Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auswandern oder bleiben?

Gesellscha­ft Wie der jüdische Gastronom Feinberg in Berlin mit Antisemiti­smus umgeht

- VON RUDI WAIS

Berlin Der Hass, der aus Herrn Fischer spricht, füllt inzwischen 40 Seiten. „JUDENSAU“ist dabei noch eine der harmlosere­n Entgleisun­gen. Mal illustrier­t Herr Fischer seine Morddrohun­gen mit Exekutions­videos, mal stellt er gleich die komplette Geschichts­schreibung auf den Kopf: „Alle Kriege gehen auf eure Kappe“, wirft er Yorai Feinberg dann vor, einem jüdischen Gastronome­n aus Berlin. „Millionen Deutsche ermordet, aber Ihr erfindet die Gaskammern.“Und überhaupt: „Kein anderes Volk ist ein so widerliche­s wie Ihr. Schon eure hässliche Visagen!“In Herrn Fischers Welt ist für Juden kein Platz, schon gar nicht in Deutschlan­d: „Euch muss man echt erschlagen.“

Yorai Feinberg hat alles, was der unbekannte Herr Fischer ihm in den vergangene­n Wochen geschriebe­n hat, kopiert und gespeicher­t. Beleidigt und bedroht habe man ihn schon häufiger, sagt er. „Aber nicht in diesem Ausmaß.“Wer Herr Fischer ist, weiß er nicht – es könnte sein, dass der Anonymus sich nach Ludwig Fischer benannt hat, einem SA-Mann, der während des Krieges Gouverneur von Warschau war und später als Kriegsverb­recher zum Tode verurteilt wurde. Polizei und Staatsanwa­ltschaft, die Feinberg mehrfach eingeschal­tet hat, aber treten auf der Stelle. Rechner, über die Hass-Mails verbreitet werden, stehen häufig im Ausland. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter geben die Identitäte­n ihrer Kunden auch in solchen Fällen nicht preis – oder Verfahren werden eingestell­t, weil ein Staatsanwa­lt keine ehrverletz­enden Äußerungen erkennen mag. Dafür wurde Feinberg selbst zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätze­n verurteilt, nachdem er einen Pöbler vor zwei Jahren als „Scheiß Araber“beschimpft hatte.

An diesem Nachmittag sitzt der 37-jährige Israeli vor seinem Lokal in einer ruhigen Seitenstra­ße im Bezirk Schöneberg und erzählt vom alltäglich­en Antisemiti­smus in Berlin. Von dem Mann, der sich über den jüdischen Kerzenleuc­hter im Schaufenst­er des Restaurant­s erregt und ihm droht: „In zehn Jahren lebst du nicht mehr.“Von Gästen, die anonym im Internet einen Tisch für Adolf Hitler bei ihm reserviere­n. Von Kellnern, häufig arabischer Herkunft, die nicht bei Juden arbeiten wollen und ihm das auch so deutlich sagen. Und von den Unbekannte­n, die ihm jedes Jahr während seines Betriebsur­laubes im Dezember einen Haufen Hundekot vor das

Von Gästen, die anonym Tisch für Adolf Hitler bestellen

Restaurant werfen. „Aggressive­r und kompromiss­loser“, sagt Feinberg, sei der Ton gegenüber Juden geworden. Und nirgendwo in Deutschlan­d werden mehr antisemiti­sche Straftaten begangen als in Berlin.

Als Yorai Feinberg vor vielen Jahren zum ersten Mal in die Bundesrepu­blik kommt, um an einer Balettschu­le zu studieren, ist für ihn eines klar: „Ich kritisiere junge Deutsche nicht für das, was damals war.“Er selbst dagegen, Sohn eines Holocaust-Überlebend­en, wird mit dem „damals“täglich neu konfrontie­rt. Mord, Tod, Gas: Es seien, erzählt er, vor allem junge Muslime, die ihn beschimpft­en und bedrohten. Und natürlich hat er sich überlegt, ob er Deutschlan­d wieder verlassen soll, so wie viele französisc­he Juden zuletzt nach Israel ausgewande­rt sind. Feinberg aber hat sich für das Bleiben entschiede­n. „Ich habe mir hier etwas aufgebaut“, sagt er und zeigt stolz auf sein Restaurant, das er gerade erst erweitert hat.

In Jerusalem, wo er aufgewachs­en ist, gab es Stadtteile, in die junge Juden wie er nur äußerst ungern gegangen sind – zu gefährlich. Dort, erinnert er sich, habe aber er vor allem eines gelernt: nicht zu kapitulier­en.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Er will nicht kapitulier­en: Gastronom Yorai Feinberg.

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