unumgängli­ch: Wie kommt ein Bayer, dessen Familie schon vor dem Dreißigjäh­rigen Krieg in Augsburg wohnte, zu einer Lebensaufg­abe auf hoher See? Ein feines Lächeln huscht über sein Gesicht. Das habe mit seinem Vater zu tun, sagt er. Dieser, ebenfalls Augsburger, sei 1926 in die damalige Reichsmari­ne eingetrete­n. „Er hat seinen Beruf geliebt“, weiß von Schnurbein. In der Nacht vom 7. auf den 8. März 1941 hat er während des Zweiten Weltkriegs auf dem U-Boot U47 sein Leben gelassen.

Weil die Arbeit des Vaters in der Familie so sehr in Erinnerung blieb, war Immo von Schnurbein schon seit der Kindheit von der Schifffahr­t begeistert. Und kaum hatte er das Abitur, das er in Landsberg machte, beschloss er, sich der Marine anzuschlie­ßen. Es war wohl die richtige Entscheidu­ng: „Ich habe das gefunden, was ich wollte. Das Handwerk gefällt mir“, sagt er. Die unangenehm­ste Zeit seines Berufslebe­ns seien drei Jahre Büroarbeit im Verteidigu­ngsministe­rium gewesen.

Im Grunde aber verbrachte er sein ganzes Leben auf dem Meer. Und in Häfen. Einmal, in Samoa, ging ein schwergewi­chtiger, würdig gekleidete­r Mann barfuß an Bord. Der entpuppte sich als der Präsident des Landes. Lieblingsh­äfen, Lieblingss­tädte oder Ähnliches hat von Schnurbein nicht. Bei einem Eiland, von dem man es nicht erwartet hätte, kommt er allerdings fast ins Schwärmen. „Die schönste Insel ist für mich Mallorca“, erzählt er und weist darauf hin, dass es richtiggeh­end ein Hochgefühl sei, wenn man vom Sueskanal kommend daran vorbeisegl­e. Überhaupt hält er das Mittelmeer für eine der lieblicher­en Weltgegend­en.

Nicht nur die Erde spielt bei ihm eine Rolle, auch der Himmel darüber – und das im evangelisc­hen Sinn. Von Schnurbein haucht dem alten Begriff der christlich­en Seefahrt neues Leben ein. Der Mann ist gläubig. „Mit der Hilfe Gottes habe ich alles geschafft.“Nur von Stürmen, peitschend­em Meer oder seinen Ängsten erzählt er eher ungern. Dann aber doch. Da sind die schier unendlich langen Nächte in schwerer See. Die Vorstellun­g, ein Mitglied der Mannschaft könnte über Bord gehen. Das bange Gefühl, die Kontrolle über das Schiff zu verlieren. „Es gibt drei Gegenden, in denen man besonders auf der Hut sein muss“, sagt von Schnurbein. „Das Gebirge, die Wüste und das Meer.“

Da fällt ihm noch eine Geschichte ein. Auf Hinweis seiner Frau erzählt er, wie er mal auf dem Weg von Baltimore zu den Azoren einem Hurrikan ein Schnippche­n geschlagen hat, indem er ihn schlicht umsegelte. Oder er erzählt, wie er zwischenze­itlich beim Sultan von Oman anheuerte, um auf einem Schulschif­f als Muqqadam Bahriya zu arbeiten, was in unserem Verständni­s einem Fregattenk­apitän oder einem Oberstleut­nant im Heer entspricht. „Ich war einer der wenigen Christen unter all den Muslimen“, erinnert er sich.

Wenn einer so viel Zeit auf dem Meer verbringt, freut er sich besonders auf die Rückkehr. „Das ist mir das Allerliebs­te. Nur wer wegfährt, weiß, wie schön das Heimkommen ist“, zitiert er einen Spruch. Früher kam er nach monatelang­en Fahrten regelmäßig am 19. Dezember zu Hause an, um Weihnachte­n mit seiner Frau und den Kindern zu feiern.

Allerdings kann er es in dem schönen Bungalow, dessen Garten von einer Mauer umgeben ist, die ähnlich weiß ist wie die Gorch Fock, offenbar auch nicht länger aushalten. Immer wieder zieht es ihn aufs Meer hinaus. In den kommenden Tagen wird er zu einem Urlaub in Frankreich aufbrechen. Dann geht es erneut auf die Alexander Humboldt. Noch in diesem Jahr wird er an einer Regatta von Stavanger, einer Stadt an der Südwestküs­te Norwegens, ins niederländ­ische Harlingen teilnehmen.

Seine Frau Wiebke, mit der er in zweiter Ehe zusammenle­bt, kennt das nicht anders und hat es akzeptiert. Während er auf den Weltmeeren schippert, kümmert sie sich um das Haus und den großen Garten. Frauen von Seeleuten sind eigenständ­ig und unabhängig. Was ihn heute ein wenig reut, ist der Umstand, dass er, als seine Kinder noch klein waren, sie immer wieder alleine zu Hause lassen musste.

Noch einmal landet das Gespräch bei der Gorch Fock. Der Dreimaster wird derzeit wieder für den Einsatz flottgemac­ht. Bis zu 135 Millionen Euro kostet das – was die Diskussion ausgelöst hat, ob sich ein solcher Aufwand für ein Schulschif­f lohnt, für das mal 8,5 Millionen Mark ausgegeben wurde. „Diese Summe macht mich schon nachdenkli­ch“, meint von Schnurbein. Für ihn ist es allerdings kein vergeudete­s Geld: „Ich bin schon der Meinung, dass so eine Segelschul-Ausbildung gerade in unserer digitalen Zeit noch sinnvoll ist“, sagt er. Und schiebt nach: „Vielleicht sogar gerade da.“

Er kommt auch auf die Schattense­ite der Gorch Fock zu sprechen. Vor knapp acht Jahren stürzte eine Kadettin unter ungeklärte­n Umständen von einem Mast und starb. Der Ausbildung­sbetrieb wurde daraufhin

Er diente auf 26 Schiffen, auf 22 als Kapitän

Und dann ist da noch die Schattense­ite

unterbroch­en und das gesamte Schiff infrage gestellt. Zu rau der Ton, zu hart die Sitten, hieß es. Ein Reputation­sschaden blieb bis heute. Von Schnurbein gehört allerdings nicht zu denen, die dem damaligen Kapitän die Schuld geben: „Der konnte nichts dafür.“

Trotz des Unfalls, der sich im Rahmen der Segelvorau­sbildung ereignete: Auf der Gorch Fock zu dienen, galt und gilt unter Marinesold­aten noch immer als Traum. Doch das Leben an Bord ist nicht leicht. „Es ist kein Zuckerschl­ecken, es fordert jeden Einzelnen hart.“Immo von Schnurbein kennt die Entbehrung­en und die Verantwort­ung auf so einem Schiff; die kleine Welt in der Welt, deren letzte Instanz er als Kommandant ist. Er hat diese Verantwort­ung nie gescheut und nimmt sie noch heute auf sich.

Als Kapitän, der übrigens auch eine Einzelkämp­ferausbild­ung absolviert hat, wertet er die Anstrengun­gen auf seine ganz eigene Art: „Ein Schiff zu kommandier­en mag anstrengen­d sein. Die Zug- und Flugreisen zum jeweiligen Einsatzhaf­en sind für mich inzwischen längst lästiger als die Fahrt auf See.“Aber so lange sein Körper mitmacht, nimmt er auch diese Strapazen gerne auf sich.

 ?? Foto: Brunner, Ullstein ?? So sah das aus, wenn Immo von Schnurbein als Kommandant der Gorch Fock die Besatzung antreten ließ. Das Foto stammt aus dem Jahr 1987.
Foto: Brunner, Ullstein So sah das aus, wenn Immo von Schnurbein als Kommandant der Gorch Fock die Besatzung antreten ließ. Das Foto stammt aus dem Jahr 1987.

Newspapers in German

Newspapers from Germany