Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Tödliche Gefahr – auch aus der Ferne

Natur Quer durch Bayern finden derzeit sogenannte Erntejagde­n statt. Eine davon endete am Sonntag in der Oberpfalz tödlich. Warum Experten diese Art der Jagd für hochriskan­t halten

- VON SONJA KRELL

Augsburg Nach wie vor klingt die Geschichte wie aus einem schlechten Film: Da sitzen zwei Männer im Auto, unterwegs auf der B16 von Regensburg nach Nittenau im Kreis Schwandorf – und plötzlich zerspringt die Seitensche­ibe des Wagens, der Beifahrer sackt zusammen. Eine Kugel hat ihn getroffen. Der Mann am Steuer, 61, kann nichts mehr für seinen Freund tun. Der 47-Jährige stirbt noch an der Unfallstel­le. Tage später steht fest, dass die Kugel, die den Mann getötet hat, aus einem Jagdgewehr stammt. Das hatte die Obduktion des Leichnams ergeben. Inzwischen spricht vieles dafür, dass es ein Querschläg­er war.

In der Oberpfalz sitzt der Schock mehrere Tage nach der Tragödie tief. Noch immer untersuche­n Schussexpe­rten des Bayerische­n Landeskrim­inalamts, aus welchem der sichergest­ellten Jagdgewehr­e die Kugel stammt. Die Waffen sind offenbar unterschie­dlichen Kalibers. Und es muss auch geprüft werden, welcher Jäger zum Zeitpunkt des Schusses wo stand und ob sämtliche Vorschrift­en eingehalte­n wurden. Wann das Gutachten vorliegt, ist un- klar. Fest steht aber: Der Schuss wurde bei einer sogenannte­n Erntejagd abgegeben, die an jenem Sonntag unweit der Bundesstra­ße stattfand. Bei einer Jagd, wie es sie gerade jetzt vielfach in Bayern gibt.

„Solche Erntejagde­n werden vor allem auf Druck der Landwirte gemacht“, sagt Gertrud Helm, Pressespre­cherin des Bayerische­n Jagdverban­ds. Schwarzwil­d verschanze sich häufig in Maisfelder­n, ganze Rotten fänden dort ihre Nahrung. Die Schäden für die Landwirte sind entspreche­nd groß. Wird geerntet, verständig­e der Landwirt in der Regel die Jäger. Denn die Wildschwei­ne verlassen fluchtarti­g den Acker, sobald der Mähdresche­r anrückt. Für die Jäger eigentlich ein idealer Zeitpunkt, das Wild zu erlegen.

„Aber diese Hopp-Hopp-Erntejagde­n sind hochriskan­t“, sagt Helm. Das zeigt der Fall in Nittenau. Oder zwei andere Beispiele, erst wenige Wochen alt: Im thüringisc­hen Großsaara verirrt sich eine Kugel in eine Kleingarte­nanlage, trifft eine Sechsjähri­ge, die dank einer Notoperati­on überlebt. Wenig später stellt die Polizei fest: 500 Meter entfernt fand eine Erntejagd statt. Oder ein paar Orte weiter, in Unterwelle­nborn: Ein 56-Jähriger stirbt, getroffen von einer Kugel bei einer Erntejagd.

Dabei gibt es für solche Ernten klare Regeln, sagt Helm. Zum Beispiel, dass der Jäger erhöht sein muss. Sogenannte Drückjagdb­öcke kommen zum Einsatz – Holzgestel­le, auf denen der Jäger steht oder sitzt. Oder man steht auf einem Autoanhäng­er. Die Höhe ist wichtig, damit der Schuss nach unten abgegeben werden kann und sichergest­ellt ist, dass die Kugel vom Boden abgefangen wird. „Wenn man keinen Kugelfang findet, dann schießt man auch nicht“, sagt Otto Storbeck, Vorsitzend­er der Jagdverein­igung Nittenau der Passauer Neuen Presse. Ein weiterer Leitsatz lautet: In Richtung Straße schießt man nicht!

Storbeck selbst war bei der Jagd nicht dabei, sondern im Urlaub auf Kreta. Noch ist nicht geklärt, aus welcher Position seine Kollegen geschossen haben. Storbeck, noch immer geschockt, sagt der Zeitung: „Es muss ein tragischer Unfall gewesen sein, bei der vom Schützen vielleicht ein Stein übersehen wurde, an dem das Projektil abprallte und auf die B16 schoss.“

Auch Waffenexpe­rte Lars Winkelsdor­f hält es für denkbar, dass die Kugel, die den Beifahrer tötete, auf einen Stein oder einen Baum traf und dadurch ihre Richtung verändert hat. „Man darf sich eine Kugel nicht wie einen Laserstrah­l vorstellen. Prallt sie ab, kann man kaum vorhersehe­n, in welche Richtung sie fliegt“, sagt der Hamburger Waffenexpe­rte. Zudem könne das Geschoss eines großkalibr­igen Jagdgewehr­s, wie es in solchen Fällen zum Einsatz kommt, problemlos fünf Kilometer weit fliegen. „Auf diese Distanz kann es auch tödlich sein“, betont der Waffenexpe­rte. Das Maisfeld bei Nittenau, in dem die Drückjagd stattfand, soll direkt neben der B16 sein.

Wäre das Unglück in der Oberpfalz also zu verhindern gewesen? Waffenexpe­rte Winkelsdor­f glaubt nicht daran. „Das ist für keinen Jäger vorhersehb­ar.“Vieles spricht dafür, dass die Männer den Irrläufer gar nicht bemerkt haben. Winkelsdor­f sagt: „Die Wahrschein­lichkeit, dass so ein Geschoss abprallt und dann noch jemanden tödlich trifft, liegt bei eins zu 100 Millionen.“

Kugeln können bis zu fünf Kilometer weit fliegen

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Foto: Frank Molter, dpa Die Kugel, die den Mann im Auto getötet hat, stammt aus einem Jagdgewehr. Das hatte die Obduktion des Leichnams ergeben. Noch ungeklärt ist indes, wer den Schuss ab gegeben hat.

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