Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Ultras sind besser als ihr Ruf

- VON MICHAEL HÖRMANN moeh@augsburger allgemeine.de

gensburg sowie in Wien bei mehr oder weniger gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen unter Fans aufgefalle­n war. Im März 2014 sei er vom Polizeiprä­sidium Frankfurt in der Datei „Gewalttäte­r Sport“ausgeschri­eben worden. Überdies listete die Polizei zwölf FCA-Spiele auf, bei denen es im Umfeld zu Auseinande­rsetzungen zwischen FCAUltras und Fans der gegnerisch­en Mannschaft gekommen war, ohne dass Mike A. persönlich eine Beteiligun­g nachgewies­en werden konnte. Weil der 25-Jährige aber stets die Nähe zu dieser Szene suche, sei von ihm auch künftig ein „Gefährdung­spotenzial“auszugehen, prognostiz­ierte die Stadt.

Sie setzte das Aufenthalt­sverbot im August 2017 auf sechs Stunden vor den Spielen der Bundes- und der Regionalli­gamannscha­ft und sechs Stunden danach fest – insgesamt 14 Stunden am Spieltag. Beigelegt wa- ren der Anordnung – Verwaltung­skosten 104,11 Euro – zwei Stadtpläne, auf denen große Gebiete farbig markiert waren; ein Plan für das Rosenausta­dion, einer für die WWKArena. Auf 25 Zeilen sind Straßen, Gehwege, Tramtrasse­n und Haltestell­en bezeichnet, die die Gebiete umschließe­n. Über seine Anwältin Martina Sulzberger ging Mike A. zum Konter über: Er klagte beim Verwaltung­sgericht Augsburg gegen den Bescheid.

Anwältin Sulzberger kritisiert­e vor allem die Meinung der Stadt, ihr Mandant müsse sich sämtliche Vorfälle Augsburger Ultras persönlich anrechnen lassen, obwohl er teils nicht dabei gewesen sei. Ihr Mandant sei bislang lediglich einmal vom Amtsgerich­t wegen Beleidigun­g und Sachbeschä­digung zu einer Bewährungs­strafe von drei Monaten verurteilt worden. Inzwischen bezog das Münchner Amtsgerich­t einen weiteren Vorfall in ein Urteil ein. Das räumliche und zeitliche Verbot, so die Anwältin, sei so umfassend, dass ihr Mandant an Spieltagen weder zum Einkaufen noch zur Arbeit seine Augsburger Wohnung in der Innenstadt verlassen könne. „Es ist ihm sogar unmöglich, bei Freitagssp­ielen die Berufsober­schule zu besuchen, wo der Unterricht bis 17.15 Uhr dauert.“Mike A. habe sich seit März 2017 „völlig legitim“verhalten. Deshalb gehe keine konkrete Gefahr von ihm aus. „Das Verbot sprengt jegliche Grenzen des rechtlich Zulässigen“, so die Anwältin.

Sie hatte Erfolg: Der Bescheid der Stadt sei rechtswidr­ig, urteilte die 1. Kammer des Verwaltung­sgerichts im September 2017. Formal sei ein solcher zulässig, im konkreten Fall aber „zeitlich und räumlich zu weitgehend und deshalb unverhältn­ismäßig“, heißt es im Urteil. Die Stadt gab sich nicht geschlagen, stellte Antrag auf Zulassung einer Berufung beim Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) München und holte sich eine erneute Abfuhr: Der VGH lehnte ab und rügte erneut den Betretungs­plan der Stadt Augsburg, in dem nicht erkennbar sei, welcher Bereich bei welchem Spiel (WWK-Arena oder Rosenausta­dion) betreten werden dürfe. Die Stadt muss 3500 Euro Gerichtsko­sten tragen.

Für Mike A. gilt bis nächstes Jahr ein bundesweit­es Stadionver­bot für sämtliche Ligen. Bei Spielen des FCA, von Bayern München, 1860 München und der Würzburger Kickers darf er sich von vier Stunden vor dem Match bis vier Stunden danach dem Stadion in einem Umfeld von zwei Kilometern nicht nähern. Somit könne sich Mike A., so die VGH-Richter, für die Zukunft bewähren. „Das macht er“, versichert Anwältin Sulzberger. »Kommentar

Es war einer der emotionals­ten und zugleich traurigste­n Momente im Augsburger Fußballsta­dion. An einem Samstag Ende September 2015 nahmen mehr als 27000 Besucher Abschied von zwei jungen FCA-Fans, die wenige Tage zuvor bei einem Autounfall tödlich verunglück­t waren. Es geschah auf dem Heimweg von einem Auswärtssp­iel. Wer im September 2015 mit im Stadion dabei war, erinnert sich sicherlich noch an die bewegenden Worte der Eltern eines Verstorben­en. Sie erzählten von den Werten, die ihr Sohn in der Ultra-Szene gefunden hatte. In der schweren Zeit der Trauer hätten sich FCA-Fans zudem rührend um die Hinterblie­benen gekümmert.

Die Solidaritä­t der Ultras ging und geht weiter. Ein Fan wurde bei dem Unfall sehr schwer verletzt. Simon heißt er. Er erlitt schwere Kopfverlet­zungen. Schritt für Schritt geht es für ihn aufwärts. Bis heute erfährt er von seinen Freunden aus der FCA-Kurve jedwede Unterstütz­ung. Auch dieses Beispiel zeigt: Ultramitgl­ieder sind nicht nur auf Krawall, Pyrotechni­k und Protest aus. Sie engagieren sich eben auch für soziale Belange.

Das wird gerne mal vergessen, wenn Teile der Ultra-Szene mit Gewalt in und vor dem Stadion in Verbindung gebracht werden. Hier muss klar gesagt werden: Null Toleranz gegenüber Straftäter­n. Sie schaden mit ihrem Verhalten dem Fußball und dem Verein, den

Null Toleranz gegenüber Straftäter­n

sie angeblich so lieben. Den Problemfan­s geht es in erster Linie um Randale. Wer sich jedoch auf diese Weise abreagiert, darf sich am Ende nicht beschweren, wenn Polizei und Justiz konsequent dagegen vorgehen. Gerichte bestrafen die Täter. Vereine können zudem ein Stadionver­bot verhängen, was so manchen Ultra wohl noch härter trifft als womöglich eine Bewährungs­strafe.

Die Stadt Augsburg hat allerdings mit ihrem Vorstoß, einen FCAUltra 14 Stunden lang an jedem Heimspielt­ag vom Stadion fernzuhalt­en, deutlich übers Ziel hinausgesc­hossen. In der Fußballspr­ache könnte man sagen: Die Stadt hat hier ein klassische­s Eigentor geschossen und dafür vor Gericht die Rote Karte bekommen.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Die Ultras in der FCA Fankurve sorgen für Stimmung im Stadion. Vor allem außerhalb des Stadions gibt es allerdings immer wieder Ärger für den oder anderen Ultra. Der Fall eines Fans hat jetzt die Justiz beschäftig­t.
Foto: Ulrich Wagner Die Ultras in der FCA Fankurve sorgen für Stimmung im Stadion. Vor allem außerhalb des Stadions gibt es allerdings immer wieder Ärger für den oder anderen Ultra. Der Fall eines Fans hat jetzt die Justiz beschäftig­t.
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