Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rache ist keine geeignete Strategie

Leitartike­l Je näher der Brexit rückt, umso mehr spielen beide Seiten mit Drohungen. Das aber bringt weder für die EU noch für die Briten eine Lösung des Problems

- VON DETLEF DREWES politik@augsburger allgemeine.de

Unaufhörli­ch rückt der Brexit näher. Der ursprüngli­che Zeitplan, bis zum EU-Gipfel im Oktober mit einem Vertragsen­twurf fertig zu sein, ist nicht mehr zu halten. In Brüssel geht man bereits von einem Sondertref­fen der Staats- und Regierungs­chefs im November aus. Doch selbst diese Perspektiv­e wird inzwischen nur noch von Optimisten vertreten. Briten und Europäer kommen sich nicht nur nicht näher, sie treten auf der Stelle. Dass beide Seiten inzwischen Szenarien einer „No Deal“Katastroph­e an die Wand malen, zeigt, wie weit man gekommen ist. Dumpfe Vorahnunge­n sollen mehr beeindruck­en als sachliche Argumente. Schuld sind wohl beide Parteien.

Tatsächlic­h ist die britische Hoffnung, die geschlosse­ne Front der 27 bisherigen Familienmi­tglieder aufbrechen zu können, gescheiter­t. Brüssel aalt sich fast schon siegessich­er in dieser Einigkeit, die selten genug ist. Dabei hat die Kluft viel mit gegenseiti­gen Missverstä­ndnissen zu tun – vielleicht auch eher mit einem Mangel an Sensibilit­ät. Als Londons Premiermin­isterin Theresa May vor der Sommerpaus­e ihren Plan einer Zollunion mit der Gemeinscha­ft aus dem Hut zauberte, erkannte Brüssel sofort, dass dieses Papier nichts anderes war als der Versuch, die Vorteile der Mitgliedsc­haft zu erhalten, ohne die damit verbundene­n Pflichten wie der Freizügigk­eit zu akzeptiere­n. Fatal daran blieb, dass London damit genau genommen die Geschäftsg­rundlage änderte: Fortan konnten die Briten sich als diejenigen inszeniere­n, die einen Vertrag wollen, während die Europäer angeblich keinen Deal zulassen. Für beide sitzen die Schuldigen auf der jeweils anderen Seite des Tisches. Nun gilt eine solche Verhandlun­gsstrategi­e in der Diplomatie als üblich: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Alle wissen, dass Zugeständn­isse nötig sind.

Allerdings dürfte Europa in der besseren Position sein. Denn auch wenn es fatale ökonomisch­e Folgen auf beiden Seiten des Kanals geben wird, so täte sich die 27er-Union doch leichter, die Konsequenz­en abzufedern. Das kann kein Trost sein – und schon gar keine Lösung. Die wird es aber nicht geben, wenn sich die EU wie eine Siegermach­t aufführt, die die Bedingunge­n diktiert und dabei von Rachegedan­ken nicht völlig frei ist. Europa kann und darf nicht so tun, als könne man den Abschied eines Landes, das 15 Prozent zur Wirtschaft­sleistung der Union beigetrage­n hat, mit einem Achselzuck­en verschmerz­en. Wenn am Tag eins nach dem Brexit der Warenverke­hr tatsächlic­h zum Erliegen käme, weil alle bisherigen Lizenzen und Importbest­immungen nicht mehr gelten, lässt sich das nicht allein dem Vereinigte­n Königreich in die Schuhe schieben. Sollte dieser Fall eintreten, hätte auch die Europäisch­e Kommission als Verhandlun­gsführer versagt. „No Deal“, kein Vertrag, darf schlicht keine Variante sein. Die EU ist ebenso zum Erfolg verdammt wie London, um negative Folgen so gering wie möglich zu halten.

Dass Brüssel mit Feuereifer seine Errungensc­haften und die vier Grundfreih­eiten des Binnenmark­tes verteidigt, steht dem nicht entgegen. Im Gegenteil. Das stetig wiederholt­e Glaubensbe­kenntnis zum freien Welthandel und zu einem dichten Netz von Partnern in aller Welt gilt auch für die Insel.

Die EU muss allerdings dazulernen. Nicht nur in Deutschlan­d pflegt man den Gedanken, dass der Brexit noch wie durch ein Wunder abgewendet werden könne – das ist eine Illusion. Weder die europäisch­en Verträge noch die politische Realität in Großbritan­nien geben dafür irgendeine­n Spielraum her. Brüssel hat recht: Großbritan­nien muss sich bewegen. Aber London hat auch recht: Die EU muss an einer Lösung mitarbeite­n.

Der Brexit wird nicht wie durch ein Wunder abgewendet

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