Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sicherheit
Das tödliche Erbe im Untergrund
Das Wohn- und Geschäftshaus in der Jakoberwallstraße ist fast fertig; es liegt unmittelbar neben einem Rewe-Supermarkt. Nicht weit davon entfernt ist die große Straßenkreuzung am Jakobertor. Nichts erinnert mehr daran, dass es zu diesem Haus eine brisante Vorgeschichte gibt: Es ist die Stelle, an der kurz vor Heiligabend im Jahr 2016 eine englische Fliegerbombe gefunden wurde. Es war ein Dienstagabend, als ein Baggerfahrer das gefährliche Teil entdeckte.
Bei Tageslicht am nächsten Tag war bereits absehbar, dass die Bombenentschärfung zu einer groß angelegten Aktion werden muss. Die Stadt fand auch einen Termin: den ersten Weihnachtsfeiertag. Über 50000 Augsburger mussten so am 25. Dezember 2016 über mehrere Stunden ihre Wohnungen verlassen. Es war eine der größten Evakuierungsaktionen in der Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.
Augsburg und seine Bomben, das ist eine Geschichte mit vielen Kapiteln. Das jüngste liegt nicht lange zurück. In diesem Fall waren aber deutlich weniger Anwohner betroffen, die Sperrung dauerte zudem nur wenige Stunden. Auf einem Baustellengelände an der Herrenbachstraße wurde Ende Juli eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Es folgte eine groß angelegte Evakuierungsaktion, bei der 1200 Menschen ihre Wohnungen für mehrere Stunden verlassen mussten.
Die 225 Kilogramm schwere Bombe war bei Transportarbeiten in einem Kieshaufen entdeckt worden. Dies heißt, dass der Blindgänger wohl mehrere Monate lang an dieser Stelle gelegen hat. Bei Ausgrabungen an der Baustelle muss die Bombe ausgehoben worden sein, sie wurde allerdings nicht sofort entdeckt; sie blieb im Erdhaufen liegen.
Im Stadtgebiet liegt noch immer eine unbekannte Anzahl von Weltkriegs-Blindgängern. Für die Freien Wähler ist dies nun Anlass, sich dem Thema „Gefährdung durch Kampf- näher zu widmen. Zum Schutz der Bevölkerung wollen die Freien Wähler mehr Sicherheitsvorkehrungen. In einem Antrag dazu heißt es: „Die Stadt möge in ihren Industriekanälen im Stadtgebiet vor Wasserbau- und Uferbauarbeiten, Brückensanierungen und Neubauten eine Kampfmitteluntersuchung des Kanalgrundes zur Sicherheitsauflage machen, sofern bei den Bau- arbeiten tiefgründige Rammarbeiten stattfinden (zum Beispiel Einrammen von Eisenträgern oder Spundwänden in den Kanalboden).“Solche Arbeiten dürften nicht ohne Kampfmittelfreiheitsbestätigung durch einen autorisierten Spezialisten, der den Kanalboden bzw. Baugrund untersucht hat, durchgeführt werden. Sollten private Kraftwerksbetreiber Rammarmittel“
beiten in Industriekanälen durchführen, habe die Stadt sicherzustellen, dass die Untersuchungen im Kanalboden eben so durchgeführt würden.
Auf AZ-Anfrage zeigt sich die Stadt in der Bewertung des Antrags zurückhaltend. Laut Pressesprecherin Elisabeth Rosenkranz wird der Antrag geprüft, bevor es womöglich eine Beratung in den politischen Gremien gebe. Unterschätzt werden dürfe die von Bomben ausgehende Gefahr keineswegs, sagt Friedhelm Bechtel, Sprecher der Augsburger Berufsfeuerwehr. Der Zweite Weltkrieg hat, so die allgemeine Einschätzung, ein Erbe im Boden hinterlassen, das immer noch tödlich sein kann. „Wie viele Blindgänger noch in Augsburg liegen, ist zuverlässig nicht abzuschätzen. Man muss jedoch realistischerweise davon ausgehen, dass es noch eine erhebliche Anzahl geben kann“, heißt es aus dem Amt für Brand- und Katastrophenschutz.
Fachleute gehen davon aus, dass bis zu 15 Prozent der Bomben nicht explodierten – so mancher Augsburger dürfte also auf einem Blindgänger sitzen, ohne davon zu ahnen. Große Luftminen („Blockbuster“) tauchen selten auf, es werden regelmäßig Splitter- und Brandbomben oder Granaten gefunden. Zwischen einem und sechs Blindgängern pro Jahr sind es, die meist bei Bauarbeiten ans Tageslicht kommen. Nach der bayerischen Bauordnung ist der Bauherr dafür zuständig, sein Grundstück auf Kampfmittel zu untersuchen. In Gebieten mit Bebauungsplänen gibt die Stadt Hinweise, ob im Areal mit Blindgängern zu rechnen ist, so das Baureferat. Im Amt für Brand- und Katastrophenschutz lagern Luftbilder der Alliierten aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Behörde berät Bauherren, sich hier zu informieren. Wo auf Luftbildern helle Flecken sind, handelt es sich um Bombenkrater. Wo viele Krater sind, fielen viele Bomben – die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort mehr Blindgänger finden, ist höher.
Die Aufgaben, wer was zu tun hat, sind laut Stadt klar verteilt: Die Beseitigung von Kampfmitteln im Stadtgebiet ist Aufgabe des Freistaates. Aufgabe der Gemeinden als Sicherheitsbehörde ist es, beim Fund von Kampfmitteln geeignete Maßnahmen zu treffen, damit die Beseitigung durch den Kampfmittelräumdienst gefahrlos durchgeführt werden kann. Dies obliege innerhalb der Stadtverwaltung dem Amt für Brand- und Katastrophenschutz. »Kommentar