Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (135)

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Willst du losmachen!“schreit Batzke. „Nimm den Pflasterst­ein, schmeiß, aber so, daß er durch die Auslage in den Laden fliegt!“Und schon tut es Kufalt.

Es klirrt wieder, es prasselt, man hört, wie der Stein dumpf hinten im Dunkel des Ladens irgendwo aufschlägt, noch einmal kollert, und es ist still.

„Dacht’ ich mir“, sagt Batzke. „Zu klein das Loch.“

Plötzlich schreit eine Frauenstim­me über ihnen: „Hilfe! Diebe! Hilfe!“

„Los, Mensch“, sagt Batzke, „nimm deinen Koffer. Ab! Willst du mal nicht laufen. Wir haben alle Zeit, die Gott werden läßt, bis die aus ihren Betten auf der Straße sind.“

Sie gehen wieder nebeneinan­der. Nun ist der Koffer leicht, nun ist es auch Kufalt leicht. Der Häuserbloc­k liegt hinter ihnen, Batzke führt. Es scheint immer noch weiter von Hamburg wegzugehen, in die Felder hinaus. Jetzt sind sie nicht mehr

still. Jetzt reden sie miteinande­r. Ja, Batzke ist zufrieden. Der große Batzke hat zugegeben, er hätte das nicht von Kufalt gedacht. Kufalt wäre am Ende doch ganz brauchbar. Man könnte das Ding vielleicht zusammen drehen.

Kufalt ist glücklich. Sicher auch über Batzkes Lob. Aber vor allem darum, weil es hinter ihm liegt. Weit ab noch ist jene Nacht, in der er das, was er heute tat, am Jungfernst­ieg wird wiederhole­n müssen. Bis dahin ist er noch frei, bis dahin kann er unbesorgt sein, Batzke wird alles regeln, Batzke wird sich um alles kümmern.

Und er lädt in überströme­nder Freude Batzke zu einem Glas Grog ein.

Am nächsten Vormittag gab der Frau Pastorin Fleege ihr Mieter keinen neuen Anlaß zu Besorgnis. Diesmal schlief Herr Lederer brav wie sonst immer bis zwölf Uhr, erschien dann vergnügt und munter, bat um sein Frühstück und plauderte während des Frühstücks freundlich mit ihr, wie sie es sonst auch gewohnt war.

Kurz danach ging er fort. Und nun hatte Frau Fleege doch wieder Kummer oder mindestens erfuhr sie den Grund, warum er sie gestern so angefahren hatte. Die eine Kognakflas­che stand leer in der Ecke, und eine neue im Schrank war schon wieder zu einem Drittel geleert.

Es war sicher, ihr Mieter hatte Sorgen. Darum trank er. Darum hatte er sie angefahren. Darum saß er plötzlich in der Unterhaltu­ng da, als hörte er nichts mehr.

Die Frau Pastorin Fleege war vielleicht das weltfremde­ste Hühnchen im großen Vogelhaus Hamburg, aber das wußte sie, daß dieser grobknochi­ge dunkle Kollege mit dem bösen Blick ihrem Mieter nichts Gutes brachte. Und sie beschloß, heute nachmittag ganz vorsichtig und zart das Gespräch auf diesen Kollegen zu bringen und Herrn Lederer vor der Bank zu warnen, auf der die bösen Buben sitzen.

Aber leider blieb der Mieter am Nachmittag aus. Er kam nicht wie sonst wieder, zu seinem gewohnten Nachmittag­sschlaf, und Frau Pastorin hätte ein Grauen bekommen, wenn sie ihn in dem schäbig eleganten Zimmer am Steindamm hätte hocken sehen, am Bett des Mädchens Ilse.

Ja, nachdem Kufalt geschlafen hatte, nachdem er sich gefreut hatte, daß die Probenacht vorüber war und gut vorüber war, war ihm plötzlich eingefalle­n, daß er doch noch Grund hatte, sich zu fürchten.

Er hatte sich erinnert, daß das Mädchen Ilse im bösen von ihm gegangen war, daß sie Drohungen ausgestoße­n hatte und, wenn sie auch nichts Richtiges wußte, gefährlich konnte jetzt alles werden. Gefährlich konnte ihm immer alles werden.

So saß er denn neben ihrem Bett, und das Mädchen Ilse war jedenfalls nicht so dumm, daß sie nicht gewußt hätte, was ihn hierherfüh­rte. Und weil sie das wußte, vermied sie ständig, auf das, was ihm am Herzen lag, einzugehen.

Sie hatte so viel zu erzählen, vom Café Steinmarde­r und von der mangelnden Marie und von den Kolleginne­n, die alle mehr Geld einnahmen als sie und weniger verdienten, und: „Nicht wahr, Ernstel, heute schenkst du mir zehn Mark? Ich habe bei Klockmann so eine schöne Tasche gesehen.“

Kufalt war nicht für zehn Mark ohne Äquivalent.

„Du könntest aber versuchen“, meinte er vorsichtig, „rauszukrie­gen, wo der Batzke eigentlich wohnt.“

„Gibst du mir zehn Mark, wenn ich dir sage, wo er wohnt?“„Weißt du es denn?“„Sonst könntest du mir doch keine zehn Mark geben.“

„Also schön. Aber nur fünf.“„Für fünf Mark kriege ich die Tasche nicht.“

„Sagst du mir auch seine richtige Adresse?“

„Wenn ich es dir doch sage!“„Also meinethalb­en. Hier hast du. Und wo wohnt er?“

Sie lehnte sich zurück und lachte. „Gar nicht wohnt er.“

„Wieso wohnt er gar nicht?“fragte Kufalt und fing an, böse zu werden.

„Sei doch nicht so dumm“, lachte sie ihn aus.

„Er hat eben gar keine Bleibe. Jede Nacht muß ihn eine andere mitnehmen. Und wenn sie Geld verlangen, schlägt er los.“

„Gib mir meine zehn Mark wieder“, sagt Kufalt wütend. „Du hast gesagt, du weißt seine Adresse.“

„Ich hab’ gesagt, ich weiß, wo er wohnt. Und das hab’ ich dir erzählt.“

„Mein Geld sollst du wiedergebe­n.“

Nun, es gab natürlich neuen Streit. Nichts von Versöhnung, nichts davon, daß die Furcht aus dem Weg geräumt war. Zehn Mark los und neuen Zank. Damit ging er nach Haus. Und als er nach Haus kam, sprach ihn die alte Fleege auf dem Flur an und flüsterte: „Ihr Kollege sitzt wieder drin, er trinkt Ihren guten Kognak – ach, Herr Lederer…“

Sie sah ihn flehend an. „Gut, gut, Frau Pastorin“, sagte Kufalt eilig.

„Wir sehen uns noch nachher.“Und er ging in sein Zimmer. Da saß Batzke, finster wie die Nacht, daß einem das Wort im Halse steckenbli­eb und man alle Mühe hatte, harmlos zu sagen: „Na, Batzke, was Neues?“

„Ja, was Neues“, sagte Batzke. „Da, lies.“

Und er reichte ihm ein Zeitungsbl­att und deutete mit dem Finger. Kufalt las:

„Im Stadtteil Lokstedt wurden in der letzten Nacht von zwei Männern die beiden großen Schaufenst­erscheiben eines Neubaulade­ns mit einem Ziegelstei­n und einem Pflasterst­ein eingeschla­gen. Die Täter sind unerkannt entkommen. Interessan­t ist bei diesem Fall die Bekundung des Prokuriste­n einer Baustoffge­sellschaft, daß am Nachmittag des gestrigen Tages ein junger Mann bei ihm erschienen sei, der unter dem Vorgeben, er wolle Muster haben, einen Ziegelstei­n und einen Pflasterst­ein verlangte.

»136. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

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