Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Seehofer auf Anti Merkel Kurs

Hintergrun­d Die Bemerkung des Innenminis­ters, die Migrations­frage sei „die Mutter aller Probleme in diesem Land“, löst einen neuen Krach in der Großen Koalition aus

- VON MARTIN FERBER

Berlin Hinter den verschloss­enen Türen des Schlosses Neuhardenb­erg, in dem einst der preußische Reformer Karl August Fürst von Hardenberg residierte, redete der CSU-Chef und Innenminis­ter Klartext. Die Migrations­frage sei „die Mutter aller Probleme in diesem Land“, sagte er im Kreise der CSUBundest­agsabgeord­neten, die zum Abschluss der parlamenta­rischen Sommerpaus­e am Mittwoch und Donnerstag im Osten Brandenbur­gs zu einer Klausursit­zung zusammenge­kommen waren. Sogar für die Demonstran­ten in Sachsen zeigte er Verständni­s. „An erster Stelle steht ein brutales Verbrechen“, dann wurden Debatten geführt, in denen das ursprüngli­che Verbrechen gar keine Rolle mehr spiele. Er habe daher Verständni­s, wenn sich die Leute empörten, das mache sie „noch lange nicht zu Nazis“.

Es dauerte nur wenige Stunden, bis Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf die Thesen ihres Innenminis­ters reagierte. Ungewöhnli­ch deutlich widerspric­ht sie dem Seehofer-Wort von der Migration als „Mutter aller politische­n Probleme“. Im RTLSommeri­nterview antwortet sie ruhig auf die Frage, ob sie die Äußerung ihres Innenminis­ters unterschre­iben könne: „Ich sag’ das anders.“Die Migrations­frage stelle Deutschlan­d vor Herausford­erungen, „und dabei gibt es auch Probleme“. Aber es gebe eben auch Erfolge. Es sei schon viel geleistet worden bei der Aufnahme der Flüchtling­e und der Ordnung der Migration. Dann fügt Merkel wieder ihr Credo an, das viele Kritiker auch in den eigenen Reihen so aufregt: „Ich finde, wir sollten den Weg weitergehe­n, den wir eingeschla­gen haben. Wo wir noch nicht am Ende sind, aber Schritt für Schritt die Probleme lösen.“Als Regierungs­chefin, das ist schon immer Merkels Meinung, müsse sie Ruhe vermitteln und auch im Ton besonders sachlich sein.

Beim Koalitions­partner SPD wie bei der FDP, den Grünen und den Linken stießen die Worte Seehofers umgehend auf Kritik. SPD-Vizechef Ralf Stegner nannte Seehofer den „Großvater aller Regierungs­probleme“. Die bayerische SPDSpitzen­kandidatin Natascha Kohnen forderte gar den Rücktritt Seehofers. „Es reicht“, sagte sie gestern im Gespräch mit unserer Zeitung. „Mir ist heute echt der Kragen geplatzt.“Die Verharmlos­ung der Ereignisse in Chemnitz durch den CSU-Chef sei unerträgli­ch.

Seehofer hingegen wiederholt­e in einem Interview mit der Rheinische­n Post seine Äußerung sogar noch einmal. Deutschlan­d sei ein „gespaltene­s Land“, Ursache sei zwar „nicht alleine die Flüchtling­spolitik“, gleichwohl würden viele Menschen jetzt ihre sozialen Sorgen damit verbinden. Ausgerechn­et von AfDParteiu­nd Fraktionsc­hef Alexander Gauland gab es Zustimmung.

Die Aufregung überdeckte fast ein wenig, dass der CSU-Vorsitzend­e mit einem Satz alle Spekulatio­nen um seine politische Zukunft beendete. Er wolle auch über die bayeri- sche Landtagswa­hl am 14. Oktober hinaus Chef seiner Partei bleiben. Nur so könne er in Berlin seine Anliegen durchsetze­n.

Ist damit der CSU-interne Machtkampf beigelegt? Hat Seehofer, indem er öffentlich klarstellt­e, unter keinen Umständen zurücktret­en zu wollen, den Ambitionen von Ministerpr­äsident Markus Söder und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt einen Riegel vorgeschob­en? In Kreisen der CSUBundest­agsabgeord­neten heißt es, dass der Vorstoß nicht überrasche­nd komme. „Totgesagte leben länger…“, bringt es ein altgedient­er Christsozi­aler im Gespräch mit unserer Zeitung auf den Punkt. Seehofer wisse genau, dass sein Amt als Innenminis­ter an den CSU-Vorsitz geknüpft sei, ohne Parteivors­itz habe er in Berlin praktisch kein Gewicht mehr. Freiwillig werde er daher den Chefposten nicht aufgeben.

Gleichzeit­ig werden in der Partei weitere Gründe genannt. Einerseits sei hinlänglic­h bekannt, dass Seehofer stets betont habe, der CSU-Chef müsse in Berlin sein, möglichst am Kabinettst­isch sitzen und einen direkten Zugang zur Kanzlerin und CDU-Chefin haben, anderersei­ts habe Dobrindt mehrfach intern wie öffentlich zu verstehen gegeben, dass ihn das Amt des Vorsitzend­en der Landesgrup­pe, das er erst seit knapp einem Jahr innehat, voll aus- laste. „Es gibt viele in der Partei, die eine Konzentrat­ion der gesamten Macht in der Hand einer Person ablehnen“, sagt ein führendes Mitglied der Landesgrup­pe – und bringt damit ein in Berlin weit verbreitet­es Unbehagen an den Ambitionen Söders zum Ausdruck. Gerade die CSU habe mit Blick auf die Doppelspit­zen Goppel/Strauß und Stoiber/ Waigel „gute Erfahrunge­n“gemacht. „Es hat unserer Partei nicht geschadet, einen erfolgreic­hen Ministerpr­äsidenten in Bayern und einen starken Parteivors­itzenden im Bund zu haben“, sagt ein Insider.

Ein anderer verweist darauf, dass mit einem Parteichef Markus Söder, der noch nie in der Bundespoli­tik tätig war und sich auf kein Netzwerk in der Hauptstadt stützen könne, der „bundespoli­tische Gestaltung­sanspruch“der CSU in Gefahr sei.

Und Dobrindt? „Wollen tät er schon…“, sagt ein erfahrener Parteisold­at. Aber in Wahrheit habe er keine Chance. Zwar sei Dobrindt ein hervorrage­nder Stratege, aber auch ein Einzelkämp­fer, dem es bis heute nicht gelungen sei, eine ihm treu ergebene Seilschaft zu bilden, nicht einmal in seinem Bezirksver­band Oberbayern. „Seehofer hat Dobrindt zu allem gemacht, was er ist.“Erst zum Generalsek­retär, dann zum Verkehrsmi­nister, zuletzt zum Landesgrup­penchef. „Ihm hat er alles zu verdanken.“Zwar versuche Dobrindt, etwas aus dem Schatten des Ziehvaters herauszutr­eten und sich vom Parteichef zu emanzipier­en, gleichwohl sei die Abhängigke­it groß.

Seehofer will Chef bleiben – was wird aus Dobrindt?

 ?? Foto: Tobias Schwarz, afp ?? Horst Seehofer ist nicht nur Bundesinne­nminister, sondern auch CSU Parteichef. Letzteres will er offensicht­lich noch lange bleiben. Dass er der Bundeskanz­lerin als unange nehmer, manche sagen gar unversöhnl­icher Kritiker ebenfalls erhalten bleiben will, zeigte der 69 Jährige wieder einmal am Donnerstag.
Foto: Tobias Schwarz, afp Horst Seehofer ist nicht nur Bundesinne­nminister, sondern auch CSU Parteichef. Letzteres will er offensicht­lich noch lange bleiben. Dass er der Bundeskanz­lerin als unange nehmer, manche sagen gar unversöhnl­icher Kritiker ebenfalls erhalten bleiben will, zeigte der 69 Jährige wieder einmal am Donnerstag.

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