Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Griechenla­nd: Auferstand­en aus Ruinen?

Hintergrun­d Das Rettungspr­ogramm ist zu Ende. Ab Montag muss sich das Land wieder selbst mit Kapital versorgen. Doch geschafft ist es für Athen damit noch lange nicht

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Pierre Moscovici lehnt sich gerne besonders weit aus dem Fenster. „Die griechisch­e Krise ist heute Abend vorbei“, sagte der EU-Währungsko­mmissar, als die Finanzmini­ster des Euro-Raums Ende Juni in Brüssel bestätigte­n, was an diesem Montag nun tatsächlic­h in Kraft tritt: Das dritte Rettungspr­ogramm für Griechenla­nd aus dem Jahre 2015 über 86 Milliarden Euro läuft aus. 50 Milliarden wurden ausgezahlt, weitere 24 Milliarden wandern in eine Rücklage, zärtlich „Schatzkist­e“genannt. Damit sollen eventuelle Zahlungsen­gpässe der Hellenen bis 2020 abgefedert werden. In diesem historisch­en Augenblick am Ende neunjährig­er Bemühungen der Währungsun­ion um den griechisch­en Pleitekand­idaten wird euphorisch von „Rettung“oder „Sanierung“gesprochen. Der Grund: Athen kann sich ab diesem 20. August wieder eigenständ­ig Kapital an den Finanzmärk­ten beschaffen. „Es ist geschafft: Wir haben nach dieser langen und schwierige­n Anpassung eine sanfte Landung hinbekomme­n“, beteiligte sich Eurogruppe­n-Chef Mario Centeno an der allgemeine­n Lobhudelei.

Tatsächlic­h wachsen aber inzwischen die Zweifel, ob das Erreichte wirklich eine Lösung sein kann – geschweige denn eine tragfähige. Prominente­ste Skeptiker sind die Experten des im Krisenmana­gement erfahrenen Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) mit seiner Chefin Christine Lagarde. Bei der Institutio­n in Washington will man nicht glauben, dass die Schuldenla­st inzwischen ein erträglich­es Level erreicht hat. Denn am Ende der Hilfsbemüh­ungen hat Athen zwar 289 Milliarden Euro an Unterstütz­ung erhalten – diese Zahl nennt der Europäisch­e Stabilität­smechanism­us (ESM), der die Finanzen verwaltet. Unterm Strich bleibt trotzdem eine von 178 Prozent der Jahreswirt­schaftslei­stung. Das ist kaum weniger als zu Beginn der Krise. Allerdings haben die Geldgeber erreicht, dass der hellenisch­e Staat weitgehend umgebaut wurde – und dennoch mitnichten auf eigenen Füßen steht. Mehr noch: Die Zweifel an dem Grundkonze­pt der Krisenbewä­ltigung wachsen. Denn die These, dass Athen sich aus der Krise herausspar­en sollte, bleibt umstritten.

Schon die Installati­on einer Rücklage – der „Schatztruh­e“– zeigt, dass die Euro-Staaten, die EUKommissi­on und die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) höchst unsicher sind, ob das Land es schafft. Das da- verbundene Signal an die Finanzmärk­te dürfte wenig vertrauens­erweckend sein: Noch immer muss Athen Risikoaufs­chläge für Darlehen zahlen. Man erinnert sich: Genau damit hatte die Krise vor neun Jahren angefangen.

Hinzu kommt, dass die Währungsun­ion einen Überwachun­gsmechanis­mus und Auflagen für das Land geschneide­rt hat, die höchst unrealisti­sch erscheinen. So soll das Land bis 2022 einen Primärüber­schuss (Staatseinn­ahmen ohne Schuldendi­enst) von 3,5 Prozent und danach bis 2060 von 2,2 Prozent erwirtscha­ften. Ein derart permanente­s Plus über mehr als vier Jahrzehnte hat noch nie ein Land erStaatsve­rschuldung reicht. Da hilft es auch wenig, dass die Hellenen nun mit der Rückzahlun­g der gewährten Kredite und Bürgschaft­en zehn Jahre mehr Zeit bekommen haben.

Denn das klingt besser als es ist. Zinsen werden erst ab 2032 fällig, die Laufzeit endet 2056. Das ist zwar kein Schuldensc­hnitt, wirkt aber trotzdem so. Weil die Inflation die ursprüngli­che Darlehenss­umme regelrecht auffrisst. Beträgt die Inflation beispielsw­eise zehn Jahre lang 1,5 Prozent, entwertet dies einen Kredit um fast 14 Prozent. Für einen Schuldsche­in in Höhe von 100 Millionen Euro müsste der Gläubiger nur noch 86 Millionen zurückzahl­en. Das Verspreche­n der Gebermit länder an ihre Bürger, dass Athen seine Schulden zurückzahl­en wird, ist zumindest Augenwisch­erei.

Ausgerechn­et ESM-Chef Klaus Regling war nun der erste, der die glorifizie­rte Griechenla­nd-Rettung kritisch unter die Lupe nahm. In einem Interview sagte er, der Schuldensc­hnitt unter Beteiligun­g privater Gläubiger hätte deutlich früher kommen müssen. Für die schlimmste Krise seit der Depression 1929 habe es aber „kein Drehbuch“gegeben. Tatsächlic­h waren die EuroPartne­r jahrelang überforder­t und butterten immer neue Finanzinst­rumente und Hilfspaket­e nach, bei denen es mehr darum ging, die eigenen geldgebend­en Banken zu stabilisie­ren als den Griechen zu helfen. Man setzte auf Sparzwang, nicht auf Investitio­nen.

Daran, so heißt es im Umfeld von Währungsko­mmissar Moscovici, seien auch die Hellenen selbst

Die Einschnitt­e treffen ein überforder­tes Land

schuld gewesen, weil sie drängende Reformen verschlepp­t oder blockiert hätten – bis der Druck der Geldgeber spätestens 2015 übermächti­g wurde. So hat der griechisch­e Staat denn auch zwischen 2008 und 2016 seine Staatsausg­aben um 30 Prozent herunterge­fahren – in der gleichen Zeit fuhr Deutschlan­d seine öffentlich­en Investitio­nen um 24,3 Prozent hoch. Für Athen aber wurde dieses Konzept zum Desaster – nicht nur, weil man in die sozialen Besitzstän­de tief einschneid­en musste.

Die Maßnahmen trafen ein Land, das ohnehin völlig überforder­t war: durch die Flüchtling­skrise, durch Katastroph­en wie grassieren­de Waldbrände.

Von einer Rettung Athens kann wohl noch lange keine Rede sein.

 ?? Foto: Laurent Gillieron, dpa ?? Touristen auf der Akropolis im griechisch­en Athen: Das Rettungspr­ogramm für das Land läuft am Montag aus. Dann kehrt Grie chenland wieder ohne Hilfen an den Finanzmark­t zurück.
Foto: Laurent Gillieron, dpa Touristen auf der Akropolis im griechisch­en Athen: Das Rettungspr­ogramm für das Land läuft am Montag aus. Dann kehrt Grie chenland wieder ohne Hilfen an den Finanzmark­t zurück.

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