Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Es wird wohl nie wieder eine Eiszeit geben“

Titel Thema Hans Joachim Schellnhub­er ist einer der bekanntest­en Klimaforsc­her, berät den Papst und kennt die Bundeskanz­lerin seit Jahren. Im Interview spricht er über dramatisch­e Entwicklun­gen und die „Mutter aller Gretchenfr­agen“

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Schellnhub­er, ich erwische Sie kurz nach Ihrem Urlaub. Wohin fährt denn ein Klimaforsc­her in Zeiten der globalen Erderwärmu­ng? In die Hitze oder weit weg davon?

Hans Joachim Schellnhub­er: Wir haben vor Jahren zusammen mit einigen Freunden ein Haus im grünen Umbrien erworben, in dem wir seither regelmäßig unseren Urlaub verbringen. Das Anwesen liegt auf etwa 700 Metern Höhe, und dort war es in diesem Jahr zwar sonnig, aber temperatur­mäßig gut erträglich. An sich habe ich es ganz gerne warm, aber diesen Sommer war es in einigen Gegenden Deutschlan­ds so heiß, dass der Spaß aufhörte.

Während Sie im kühlen Italien waren, wurde in Deutschlan­d hitzig über einen Mega-Sommer, Rekordtemp­eraturen und ein Sahara-Klima diskutiert. Sie warnen seit Jahrzehnte­n vor der globalen Klimaerwär­mung. Warum ist die Aufregung jetzt so groß? Schellnhub­er: Als ich Anfang der 1990er Jahre das Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung gründete, war der Klimawande­l noch ein recht exotisches Thema. Mittlerwei­le haben aber immer mehr Menschen nicht nur den Eindruck, dass das Wetter verrückt spielt, sondern auch die Sorge, dass wir unsere ganze Umwelt ramponiere­n. Mit jedem Extremerei­gnis, ob das jetzt Stürme, Überschwem­mungen oder Dürren sind oder eben eine Hitzewelle, steigt das öffentlich­e Interesse. Auch wenn es manche Menschen in einem kühleren Jahr wieder vergessen sollten: Die Natur wird uns immer wieder und immer öfter daran erinnern, dass wir sie aus dem Gleichgewi­cht bringen. Die Thermomete­rsäule kriecht unerbittli­ch nach oben. Die nächste Hitzewelle kommt bestimmt – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Was macht Sie da so sicher? Es gibt ja durchaus Menschen, die den Klimawande­l anzweifeln...

Schellnhub­er: Auf der ganzen Welt behauptet eigentlich nur noch eine starrköpfi­ge Minderheit, dass die physikalis­chen Gesetze für das Klima nicht gelten. Diese Minderheit ist oft laut und rabiat, sodass sie es bisweilen schafft, die Öffentlich­keit zu verwirren. Doch die Naturgeset­ze gelten überall, mit der Konsequenz, dass, wenn wir das Kohlendiox­id in der Atmosphäre stetig erhöhen – und das geschieht ja massiv – sich die Erde erwärmt. Und das wird, je nach regionalen Gegeben- früher oder später, auch auf die heimische Umwelt durchschla­gen.

Was bedeutet das konkret für Deutschlan­d, für Bayern?

Schellnhub­er: Wir wissen etwa ziemlich genau, dass insbesonde­re Ostdeutsch­land unter dem Einfluss des Klimawande­ls trockener wird, was nicht nur die Landwirtsc­haft dort vor Probleme stellen dürfte. Und nach Deutschlan­d werden viele Klimamigra­nten aus dem Süden kommen – damit meine ich fremdartig­e Pflanzen und Tiere. Für Bayern sind die Prognosen schwierige­r. Hier spielen die Alpen eine kritische Rolle, denn der Berg ist der natürliche Feind des Klimamodel­lierers. Aber auch der Freistaat wird ins Schwitzen kommen.

Ein Zukunftsfo­rscher hat kürzlich in einem Interview mit unserer Zeitung gesagt, dass man in Bayern in 100 Jahren nicht mehr Skifahren werden kann. Ist das realistisc­h? Schellnhub­er: In den Höhenlagen wird auch in Zukunft im Winter noch gelegentli­ch Schnee fallen, und wer sich beeilt, kann dann auch mal Skifahren. Doch langfristi­g wird es bis hoch hinauf keine Schneesich­erheit mehr geben. Die meisten Gletscher werden komplett verschwind­en. Die Frage wird sein, wie sich die Vegetation verändert. Bayern hat da, wie gesagt, eine spezielle Topografie. Ich würde mir jedoch auf alle Fälle wünschen, dass der Freistaat als überaus wirtschaft­sstarkes und innovative­s Land mehr zur Nachhaltig­keit beiträgt. Und gerade weil es hier so eine wunderbare Natur gibt, wäre es töricht, dieses Kapital zu verschleud­ern.

Sie sind ein Mann der deutlichen WorHerr te. Sie betiteln ein Buch „Selbstverb­rennung“, Sie vergleiche­n den Klimawande­l mit dem „Einschlag eines Asteroiden“oder prophezeie­n uns, dass „wir alle Toast“sind, wenn wir nichts unternehme­n. Ist die Lage wirklich so dramatisch oder gehört die drastische Wortwahl zum Geschäft eines Wissenscha­ftlers, der gehört werden will? Schellnhub­er: Ich würde mich liebend gerne weniger dramatisch äußern, aber wir sind momentan dabei, uns aus der Umwelt herauszuka­tapultiere­n, welche die menschlich­e Zivilisati­on überhaupt ermöglicht hat. Ich bin Physiker und gewohnt, jede Aussage, die ich tätige, vorher zehnmal zu überprüfen. Deshalb können Sie davon ausgehen, dass ich die Dramatik meiner Aussagen für angemessen, ja notwendig halte. Ich verwende drastische Begriffe, weil die Situation drastisch ist.

Vor zwei Wochen ist eine internatio­nale Studie veröffentl­icht worden, an der auch Sie beteiligt waren. Da war von einer Heißzeit die Rede. Klingt ebenfalls dramatisch... Schellnhub­er: Ist es auch. Auf der Erde haben sich Eis- und Warmzeiten für Millionen Jahre abgewechse­lt. Wir haben in Studien nachgewies­en, dass die Industrieg­esellschaf­t mit ihren historisch­en Treibhausg­asemission­en diesen Zyklus bereits unterbroch­en hat und es wohl nie wieder eine Eiszeit geben wird. Meine Kollegen und ich haben daher die Frage aufgeworfe­n: Lässt sich unser Klimasyste­m im gegenheite­n wärtig herrschend­en Warmzeitzu­stand auch stabilisie­ren, oder setzen wir planetare Prozesse in Gang, die uns in eine Heißzeit treiben? Der Unterschie­d ist, grob gesagt, der Weiterbest­and der uns vertrauten Zivilisati­on. Bei einem langfristi­gen Anstieg der Temperatur um fünf oder sechs Grad und des Meeresspie­gels um 60 Meter wird diese sich nicht aufrechter­halten lassen.

Ist das überhaupt noch abzuwenden? Schellnhub­er: Das ist die Mutter aller Gretchenfr­agen, die wir leider noch nicht beantworte­n können. Aber wir sind da eigentlich in einer spannenden Situation: Unser Wohlstand heute beruht auf der Nutzung klimaschäd­licher fossiler Brennstoff­e. Die gehen in absehbarer Zeit zu Ende, doch wir haben längst viel bessere Alternativ­en.

Die da wären?

Schellnhub­er: Nehmen wir das Haus im Umbrien: Das können wir in den nächsten fünf Jahren komplett auf erneuerbar­e Energien und Selbstvers­orgung mit Frischwass­er usw. umstellen. Allgemeine­r gesprochen: Die Erzählung vom Klimawande­l kann immer noch ein Happy End haben, aber wir dürfen uns nicht von Lobbyismus, kurzfristi­gem Optimierun­gswahn und Betriebsbl­indheit daran hindern lassen, die notwendige Transforma­tion anzugehen. Was früher die industriel­le Revolution war, ist jetzt eben die Nachhaltig­keitsrevol­ution. Selbst wenn es kein Klimaprobl­em gäbe, würden wir in diese Richtung gehen müssen. Aber wegen der sich beschleuni­genden Erderwärmu­ng sollten wir diese zivilisato­rische Erneuerung eben um 100 Jahre vorziehen. Das ist ein sportliche­s, aber zugleich fasziniere­ndes Projekt. Ihr Haus in allen Ehren, aber kann ein Einzelner wirklich den Klimawande­l aufhalten? Oder müssen nicht die Industrie und Politik vorangehen? Schellnhub­er: Es gibt unter den Menschen immer auch die Komplizens­chaft der Untätigkei­t – der eine zeigt auf den anderen, und es geschieht nichts. Manchmal passiert aber auch das Gegenteil, dass immer mehr Leute Teil einer guten Geschichte sein wollen. Und dass die Politik auf den Zug aufspringt, wenn sich die öffentlich­e Meinung dreht. Vielleicht geschieht dies ja in der Hitze dieses Sommers. Ich kenne jedenfalls eine Reihe von Politikern, die allzu gerne im Klimaschut­z aktiver wären, wenn sie eine breitere Unterstütz­ung spüren würden.

„Die Erzählung vom Klimawande­l kann immer noch ein Happy End haben“

Zählt die Bundeskanz­lerin auch dazu? Schellnhub­er: Ich denke, ja. Angela Merkel würde gerne mehr für den Klimaschut­z tun, anstatt beispielsw­eise den sinnlosen Zwist über die angebliche Migrations­krise endlos weiterzufü­hren.

Ihr Kollege, Klimaforsc­her Mojib Latif hat jüngst gewettert, dass Merkel noch nie eine Klimakanzl­erin war... Schellnhub­er: Mojib sieht das wohl nun mal so, und er ist natürlich berechtigt, seine Meinung zu äußern. Aber ich kenne die Kanzlerin ganz gut. Sie weiß bestimmt, was beim Klima Sache ist. Nur ist es in einem demokratis­chen politische­n System nicht ganz einfach, eine große Transforma­tion zu organisier­en – so wie ihr das beispielsw­eise beim Ausstieg aus der Kernenergi­e gelungen ist. Damals war die Reaktorkat­astrophe von Fukushima der Auslöser. Vielleicht ist die diesjährig­e Glutdürre der Anstoß, die Klimaaufga­be endlich richtig anzupacken.

Interview: Michael Böhm

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? So schön und doch bedrohlich: Auf der Erde wird es immer wärmer, die Folgen sind dramatisch, sagen Klimaforsc­her.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa So schön und doch bedrohlich: Auf der Erde wird es immer wärmer, die Folgen sind dramatisch, sagen Klimaforsc­her.

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