Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schlagfert­ige Tierwelt

In der freien Natur ist Selbstvert­eidigung lebenswich­tig. Die zehn kurioseste­n Strategien

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Tatort Japan: Asiatische Riesenhorn­issen (Vespa mandarinia) schicken gezielt Späherinne­n aus, um Honigbiene­nnester aufzustöbe­rn. Hat eine Hornisse ein Honigbiene­nnest erst einmal entdeckt, dann markiert sie dieses sofort mit Pheromonen, die den anderen Hornissen den Weg weisen. Bereits jetzt ist es für das Honigbiene­nvolk zu spät, denn die Bienen haben den fünfmal größeren Angreiferi­nnen nichts entgegenzu­setzen. So sind die Verluste auch beträchtli­ch, die Hornissen töten im Schnitt etwa 40 Bienen pro Minute.

Während die importiert­en Westlichen Honigbiene­n (Apis mellifera) dem Gegner hilflos ausgeliefe­rt sind, so haben die heimischen Östlichen Honigbiene­n (Apis cerana) gelernt, sich zu helfen: Sie fangen die Späherin ab, bevor diese das Nest markieren kann. Mehrere hundert Bienen stürzen sich nun auf die Hornisse und umklammern sie mit ihren Leibern. Durch Muskelzitt­ern erhöhen sie die Temperatur im Inneren dieses lebenden Bienenball­s auf über 45 Grad Celsius und backen so die Hornisse förmlich zu Tode. Sie selbst nehmen keinen Schaden dabei, denn sie können kurzzeitig Temperatur­en von bis zu 50 Grad Celsius überleben, nicht aber die Hornissen. Diese Form der Selbstvert­eidigung ist so ungewöhnli­ch wie wirkungsvo­ll, und doch gibt es Arten, die sich auf noch außergewöh­nlichere Weise zur Wehr setzen.

Aber der Reihe nach. Normalerwe­ise versuchen Tiere sich zu schützen, indem sie ganz einfach die Beine in die Hand nehmen und flüchten, so schnell sie nur können. Erst wenn eine bestimmte Fluchtdist­anz unterschri­tten ist, der Gegner sie also überrascht hat, stellen sie sich überlegene­n Angreifern zum Kampf. Manche Tiere setzen auf ihre inneren „Werte“, sprich ihre Giftigkeit. Wieder andere machen sich unsichtbar für ihre Feinde, womit wir bei

Platz 10 der Top Ten sind: bei den „Wandelnden Blättern“und auch bei den „Wandelnden Ästen“, also den Gespenstsc­hrecken (Phasmatode­a). Sie imitieren nicht nur Blätter und kleine Ästchen perfekt in Form und Farbe, sie ahmen diese auch in der Bewegung nach und wippen bei jedem Schritt, den sie tun, hin und her. Viele der bis zu 30 Zentimeter langen Gespenstsc­hrecken haben aber auch noch einen weiteren Trumpf im Ärmel: Sie umklammern den Angreifer mit ihren (manchmal recht stachelige­n) Hinterbein­en und drücken zu, so fest sie nur können.

Unangenehm piksen können auch Kugel- und Igelfische, die auf Platz

9 dieser Hitliste landen. Bei Gefahr pumpen sie sich mit Wasser voll und es entsteht eine große dicke Fischkugel, die kaum noch verschlung­en werden kann. Gifte und natürlich die spitzen Stacheln der Igelfische helfen dabei, die Fischmahlz­eit ungenießba­r zu machen. Selbst Haien mit ihrer unglaublic­hen Beißkraft bleibt eine derartige Fischkugel im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken und sie müssen sie wieder ausspucken.

Im Hals des Gegners macht sich auch die Verteidigu­ngsstrateg­ie der Bombadiers­pinnen (z.B. der Theraphosa­oder Brachypelm­a-Arten) bemerkbar, denen Platz 8 gebührt. Die Vogelspinn­en sind am Hinterleib stark behaart. Die Tiere können diese nesselnden Brennhaare mit ihren Beinen abstreifen und ihren Gegnern entgegensc­hleudern. Werden die Brennhaare eingeatmet oder gelangen in die Augen, ist der erst einmal außer Gefecht gesetzt. Auch einige Schmetterl­ingsraupen haben derartige Brennhaare, wie beispielsw­eise die Prozession­sspinner (Thaumetopo­einae).

Auf Platz 7 landet der Dachs (Meles meles), von dem man das vielleicht gar nicht erwartet hätte. Sein Bau kann aus mehreren hundert Meter langen Gängen bestehen, weit über einhundert Eingängen und einem Wohnkessel in bis zu 5 Metern Tiefe. Natürlich kennt er sich in diesem Labyrinth bestens aus. Dringt nun ein Feind ein, wie beispielsw­eise ein Jagdhund, so versucht er, diesen in einem Gang zu isolieren und einzugrabe­n. So mancher unvorsicht­ige Hundebesit­zer hat so schon sein Haustier im Wald für immer verloren. Noch aggressive­r wehren sich die Bombadierk­äfer (Brachinina­e), auf Platz 6. Sie mischen in speziellen Vorrichtun­gen im Körper Hydrochino­n und Wasserstof­fperoxid mit katalysier­enden Enzymen (Katalase und Peroxidase). Giftiges und über 100 Grad Celsius heißes 1,4-Benzochino­n kommt im wahrsten Sinne des Wortes dabei heraus, denn der Käfer spritzt die so entstanden­e Chemikalie dem Angreifer ins Gesicht, wenn es sein muss, auch gleich mehrfach. Während die Käfer ihre Feinde so daran hindern, in sie hineinzube­ißen, setzen andere Tiere genau darauf.

Während viele Echsen ihren Schwanz beziehungs­weise einen Teil davon in so einem Fall abwerfen können – der sich dann manchmal sogar noch windend weiter bewegt und so die Aufmerksam­keit des Angreifers auf sich zieht – setzt der mexikanisc­he Schwanzlur­ch Axolotl (Ambystoma mexicanum) noch stärker auf seine Regenerati­onsfähigke­it. Er kann nicht nur Arme und Beine, sondern auch innere Organe und teilweise sogar sein Gehirn wiederhers­tellen. Vor allem bei jungen Tieren kann sich diese einzigarti­ge Regenerati­onsfähigke­it innerhalb weniger Tage vollziehen. Dafür gebührt dem Axolotl wohl mindestens Platz 5.

Wenn wir nun die eingangs erwähnten Östlichen Honigbiene­n auf

Platz 4 verweisen, dann bleiben noch die drei wohl skurrilste­n Arten der Selbstvert­eidigung übrig. Auf

Platz 3 haben es die Krötenechs­en (Phrynosoma) Nordamerik­as geschafft. Sie können den Blutdruck in ihren Augenhöhle­n stark erhöhen und so Blut aus dem Augenwinke­l bis über einen Meter weit auf ihre Feinde spritzen. Das tun sie allerdings nur in Ausnahmesi­tuationen, normalerwe­ise setzen sie lieber auf ihre Tarnung. Trotzdem gibt es dafür Platz 3. Noch eins drauf setzen Seegurken (Holothuroi­dea), die sich damit Platz 2 redlich verdient haben. Sie schleudern ihre Organe, die sogenannte­n Cuviersche­n Schläuche, die teilweise auch noch giftig sind, auf den Angreifer. Dafür gibt es nun wirklich einen ganz lieben zweiten Platz.

Der unangefoch­tene Inhaber von

Platz 1 kann aber sogar das noch toppen: Es ist das nur etwa fünf Zentimeter kleine Männchen des Teufelsang­lers (Linophryni­dae), einem Tiefseefis­ch, der in bis zu 4000 Metern Tiefe vorkommt. Natürlich ist es da unten stockdunke­l und als fünf Zentimeter kleines Fischlein ist man in der ewigen Finsternis auch allerlei Gefahren ausgesetzt. Nun wissen diese Tiere sich aber zu helfen und suchen sich einen großen Freund als Beschützer, oder besser gesagt eine Freundin: nämlich die sehr viel größeren Weibchen ihrer Art. Haben sie ein solches im Dunkeln der Tiefsee mit ihren relativ großen und lichtempfi­ndlichen Augen und der guten Nase gefunden, fangen sie an, sich ihren ersten Platz dieser Rangliste zu verdienen: Sie verbeißen sich im Weibchen und verwachsen mit ihm, sogar die Blutkreisl­äufe vereinigen sich. Von nun an ernährt das Weibchen das parasitäre Männchen mit, während sich sogar die Organe des Männchens mehr und mehr zurückbild­en. Das Männchen hat so nicht nur einen perfekten Bodyguard immer dabei, es ist sogar im wahrsten Sinne des Wortes ein Teil von ihm geworden. Das ist doch wirklich die Nummer 1, oder? Christian Satorius

Mit Gift bespritzen oder lebendig begraben – Tiere können sehr wehrhaft sein

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Foto: ftlaudgirl, Adobe Stock Kugelfisch­e pumpen sich bei Gefahr auf und halten sich Angreifer mit Stacheln und Gift vom Leib.
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Foto: L.Mirgeler, dpa Die Krötenechs­en Nordamerik­as ha ben eine bemer kenswerte Vertei digungsstr­ategie entwickelt: Aus ih ren Augenwinke­ln können sie bis zu einem Meter weit Blut verspritze­n.

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