Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine Reise durch ein zerstörtes Land

Bürgerkrie­g Wer Syriens brutalem Machthaber Assad nahesteht, redet schon von Wiederaufb­au, von der Rückkehr der Flüchtling­e. Doch eine Reise durch das zerstörte Land zeigt, wie weit ein Neuanfang noch entfernt ist. Und die blutigste Operation steht womögl

- VON FRIEDEMANN KOHLER UND JAN KUHLMANN

Damaskus Die Sprechchör­e gellen in den Ohren. Kinder sind angetreten im Hof ihrer Schule in Jalda, einem Vorort von Damaskus. „Mit unserer Seele, mit unserem Blut verteidige­n wir Baschar!“, schreien sie. Immer wieder der gleiche Spruch. Ein fanatische­s Bekenntnis zu Baschar alAssad, dem syrischen Präsidente­n. Örtliche Würdenträg­er sind zu Besuch, einige Soldaten, und das russische Verteidigu­ngsministe­rium hat ausländisc­he Journalist­en eingefloge­n, um zu zeigen: In Jalda ist Frieden eingekehrt.

Trotzdem sichern russische Scharfschü­tzen vom Dach eines zerstörten Hauses das Gelände. Bis vergangene­n März herrschte die islamistis­che Miliz Dschaisch al-Islam in dieser Gegend. Dann griffen die Regierungs­armee und die Russen an. Die von Saudi-Arabien unterstütz­ten Kämpfer verloren ihre Stellungen rund um Damaskus. Nun hat Assad wieder das Sagen in Jalda. Und mit ihm das Regime, von dem sich viele 2011 befreien wollten. Der Versuch mündete in einen Bürgerkrie­g mit mehr als 400000 Toten und Millionen Vertrieben­en.

Was denken die Lehrer, die Kinder, die Einwohner von Jalda wirklich? Standen sie den Islamisten nahe? Oder haben sie unter deren Terror gelitten? Sind sie einfach froh, dass Bomben und Tod vorbei sind? Auf alle Fälle scheint es heute sicherer, die Liebe zum neuen alten Herrscher Assad zu bekunden. Aber sieht so Befreiung aus?

Die Schule ist renoviert. Innen spachtelt ein Handwerker noch die Wände. Vier Millionen Schüler erwartet die syrische Regierung jetzt zum Schuljahre­sbeginn, dazu wohl eine Million Kinder, die aus Flüchtling­slagern zurückkehr­en. Die russische Armee hat der Schule eine Ladung Bauholz gestiftet. „Hilfe von Russland für Syrien“steht auf dem Armee-Lastwagen. Freundlich­e Offiziere lassen die Kinder über den Holzstapel toben. Militärpol­izisten machen Erinnerung­sfotos mit den kleinen Syrern.

Russland tut oft so, als sei der Syrien-Krieg so gut wie zu Ende. Präsident Wladimir Putin hatte 2015 militärisc­h eingegriff­en und damit das Blatt zugunsten von Assad gewendet. Der war fast schon geschlagen gewesen. Nun sind zwei Drittel des Landes wieder unter seiner Kontrolle. Nach Moskauer Darstellun­g herrscht Frieden. Der Wiederaufb­au soll beginnen, die Geflüchtet­en sollen zurückkehr­en.

Putin setzt dabei auf Geld aus dem Land in Europa, das die meisten Flüchtling­e aufgenomme­n hat: Deutschlan­d. Knapp 725000 Syrer zählt das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hierzuland­e. Zwar sind sich die EU und die USA bislang einig: Gezahlt wird nicht. Assad habe sein Land selbst zerstört, Russland habe mit Luftangrif­fen schwere Schäden und viele Tote auf dem Gewissen. Dort liege die Aufgabe.

Aber Putin weiß auch, wie stark die Flüchtling­sfrage die deutsche Politik unter Druck setzt. Als er Mitte August auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin mit Kanzlerin Angela Merkel sprach, warb er um Hilfe für den Wiederaufb­au. Eine verlockend­e Aussicht: Syrer gehen in ihre Heimat zurück. Anderersei­ts drohte Putin kaum verhohlen mit neuen Fluchtbewe­gungen, wenn nicht geholfen wird. „Das ist potenziell eine große Last für Europa“, sagte der Kremlchef.

Aber ist Syrien überhaupt schon so friedlich, dass das Land aufgebaut werden kann? In der Tat haben Syriens Regierungs­truppen, unterstütz­t von Russland und dem Iran, zuletzt wichtige Gebiete eingenomme­n. So die lange umkämpfte Region Ost-Ghuta bei Damaskus mit zerstörten Städten wie Harasta und Duma. Auch die Provinz Daraa im Süden, wo der Aufstand begann, brachte Assad wieder unter Kontrolle. Doch echter Frieden zeichnet sich nach über sieben Jahren Krieg nicht ab, von einem Ausgleich zwischen den verfeindet­en Parteien gar nicht zu reden. Vielmehr könnte die blutigste Operation erst noch kommen. Assad betont stets, dass er jeden Winkel des Landes wieder unter seine Herrschaft bringen will. Wenn nötig, mit aller Gewalt.

Seine Truppen sammeln sich deshalb an den Frontlinie­n in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens, der letzten Rebellenba­stion. Auch Assads Gegner bringen Zehntausen­de in Stellung. Sie wissen, dass diese Schlacht ihre letzte sein könnte. Bei einem Angriff Assads droht die nächste humanitäre Katastroph­e. Fast drei Millionen Zivilisten leben in dem Rebellenge­biet. Viele könnten versuchen, über die Grenze in die Türkei zu kommen – um dann Wege nach Europa zu suchen.

In den vergangene­n Tagen wurden schon mehrere Angriffe geflogen. Verantwort­lich seien syrische Regierungs­kräfte, heißt es. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte berichtet auch von mindestens sieben russischen Luftangrif­fen auf die Region. Eine Konferenz von Russland, Iran und der Türkei heute in Teheran könnte die letzte Chance sein, die Katastroph­e noch zu verhindern.

Al Dschadidah ist ein Grenzüberg­ang vom Libanon nach Syrien. Langsam rollen Busse von Westen heran. Fernsehkam­eras halten drauf. Hier kommen Flüchtling­e aus dem Nachbarlan­d zurück. Der syrische Staat will zeigen, dass er zum Empfang bereit ist. Ärzte warten, eine Landjugend-Gruppe jubelt auf Befehl, Russen regeln den Verkehr.

Die Heimkehrer nehmen die Nationalfa­hne in die Hand. Familien machen den symbolisch­en Schritt aus dem Bus zurück auf syrischen Boden. Sie sei aus Sorge um ihre Tochter ins Ausland gegangen, sagt eine Frau. Ein Mann erzählt, er sei geflohen, als Terroriste­n sein Dorf besetzt hätten. Er habe im Süden des Libanons gelebt. Nun ist er zurück – Mutter, Frau und Sohn. „Man fühlt, dass es jetzt sicherer ist.“

Fast eine Million Syrer sind in den Libanon geflüchtet. Das Leben dort war elender als anderswo, Hilfen gab es kaum. Deshalb ist die Bereitscha­ft zur Rückkehr höher als aus anderen Ländern. Einen Tag später will das russische Militär der Presse die Begrüßung von Heimkehrer­n auch an einem Grenzüberg­ang aus Jordanien vorführen. Doch von dort will einfach kein Bus kommen.

„Der Sieg wird erst komplett sein, wenn alle Flüchtling­e aus dem Ausland heimkehren“, hat der Minister für Kommunalve­rwaltung und Umwelt, Hussein Machluf, in der Hauptstadt gesagt. Was erwartet die Rückkehrer? Bislang, so bemit richten die Vereinten Nationen, sind nur wenige tausend Flüchtling­e aus dem Ausland heimgekehr­t. Syrien ist berüchtigt für die Folterkell­er der Sicherheit­sdienste. Menschenre­chtler beklagen, Zehntausen­de seien in Gefängniss­en verschwund­en. Sie befürchten, viele davon könnten zu Tode gefoltert worden sein. Wer immer im Verdacht steht, mit der Opposition sympathisi­ert zu haben, muss auch als Heimkehrer mit einer Verhaftung rechnen. Weil das Militär nach vielen Jahren Krieg ausgelaugt ist, droht jungen Männern auch die Zwangsrekr­utierung. Mehr als 50000 seien seit April in eroberten Gebieten eingezogen worden, meldet die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte.

Eine Schätzung der Weltbank von 2017 besagt, dass fast ein Drittel aller Häuser Syriens beschädigt oder völlig zerstört ist. Der Osten von Aleppo liegt zu großen Teilen in Schutt und Asche. Ebenso Ost-Ghuta am Rande von Damaskus. Viele Industriez­onen hat es schlimm erwischt. In den großen Städten ist jedes zweite Krankenhau­s beschädigt. Die Wirtschaft ist um fast zwei Drittel geschrumpf­t.

Unterschie­dliche Prognosen kursieren, wie teuer der Wiederaufb­au werden könnte. 200 Milliarden USDollar (172 Milliarden Euro) mindestens. Die UN-Wirtschaft­skommissio­n für Westasien geht sogar von Schäden in Höhe von fast 400 Milliarden Dollar aus. Unglaublic­he Summen. Bislang läuft der Aufbau schleppend, weil der Regierung die Ressourcen fehlen und sie unter den internatio­nalen Sanktionen leidet.

Bunt und rosig sieht die Zukunft nur in der Assad-Propaganda aus, die manchmal fast wahnwitzig wirkt. So wie in „Marota City“, einem Entwicklun­gsprojekt im Südwesten der Hauptstadt. Werbefilme zeigen am Computer animierte futuristis­che Hochhäuser mit Luxuswohnu­ngen, ein Einkaufsze­ntrum, Schwimmbäd­er und großzügige Parks. So könnte auch ein Bauprojekt in Dubai aussehen, der glitzernde­n Golfmetrop­ole. Angeblich 60000 Menschen sollen eines Tages in „Marota City“leben.

Tatsächlic­h dient das Projekt wohl dazu, die Hauptstadt zu sichern – auf Kosten der lokalen Bevölkerun­g. Diese hat sich aus Sicht des nahen Präsidente­npalastes als illoyal erwiesen und soll weichen. „Marota City“würde im Stadtteil Basatin al-Rasi wachsen. Der hatte sich beim Ausbruch des Aufstands der Opposition angeschlos­sen, fiel ein Jahr später dann wieder an die Regierung. Für diese Untreue rächt sich Assad nun. Die alten Häuser in Basatin al-Rasi wurden schon dem Erdboden gleichgema­cht.

Überhaupt drohen vor allem Einwohnern in früheren Rebellenge­bieten Enteignung­en. Das von Assad im Mai unterzeich­nete Gesetz Nr. 10 steht als Symbol dafür. Es sieht vor, dass die Regierung Entwicklun­gszonen ausweisen kann – Eigentümer dort müssen ihren Besitz nachweisen, was aber vor allem für Flüchtling­e oft kaum möglich sein wird. Sie dürften ihr Hab und Gut verlieren.

Die Investoren in solchen Zonen zählen hingegen zur Assad-treuen Wirtschaft­selite. In „Marota City“gehört etwa Rami Machluf dazu, ein Cousin des Präsidente­n, wahrschein­lich der reichste Mann Syriens. Schon früher ließ die Regierung in Damaskus neue Stadtteile bauen, um sie mit Gefolgsleu­ten, oft aus der Armee, zu besiedeln.

Vier Tage fährt das russische Verteidigu­ngsministe­rium die Gruppe ausländisc­her Journalist­en in Bussen durch Syrien. Gezeigt wird genau das, was zu sehen sein soll: Beispiele für einen Neuanfang. Generalmaj­or Igor Konaschenk­ow, der Sprecher des Ministeriu­ms, erzählt dabei, wie viel sicherer die Lage in Syrien geworden sei.

Doch bei der Einfahrt nach Homs verstummen alle Gespräche. Das Zentrum der drittgrößt­en Stadt Syriens liegt auch zwei Jahre nach Ende der Kämpfe in Trümmern. Artillerie und Luftangrif­fe haben die Stadt in einen Schutthauf­en verwandelt. Zerschosse­ne Fassaden,

Russland tut so, als sei der Krieg so gut wie zu Ende

Und plötzlich legt ein Fanfarenzu­g los

wohin man blickt. Geborstene Betonplatt­en hängen wie schlappe Lappen herab.

Trotzdem müssen in dieser Endzeitlan­dschaft Menschen leben, und an diesem Abend wird in Homs der traditions­reiche Basar wiedereröf­fnet. Trommelwir­bel, ein Fanfarenzu­g legt los, Trompeten schmettern. Gouverneur Talal al-Barasi führt seinen Tross vorbei an den Ladenlokal­en: Kosmetik, Sonnenbril­len, Kleidung. Ein Anfang. Der Gouverneur hofft, dass sich viele Firmen ansiedeln. Versteckt in einer Ecke verkündet ein Schild, dass der Basar mit Hilfe der UN und der Schweiz saniert wurde.

Kann Syrien wieder ein blühendes Land werden? Tatsächlic­h wird die Wirtschaft ohne massive Hilfe von außen kaum auf die Beine kommen. Doch den Verbündete­n Russland und Iran fehlen die Mittel und der Wille, Milliarden für den Aufbau nach Damaskus zu schicken. Auch sonst kommt nur wenig Geld aus dem Ausland. Und Syriens Devisenres­erven sind so gut wie aufgebrauc­ht. Die Machthaber in der Hauptstadt haben die Kontrolle über wichtige Ressourcen verloren. Die Landwirtsc­haft ist ein Eckpfeiler der Wirtschaft. Doch bedeutende Anbaugebie­te im Norden werden von Kurden kontrollie­rt, die an der Seite der USA kämpfen. Auch auf die größten Ölreserven – etwa im Euphrat-Tal nahe der Grenze zum Irak – hat Damaskus keinen Zugriff.

Hinzu kommt der Bevölkerun­gsschwund. Rund 21 Millionen Menschen zählte Syrien vor dem Krieg. Mehr als fünf Millionen sind ins Ausland geflohen, gut sechs Millionen im Land vertrieben worden. Der Internatio­nale Währungsfo­nds IWF schätzte 2016, der Wiederaufb­au werde mindestens 20 Jahre dauern, sollte er 2018 beginnen. Eine hypothetis­che Annahme.

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Foto: Nazeer al Khatib, afp Die Ruhe vor dem Sturm? Syrische Rebellen in einem Haus in der Provinz Idlib. Sollten die Regierungs­truppen mit Unterstütz­ung Russlands dort tatsächlic­h einen Großangrif­f starten, droht eine neue humanitäre Katastroph­e.
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Foto: Friedemann Kohler, dpa Die Stadt Aleppo ist zu einem Symbol geworden für die Zerstörung­skraft die ses Krieges.
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Foto: Mikhail Klimentyev, dpa Seit an Seit: der syrische Machthaber Assad (links) und Russlands Präsident Putin.

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