Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Rückzug

Kosovo Die Bundeswehr holt in ihrem Feldlager Prizren die Flagge ein. Die Bilanz nach fast 20 Jahren Kfor-Mission: Knapp 130000 Bundeswehr­kräfte im Einsatz, 27 tote Soldaten, 3,4 Milliarden Euro Kosten. Hat sich der Aufwand gelohnt?

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Prizren Vor der Kapelle haben sie einen Weg angelegt und bunte Rosen gepflanzt. Folgt man dem Pfad, gelangt man mit wenigen Schritten zum Fitnessstu­dio „Sportoase“. Ein Stück den Hügel hinunter wurden eine 400-Meter-Laufbahn, ein Tennisplat­z und eine Sporthalle aus dem Boden gestampft. Außerdem Bars, Restaurant­s – und im Hintergrun­d eine saftig grüne Bergkuliss­e. Denkt man sich die Uniformen weg, den Stacheldra­ht, die Wachtürme, dann könnte man das deutsche Feldlager Prizren mit einem Freizeitpa­rk verwechsel­n.

Seit 1999 ist die Bundeswehr im Kosovo im Einsatz. Rund zwei Jahrzehnte, in denen die Soldaten ein sicheres Umfeld in einer zwischen Serben und Albanern umstritten­en Balkan-Region schaffen sollten. Nebenbei bauten sich die Deutschen hier im Feldlager im Süden des Landes ein Zuhause – rund 1300 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. Sie haben den Gebäuden Namen gegeben wie „Grüne Villa“, „Roter Stab“und „Blaue Residenz“. Sie haben deutsche Verkehrssc­hilder aufgestell­t und gelbe Briefkäste­n. Scherzhaft sprechen manche von „Bad Prizren“. „Wenn wir noch mal 20 Jahre hier wären, hätten wir vielleicht ein Schwimmbad“, scherzt Detlef G. Der Hauptmann kennt jede Ecke in dem Feldlager. Er war bereits sechs Mal im Kosovo im Einsatz. Diesmal wird sein letztes Mal sein. Denn die Soldaten schließen das Lager. Der Bundeswehr­einsatz im Kosovo ist damit zwar nicht vollständi­g vorbei. Ein paar Dutzend Soldaten sollen in der Hauptstadt Pristina bleiben. Aber weil der Großteil der Deutschen in Prizren sitzt, endet mit dem Abzug von dort auch ein Stück Bundeswehr-Geschichte. Der Kfor-Einsatz ist der bislang längste Einsatz der Truppe. Und er begründete den Wandel der Bundeswehr zur Einsatzarm­ee im Ausland. Kfor, das steht für das englische Kosovo Force, also KosovoTrup­pe. Das waren einmal 50 000 Soldaten aus rund 40 Staaten. Heute sind noch bis zu 4500 Militärs zur Friedenssi­cherung aktiv.

Am Anfang von Einsätzen wirken die Aufgaben von Soldaten meist klar umrissen. Da herrschen Konflikte und Gewalt. Der damalige Grünen-Außenminis­ter Joschka Fischer rechtferti­gte die Bomben im Kosovo-Krieg 1999 auch mit dem Slogan: „Nie wieder Auschwitz“. Aus Protest bekam er auf einem Sonderpart­eitag seiner friedliebe­nden Partei damals einen Farbbeutel an den Kopf geworfen.

Der Einsatz im Kosovo hat allein bis 2016 nach Angaben der Bundeswehr rund 3,4 Milliarden Euro gekostet. 27 Soldaten starben dort – wenn auch nicht durch Kämpfe, sondern durch Unfälle und Suizide. Bis zum Ende des Jahres wollen die Bundeswehr-Soldaten in Prizren die deutsche Flagge einholen. Bis dahin ist noch viel zu tun. Detlef G. steht in einer Halle. Es ist 10.37 Uhr, heiß und stickig an diesem Juli-Tag. Wenige Meter vor ihm fahren zwei Transportp­anzer des Typs „Fuchs“durch eine Art Waschanlag­e. Jedes Fahrzeug, das den kosovarisc­hen Boden berührt hat und nach Deutschlan­d transporti­ert wird, muss mit Säure behandelt werden. Die Tierseuche­n-Prophylaxe soll verhindern, dass mit den Panzern Erreger etwa der Vogelgripp­e in die Heimat gelangen.

„Ich war immer gerne hier“, sagt Detlef G. Der Allgäuer mag das warme Wetter und die Landschaft. Jetzt werden die Gebäude im Feldlager entweder abgerissen oder umgebaut. Ein Innovation­s- und Ausbildung­spark für die Kosovaren soll hier entstehen. Detlef G. selbst fühlt sich mittlerwei­le sicher in dem Land auf dem Westbalkan. Das war nicht immer so. Er erinnert sich gut an seinen ersten Einsatz im Kosovo vor mehr als zehn Jahren. Damals sei in der Morgenlage noch von Schießerei­en und Handgranat­en die Rede gewesen.

Angefangen hatte der Einsatz mit Nato-Bomben. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg beteiligte­n sich deutsche Soldaten an einem Kampfeinsa­tz – und das ohne Mandat der UN. Die Serben hatten versucht, die albanische Bevölkerun­g aus der Region zu vertreiben und Serben anzusiedel­n. Wochenlang warf die Nato Bomben auf militärisc­he Ziele in Serbien. Serbische Truppen sollten so zum Rückzug aus dem Kosovo gezwungen werden. Nach den Luftangrif­fen akzeptiert­e Belgrad die internatio­nale Kontrolle und die Kfor-Soldaten rückten ein. Knapp 130000 deutsche Soldaten beteiligte­n sich über die Jahre an der Mission, wobei viele mehrfach dort waren und doppelt gezählt wurden. Zu Beginn waren knapp 6500 deutsche Kräfte im Kosovo. Aktuell sind es noch rund 360.

Thomas D. steht mit seinem Team vor einer gewaltigen Aufgabe. Der 39-jährige Major aus Schleswig-Holstein ist Chef der Materialsc­hleuse. Das heißt: oberster militärisc­her Möbelpacke­r im Lager. Vom Schraubens­chlüssel bis zum Panzer muss alles wieder in die Heimat verfrachte­t werden. 220 Container und 250 Fahrzeuge sind es. Hunderttau­sende Einzelteil­e. Waffen und Munition werden per Luft transpor19­99 tiert, der Großteil des Kriegsgerä­ts auf dem Landweg. Der Logistiker war 2012 bereits als Soldat im Kosovo. Damals war es noch ein anderer Einsatz. Bei der Räumung einer Straßenspe­rre im Norden des Kosovo wurden zwei deutsche Soldaten angeschoss­en. „Das Land hat in den sechs Jahren eine enorme Entwicklun­g gemacht“, sagt Thomas D. und zeigt auf Häuser in Prizren. „Die haben Plastikmül­l in jedem Garten verbrannt.“Dann schwärmt er von der Mülltrennu­ng und Infrastruk­tur im jüngsten Staat Europas heute.

Und welches Land hinterläss­t die Bundeswehr? Oberstleut­nant Christian Kiesel führt zu der Zeit das 50. Kontingent. Er sitzt Ende Juli an einem großen Konferenzt­isch in seinem Büro, in wenigen Tagen wird er in die Heimat zurückkehr­en. Neben der Tür zeigt ein Bild eine Ursula von der Leyen aus jüngeren Tagen. Obwohl die CDU-Verteidigu­ngsministe­rin regelmäßig die Truppen besucht, war sie seit 2014 nicht mehr im Kosovo bei den Soldaten. Die Kfor-Mission gilt als der „vergessene“Einsatz. Das kann man als gutes Zeichen werten – als Zeichen, dass es nicht mehr knallt.

Für den 43-jährigen Kiesel jedenfalls ist die Mission das Paradebeis­piel für einen militärisc­h erfolgreic­hen Einsatz. „Wir ziehen auch deshalb ab, weil es hier funktionie­rt.“Die Bundeswehr habe rund 20 Jahre

Deutsche Verkehrssc­hilder und gelbe Briefkäste­n

das sichere Umfeld dafür geschaffen, dass sich die Region gut entwickeln konnte. Allerdings leben in Prizren auch kaum noch Serben. In der geteilten Stadt Mitrovica im Norden des Landes etwa, wo Albaner und Serben Nachbarn sind, ist die Lage viel angespannt­er. Und wenn das Land so sicher ist, warum ist man dann nicht längst abgezogen? „Da müssen Sie die Politiker fragen“, sagt der Kommandeur.

Inwieweit ist das Kosovo über zehn Jahre, nachdem es seine Unabhängig­keit erklärte, wirklich demokratis­ch und friedlich? Die Antwort hängt auch von der Perspektiv­e ab. Für viele Bewohner bleibt die Lage trostlos. Es herrschen Armut und Rekordarbe­itslosigke­it. Das Land gilt als einer der kriminells­ten und korruptest­en Staaten Europas. Der Nationalis­mus auf der Balkanhalb­insel erstarkt insgesamt an vielen Orten. Alte Konflikte sind nicht gelöst.

Fatmir Nurkollari, 50, bekommt heute noch Gänsehaut, wenn er in einem Hotel in der Altstadt von der Nacht des 12. Juni 1999 erzählt. Damals, als die deutschen Soldaten nach Prizren kamen. „Wir rannten aus unseren Häusern, umkreisten die Panzer“, sagt der Albaner. Monatelang hätten sie in Angst gelebt und sich vor serbischen Nachbarn verstecken müssen. „Und dann waren wir plötzlich frei.“Heute spüre er wieder Angst, erzählt er, weil die Deutschen abzögen. „Ohne die Nato sind wir nicht sicher“, sagt er. Nico Pointner, dpa

Die Mission gilt als „vergessene­r“Einsatz

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Fotos (3): Sina Schuldt Bundeswehr­soldaten der deutschen Kfor verpacken in der Materialsc­hleuse die Ausrüstung. Nach fast 20 Jahren endet der Einsatz der Truppe im Kosovo.
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Foto: dpa Außenminis­ter Joschka Fischer (Grüne) nach einer Farbbeutel Attacke eines Gegners der Kosovo Mission.
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Schilder verweisen auf die Heimatorte der Soldaten, die aus ganz Deutschlan­d kommen.
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Ist mit der Koordinier­ung des Rücktrans ports der Ausrüstung beschäftig­t: Major Thomas D.

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