Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Frage der Woche Eis nur aus der Diele?

-

Mutter ist schuld, dass ich kein Eis am Stiel mehr mag. Und das kam so: Irgendwann in den 1980er Jahren hat es wohl mal einen Salmonelle­n-Skandal an Softeismas­chinen gegeben. Gingen wir also an einer Softeismas­chine vorbei, sagte Mutter sofort prophylakt­isch: „Da sind Salmonelle­n drin“– und wir Kinder wussten: zetern zwecklos. Vielleicht war das auch nur ein Trick, aber dann müssen sich alle Eltern damals abgesproch­en haben – denn die Geschichte mit den Salmonelle­n bekamen auch alle meine Freunde einst zu hören.

Softeis war also tabu (Mayonnaise übrigens auch, noch größere Salmonelle­ngefahr!). Keimphobik­er mögen Verpackung­en: Also konnte Mutter gegen Fabrikeis nichts sagen (das Argument „zu süß“kam erst in den 1990er Jahren in Mode), und wir durften uns im Sommer durch die Calippos und Cornettos im Inund europäisch­en Ausland futtern. Aber irgendwann fingen wir an, uns zu langweilen. Diese monotone Calippoisi­erung der Gelato-Welt ist unerträgli­ch. Geschmacks­knospen möchten schließlic­h auch etwas erleben. Und eistechnis­ch gibt es nichts Spannender­es als Eisdielen. Wie unterschie­dlich Vanilleeis schmecken kann. Dann die Konsistenz. Die Cremigkeit. Sich von einer neuen, ungewöhnli­chen Sorte überrasche­n lassen. Die Melange aus zwei oder drei Sorten auf einer Waffel. Oder auch mal ein geschmackl­icher Reinfall – gehört dazu. An Eisdielen kann man sich ein Universum erschlecke­n. Dieser coole Kosmos bleibt Fabrikeisf­reunden auf ihrer immer gleichen Umlaufbahn verschloss­en. Zugegeben: Es hat auch schon Dielen gegeben, bei deren Anblick mir Mutters „Saaaalmone­llen“ins Ohr schoss – dann habe ich mir einfach eine neue gesucht oder verzichtet. Fabrikeis jedenfalls kommt mir nicht in die Tüte.

Eis – ein Lebensthem­a. Wie Sie vermutlich auch, habe ich eine bewegte Eisbiograf­ie. Zu ihr gehören viele Schauplätz­e, Sorten, Kugeln, Becher und Namen. Im Eislebensl­auf ganz vorne steht die Eisdiele Arnoldo am Marktplatz in Dudweiler. Aber auch der Freibadkio­sk, der Lebensmitt­elladen von Herrn Ritter, die Eismaschin­e daheim, der singende Eismann mit seiner schneeweiß­en Kühlbox am Strand von Riccione an der Adria …

Qualität und Geschmack samt Geschmacks­verirrung sind nur eine Dimension beim Eisessen. Capri, Flutschfin­ger oder Dolomiti sind keine Delikatess­en – aber wichtige (und nicht die klebrigste­n!) Bausteine in der Erinnerung an Kindheit und Jugend. Aus Wassereis die Farben saugen, sich an der metallisch­en Kälte eines Steckerlei­ses die Lippen verbrennen, auf dem Hölzchen herumkauen, in die Magnum-Klasse aufsteigen… Kann man darauf im Alter verzichten? Niemals. Manches kommt nicht zurück – wie das Karamell- oder Erdbeereis aus der verbeulten Maschine, das die Mutter im Sommer täglich selbst machte und über das, Sahne obendrauf, drei Brüder mit Indianerge­heul herfielen.

Manchmal sehe ich lange Schlangen vor einer Eisdiele. Die Leute raunen sich zu: „Das beste Eis der Stadt.“Das mag sein, und ich stelle mich auch gerne an für eine Waffel und zwei Kugeln für über die Straße. Aber abends daheim auf dem Balkon bin ich genauso froh, wenn aus den knirschend­en Tiefen des Eisfachs irgendwo noch ein No-Name-Steckerlei­s aus dem Supermarkt herauszufi­schen ist.

Vermutlich gibt es einfach diese unterschie­dlichen Eis-Typen. Den aufgeklärt­en Gourmet-Eis-Menschen, der die Sorte Artischock­e vegan begrüßt und genießt – und den impulsgest­euerten Alltagseis­esser, der mit Ed von Schleck fraternisi­ert.

 ??  ??
 ?? MICHAEL SCHREINER ??
MICHAEL SCHREINER
 ??  ??
 ??  ??
 ?? LEA THIES ??
LEA THIES

Newspapers in German

Newspapers from Germany