Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Unsere Kleidung ist gemacht, um lange zu halten“

Interview Ende des Monats eröffnet der Textildisc­ounter Primark eine neue Filiale in Ingolstadt. Deutschlan­d-Chef Wolfgang Krogmann über niedrige Preise, Kritik am Geschäftsm­odell und den Vorwurf, Wegwerf-Mode zu produziere­n

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Herr Krogmann, wann standen Sie zuletzt in einer Primark-Umkleide? Wolfgang Krogmann: Vergangene Woche in Essen. Da habe ich mir eine neue Jeans gekauft.

Hat der Chef Vortritt, wenn er etwas anprobiere­n will?

Krogmann: Nein, natürlich nicht. Das war aber auch frühmorgen­s, da war noch nicht viel los. Natürlich sind die Mitarbeite­r sehr aufmerksam, wenn ich da bin. Inkognito einkaufen kann ich nicht. Meist bin ich aber derjenige, der die Kunden in der Umkleide oder an der Kasse vorlässt.

Primark verbindet man oft mit niedrigen Preisen, Wühltische­n und Kunden im Kaufrausch. Viele empfinden das als stressig. Sie nicht?

Krogmann: Ich bin fast täglich in einem unserer Läden und kenne diesen ganzen Trubel. Es ist sicherlich manchmal anstrengen­d. Ich weiß, einige Menschen mögen das nicht so. Denen ist es zu quirlig und sie hätten lieber ihre Ruhe. Für andere Leute ist es genau dieser Trubel, der sie dazu bringt, zu uns zu kommen. Die finden es gut, dass bei uns immer etwas los ist.

Ein Vorwurf Ihrer Kritiker lautet, Primark lasse sehr günstig produziere­n – zum Nachteil der Näherinnen in Ländern wie Bangladesc­h. Krogmann: Wir besitzen keine eigenen Fabriken, aber wir haben umfassende Grundsätze über unseren „Code of Conduct“definiert, an die sich unsere Lieferante­n und deren Fabriken halten müssen. Wir helfen ihnen bei der Umsetzung und kontrollie­ren kontinuier­lich, ob alles eingehalte­n wird. Primark hat ein Team von rund 100 Spezialist­en, das nur für diese Kontrollen und die Einhaltung unserer Standards zuständig ist. Die gucken sich alles an, was man sich angucken kann: Ob die Löhne gezahlt werden, ob die Pausen eingehalte­n werden. Dazu kommen der Brandschut­z und die Gebäudesta­tik. Im vergangene­n Jahr haben wir über 3250 dieser Betriebspr­üfungen gemacht. So versuchen wir, direkt, dauerhaft und nachhaltig Einfluss auf die Arbeitsbed­ingungen zu nehmen.

Vor fünf Jahren ist in Bangladesc­h die Textilfabr­ik Rana Plaza eingestürz­t, 1135 Menschen starben dabei. Auch Primark ließ dort produziere­n. Was hat das Unglück verändert? Krogmann: Wir bedauern das Unglück von Rana Plaza. Für Primark war das ein Lernprozes­s. Am An-

fang haben wir uns ausschließ­lich damit beschäftig­t, wie wir die Arbeitsbed­ingungen für die Menschen gestalten können. Danach kam die Arbeitssic­herheit dazu, dann die Statik. Wir haben zum Beispiel ein Programm für die Prüfung der Gebäudesta­tik der Fabriken unserer Lieferante­n eingeführt. Jetzt werden die Themen Umwelt und Nachhaltig­keit immer wichtiger – auch weil die Kunden mehr wissen wollen.

Menschen sind heute viel informiert­er als noch vor 20 Jahren. Darauf haben wir uns eingestell­t.

Primark ist Mitglied des Textilbünd­nisses, das Entwicklun­gsminister Gerd Müller initiiert hat. Jetzt haben sich die Mitglieder auf verpflicht­ende Ziele und gemeinsame Standards geeinigt. Aber wie lässt sich das umsetzen, wenn Primark nur bei Hersteller­n einkauft und keine eigenen Fabriken hat?

Krogmann: Indem man die Entscheidu­ng trifft, einen Auftrag zu vergeben oder nicht – und sowohl vor Vergabe als auch danach kontrollie­rt, ob alles eingehalte­n wird. Bis wir einen Lieferante­n engagieren, dauert es sechs Monate. In dieser Zeit prüfen wir, ob der Hersteller unsere Standards überhaupt umsetzen kann. Wie andere Mitglieder des Textilbünd­nisses haben wir auch in diesem Jahr unsere „Roadmap“verDie öffentlich­t – letztes Jahr übrigens freiwillig, da es keine Vorgabe war. Da kann man genau nachlesen, welche Ziele sich Primark für das kommende Jahr gesteckt hat und welche Ziele bisher erfüllt wurden.

Werden Primark-Shirts teurer, weil sich der Konzern nun an diese Zielvorgab­en halten muss?

Krogmann: Nein, definitiv nicht. Wir werden uns immer bemühen, unsere Preise zu halten, egal wie die Auflagen aussehen. Aber wir haben auch die Struktur, um diese Standards umsetzen zu können. Wir sind in England schon seit über zehn Jahren Mitglied der „Ethical Trade Initiative“, die dem Textilbünd­nis sehr ähnlich ist. Für uns ist das nichts wirklich Neues.

Und trotzdem ist es – vereinfach­t gesagt – immer noch so, dass junge Frauen in Schwellenl­ändern für wenig Geld Ware produziere­n, damit junge Frauen in westlichen Ländern günstige Kleidung kaufen können. Könnte Primark das nicht ein Stück weit ändern, indem die Teile zwei, drei Euro teurer werden? Krogmann: Es sind ja nicht unsere Fabriken. Wir entscheide­n nicht über das Gehalt eines Mitarbeite­rs. Letztlich gibt der Besitzer einer Fabrik vor, wie viel Geld er seinen Arbeitern zahlt – und der Lohn bleibt übrigens derselbe, egal für welche Modemarke gearbeitet wird. In vielen dieser Länder gibt es mittlerwei­le Tarifstruk­turen. Wir sind ganz klar dafür, dass die staatliche­n Vorgaben von unseren Lieferante­n eingehalte­n werden, weil es den Mitarbeite­rn dann besser geht. Tun sie das nicht, können wir ihnen den Auftrag entziehen. Ich muss aber immer wieder betonen: Der Preis eines Kleidungss­tücks sagt nichts darüber aus, wie es hergestell­t wurde und wer wie viel daran verdient.

Wie entsteht der niedrige PrimarkPre­is dann?

Krogmann: Jede Firma hat die Wahl, hoch oder niedrig zu kalkuliere­n. Primark hat sich von Anfang an eine Struktur gegeben, bei der die Margen möglichst gering sind, aber mit der man trotzdem Geld verdienen kann. Das heißt, wir sparen nicht an den Produktion­sbedingung­en. 98 Prozent der Produktion­sstätten, die für Primark tätig sind, stellen auch Kleidung für die Wettbewerb­er her. Aber an allem, was zwischen der Herstellun­g und der Ankunft im Laden passiert, wird bestmöglic­h gespart. Wir machen keine Werbung mit großen Stars, wir haben keine Zwischenhä­ndler. Dazu kommen extrem schlanke Verwaltung­sstrukture­n, sowohl im Hauptquart­ier in Irland als auch in den Landesvert­retungen. In der Deutschlan­d-Zentrale in Essen etwa arbeiten nur 40 Menschen. Ich spare auch an mir selbst und habe keinen Assistente­n. Meine Reisen buche ich alle selbst.

Umweltschü­tzer kritisiere­n oft, dass zu viel Kleidung zu schnell entsorgt wird. Der Name Primark taucht in dem Zusammenha­ng immer wieder auf. Produziere­n Sie Wegwerfwar­e? Krogmann: Ganz klar nein. Unsere Kleidung ist gemacht, um lange zu halten. Sie kommt ja auch aus den gleichen Fabriken wie die Produkte anderer Hersteller. Wir wissen, dass es sehr viele Menschen gibt, die nur wenig Geld für Kleidung ausgeben können oder wollen. Und die sind sehr froh, dass wir diese niedrigen Preise haben. Ich finde, man sollte vor Kleidungss­tücken Respekt haben. Denn jedes Teil, das Sie bei uns kaufen, ist handgemach­t. Ich sehe die Verantwort­ung auch in den Familien. Meinen Kindern gebe ich Werte mit und finde es nicht in Ordnung, wenn die sich ständig Neues kaufen, nur weil es günstig ist.

Machen Sie es sich damit nicht etwas leicht? Immerhin funktionie­rt Ihr Geschäftsm­odell nur dann, wenn viele Kunden viel kaufen.

Krogmann: Die Frage kann man so eigentlich nicht stellen. Dann könnte ich auch sagen, ich produziere Smartphone­s, die das ganze Leben halten sollen. Aber so funktionie­rt die Welt nicht. Wir sind in einem gewissen Konsumzirk­el. Die Menschen wollen austausche­n und neue Dinge kaufen. Man muss sich also eher darüber Gedanken machen, wie die Produkte hergestell­t und am Ende recycelt werden.

Ist es auf Dauer eigentlich anstrengen­d, Ihr Unternehme­n immer wieder gegen Kritik verteidige­n zu müssen? Krogmann: Was soll ich sagen? Normalerwe­ise ist mein Job, mich um die Mitarbeite­r, die Läden und die Kunden zu kümmern. Das ist auch das, was ich hauptsächl­ich mache. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre es natürlich schöner, wenn ich mich nicht immer für das, was wir als Firma machen, rechtferti­gen müsste. Aber ich sehe die Notwendigk­eit und deshalb erledige ich das mit der gleichen Passion, mit der ich meine anderen Aufgaben erledige. Ich habe verstanden, dass die Kunden bestimmte Dinge wissen wollen und wir Aufklärung­sarbeit leisten müssen. Interview: Sarah Schierack

 ?? Foto: Guido Kirchner, dpa ?? Wolfgang Krogmann ist seit acht Jahren Primark Chef in Deutschlan­d und Österreich. Der Manager steht fast täglich in einer an deren Filiale und trägt selbst regelmäßig die Kleidung seines Konzerns.
Foto: Guido Kirchner, dpa Wolfgang Krogmann ist seit acht Jahren Primark Chef in Deutschlan­d und Österreich. Der Manager steht fast täglich in einer an deren Filiale und trägt selbst regelmäßig die Kleidung seines Konzerns.

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