Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der stille Kaiser
Spurensuche Franz Beckenbauer war Jahrzehnte einer der bekanntesten Deutschen. Kaum jemand war öffentlicher als er – bis Schatten auf die Lichtgestalt fielen. Wie es ihm heute geht? Die Meinungen darüber gehen auseinander
Augsburg Er sieht wieder besser aus. Nicht mehr so mitgenommen wie im Mai, als der FC Bayern zur Saisonabschlussfeier in der Allianz-Arena die alten Helden wieder Spalier stehen ließ. Sepp Maier, Paul Breitner, „Katsche“Schwarzenbeck – die Europapokalsieger und Weltmeister. Nur Gerd Müller fehlt schon seit Jahren. Der erfolgreichste deutsche Torjäger leidet an Demenz und lebt in einem Pflegeheim.
Dafür stand überraschend Franz Beckenbauer in der Reihe der FCBayern-Granden. Auch wenn er aus dem roten Trachtenjanker, den der FC Bayern seinen Helden spendiert hat, rausgewachsen zu sein schien. Derart abgezehrt sah der 72-Jährige darin aus, dass man vermuten musste, er habe die Jacke von Uli Hoeneß erwischt.
Alle, die sich damals um Beckenbauers Zustand sorgten, durften kürzlich ein wenig aufatmen. Zur Vergabe des bayerischen Sportpreises erschien ein deutlich fitterer Beckenbauer, auch wenn er verblüffend an Olli Dietrichs satirischer Kunstfigur des „Aigner Schorsch“ aus dem „Mann der Franz Beckenbauer war“erinnerte.
Egal, Hauptsache wieder ein wenig alter Kaiser. Abschlussfeier und Bayernpreis waren zuletzt die einzigen öffentlichen Auftritte jenes Mannes gewesen, der Jahrzehnte allgegenwärtig schien. Zwischen den beiden Auftritten hat er sich einmal noch von seinem ehemaligen Arbeitgeber Bild einige Sätze zum deutschen WM-Debakel abringen lassen. Dass man so keine WM spielen könne und die Mannschaft das Gegenteil von dem gemacht habe, was Löw ihr aufgetragen habe. Solche Sachen eben. Bild hat derlei früher täglich geschrieben – und die Menschen haben sich gefragt, was der Beckenbauer da schon wieder daher gefranzelt hat. Aber alle haben es aufgesaugt, weil er Lichtgestalt und Kaiser war.
Inzwischen ist es um ihn ruhig geworden. Verglichen mit dem medialen Lärm, den er früher verursacht hat, besorgniserregend ruhig. Dazu mag auch der schwere Schicksalschlag beigetragen haben, den er 2015 erlitten hat. Damals starb sein Sohn Stephan aus erster Ehe im Al- ter von 46 Jahren an einem Gehirntumor. Der ehemalige BundesligaSpieler war seinem Vater sportlich am nächsten gekommen – ohne ihn ansatzweise zu erreichen.
Heute weiß die Welt, die Franz Beckenbauer als Spieler und Teamchef zu Füßen lag, nicht wirklich, wie es dem 72-Jährigen geht nach seinen beiden Herzoperationen und der nicht weniger komplizierten Geschichte um die Vergabe der WM 2006. Sie hat Beckenbauer, dem Mann der Deutschland in der Vorstellung der Menschen das Sommermärchen beschert hat, dem Vorwurf der Korruption ausgesetzt. Die privaten Bulletins zu seiner körperlichen und emotionalen Verfassung gehen seither weit auseinander.
2016 hatte sich Beckenbauer einer mehrstündigen Herz-OP unterziehen müssen – nur wenige Tage nachdem Steuerfahnder sein Haus durchsucht hatten. Es ging um jene inzwischen legendären 6,7 Millionen Euro, die 2002 von einem Beckenbauer-Konto nach Katar flossen, auf ein Konto, das dem einstigen Fifa-Vizepräsidenten Mohamed Bin Hammam gehörte.
Wer allerdings das eine mit dem anderen in Zusammenhang bringt, wie es Altkanzler Gerhard Schröder zu Beginn des Jahres getan hat („Leider geht es ihm nicht ganz so gut. Die Sache mit der Fifa hat ihm wohl doch stark zugesetzt“) erntet kaiserlichen Widerspruch: „Ich bin mit mir im Reinen. Meine Herzprobleme sind nach der Operation unter Kontrolle“, erklärte Beckenbauer nach seiner zweiten OP im November 2017.
Und jetzt? Man könnte Marcus Höfl fragen, den Ehemann der ehemaligen Skirennläuferin Maria Höfl-Riesch, der seit vielen Jahren Beckenbauer-Manager ist. Höfl aber lässt ausrichten, dass weder er noch Franz Beckenbauer an einem Interview interessiert seien.
Andere sind auskunftsfreudiger, wollen aber nicht zitiert werden. Deutschland hat Beckenbauer viel zu verdanken, da will sich keiner als Fledderer zu erkennen geben. Im Übrigen erleben ihn Weggefährten in unterschiedlicher Verfassung. Grundzsätzlich aber sind die Reihen um Beckenbauer geschlossen. Dass die Vorwürfe, er habe bei der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland mitgemauschelt, schwer auf ihm Lasten, klingt dennoch an. Lange sei alles zu Gold geworden, was Beckenbauer angefasst hat, sagt einer – und plötzlich habe sich der Fußballgott auf der Anklagebank wiedergefunden. Verurteilt von ehemaligen Bewunderern. Daran habe er zu tragen.
Wenn das so ist, wird es wohl so bleiben. Die beiden Männer, die Beckenbauer entlasten könnten, sind nämlich tot. Sein Manager Robert Schwan und der ehemalige AdidasChef Robert-Louis Dreyfus haben die Hintergründe um die dubiose 6,7-Millionen-Überweisung mit ins Grab genommen.
Bezieht Beckenbauer zu den Vorwürfen selbst Stellung, klingt es, als wäre er noch der Fußball-Kaiser, der mit prägnanten Ansagen seine Spieler regiert hat. „Erstunken und erlogen“nannte er bei der Verleihung des bayerischen Sportpreises alles, was auf eine gekaufte WM 2006 hindeutet. In solchen Momenten ist er dann wieder ganz der junge, wilde Kaiser.
Man kann ihn aber auch anders erleben. Im Gasthof Riedenburg in Salzburg beispielsweise. Zwei bis dreimal die Woche isst er dort zu Mittag. Gehobene Küche. Die knusprige Perlhuhnbrust zu 24,50 Euro, die Salzburger Nockerln zu 11,80 Euro. Der Kaiser kommt in
Hauptsache wieder ein wenig alter Kaiser
Knusprige Perlhuhnbrust zu 24,50 Euro
der Regel allein und bleibt allein. Die anderen Gäste, erzählt einer, der ihn dort regelmäßig sieht, lassen ihn in Ruhe. Sollten sie auch. Beckenbauer erwecke nicht den Eindruck, als sei er an Tischgesellschaft interessiert. Im übrigen ist er hier Hausherr.
Als er mit seiner dritten Ehefrau Heidi, einer ehemaligen FC-Bayern-Mitarbeiterin, sowie den Kindern Joel Maximilian und Franziska von Kitzbühel nach Salzburg zog, hat er das Restaurant gekauft. Ansonsten hinaus sehen die Salzburger ihn selten. Er lebt zurückgezogen, heißt es. Auf den Festspielen war er zuletzt nicht mehr gesehen. Dafür zieht es ihn wieder häufiger auf den Golfplatz. Golfen ist nach dem Fußball seine größte Leidendschaft. Darauf mag er auch in schweren Zeiten nicht verzichten. In Rif, einem Ortsteil von Hallein im Süden Salzburgs, trainiert Beckenbauer regelmäßig sein kurzes Spiel. Lange hat man ihn dort viel im „Golfwagerl“sitzen sehen. Inzwischen sei er wieder zu Fuß unterwegs. Soll wohl heißen: Mit Franz Beckenbauer geht es aufwärts.