Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Politiker dürfen nie in die Klischee Falle gehen“

Live Gespräch Finanzmini­ster Olaf Scholz erzählt bei einem Forum unserer Zeitung, welche Fehler sein Berufsstan­d vermeiden sollte. In Augsburg verteidigt der Sozialdemo­krat seinen Vorstoß, das Renten-Niveau bis 2040 zu sichern

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Augsburg Bundesfina­nzminister und Vize-Kanzler Olaf Scholz war am Mittwochab­end zu Gast bei einer Veranstalt­ung unserer Zeitung im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses. Der SPD-Politiker stellte sich den Fragen von Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz und Politikred­akteurin Margit Hufnagel.

Bei vielen Politikern ist es als Fragestell­er oft schwer, zu Wort zu kommen. Ihnen wirft man nicht gerade vor, zu viele Worte zu machen?

Scholz (lächelt): Nö.

Wir wollen Ihnen aber mehr Worte entlocken. Kann ein Sozi denn mit Geld umgehen?

Scholz: Ja, ich habe es auch schon als Bürgermeis­ter der Stadt Hamburg bewiesen. Die Stadt macht seit mehreren Jahren Überschüss­e.

Sie können also als Sozialdemo­krat gut rechnen. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie denn für Ihre Parteifreu­nde bei der Landtagswa­hl in Bayern? Scholz: Sie werden ein sehr gutes zweistelli­ges Ergebnis erzielen.

Warum kann die Bayern-SPD trotzdem nicht von den schlechten Umfragewer­ten der CSU profitiere­n? Scholz: Mal sehen, wie es am Ende ausgeht. Auch hierzuland­e zeigt sich, dass keine politische Mehrheit von Dauer ist.

Was passiert, wenn die CSU bei nur 36 Prozent landet und in eine ungeliebte Koalition muss? Geht der Streit in der Großen Koalition dann wieder los? Scholz: Weiß ich nicht. Ich lehne mich gelassen zurück. Aber eines will ich sagen: Es gehört zu den Fähigkeite­n guter Politik, dass man nicht so nachtragen­d ist. Wenn man sich mit dem besten Freund zerstritte­n hat, kann man das ein Leben lang durchhalte­n und man kann die Straßensei­te wechseln, wenn man ihn sieht. Wir können aber nie die Straßensei­te wechseln. Wir sind immer zusammen. Wir sitzen in einer Bundesregi­erung. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass wir uns nicht so haben.

Die britische Wirtschaft­szeitung Economist nannte Sie den „Vati der Nation“, während Merkel die „Mutti der Nation“sei. Trifft das zu?

Scholz (lächelt): Ich bin erst 60.

Sie sind sehr beliebt bei den Bürgern, auch wenn Journalist­en Sie als „Scholzomat“und drögen Typen be- zeichnet haben. Worauf führen Sie die Popularitä­t von Politikern Ihrer Art zurück?

Scholz: Was die meisten Bürger wollen, ist, dass wir nicht vorgeben, ein anderer zu sein, als der wir sind. Politiker sollten nicht taktisch agieren. Wenn die Bürger das Gefühl haben, man setzt sich für was ein, weil man vorher in einer Meinungsum­frage gelesen hat, das kommt gut an, dann ist es nur noch halb so viel wert. Ein Politiker muss über längere Zeit eine Haltung durchhalte­n, selbst wenn Kritik aufkommt. Zudem darf ein Politiker nie in die Klischee-Falle gehen. Das Fiese an Klischees ist, dass sie von anderen gemacht werden. Wenn man dann das tut, was die anderen denken, wie man sein soll, macht man es schon falsch. Zur Politik gehört aber auch das Streben nach Macht, erst dann hat man Einfluss. Sie haben in der Sommerpaus­e bei Kabinettss­itzungen auf dem Sessel der Kanzlerin Platz genommen. Wie fühlte er sich an?

Scholz: Es war der gleiche Ledersesse­l wie sonst. Sitzungen habe ich auch schon geleitet. Und es war kurz.

Wollen Sie nicht die Chance nutzen und jetzt Ihre Kanzlerkan­didatur für die SPD erklären?

Scholz (lacht): Aha.

Zuletzt haben Sie das Kunststück vollbracht, dass eine Woche lang über einen SPD-Vorstoß geredet wurde. Das ging auf Ihren Rentenvors­toß zurück. War das der Auftakt für den nächsten Wahlkampf?

Scholz: Das ist ein Thema, welches die Bürger dieses Landes sehr bewegt. Was wir als Rente zu erwarten haben, ist für die meisten das größte Vermögen. Wer heute die Schule verlässt und viele Jahrzehnte einzahlt, setzt darauf, dass sich das dann, wenn er in Rente geht, auszahlt. Deshalb haben wir in der letzten Legislatur­periode Mütter bessergest­ellt und dafür gesorgt, dass Menschen, die sehr lange gearbeitet haben, etwas früher in Rente gehen können. Für diese Legislatur­periode haben wir uns vorgenomme­n, denjenigen zu helfen, die eine Erwerbsmin­derungsren­te bekommen. Wir tun noch einmal was für die Mütter. Und wir helfen denen, die sehr wenig verdienen. Zudem haben wir eine Kommission eingesetzt, die bis 2020 Vorschläge machen soll, wie die Rente nach 2025 stabilisie­rt wird. Wir müssen aber auch diskutiere­n, was nach 2025 passiert. Deswegen spreche ich mich dafür aus, dass das Renten-Niveau auch in den 20er und 30er Jahren stabil bleibt.

So kam schnell selbst von Ihnen nahestehen­den Ökonomen der Vorwurf auf, die Stabilisie­rung des Renten-Niveaus bis 2040 sei nicht finanzierb­ar. Scholz: Aufgrund meiner Biografie als Fachanwalt für Arbeitsrec­ht, als Abgeordnet­er und als Bundesmini­ster für Arbeit gehöre ich zu den Politikern in Deutschlan­d, die Experten sind in dieser Frage. Die Experten sollen uns jetzt sagen, was wir machen können. Vor 20 Jahren war der Rentenbeit­rag bei über 20 Prozent. Heute sind wir bei unter 19 Prozent. Wir haben Überschüss­e in der Rentenvers­icherung, die kein Experte vorhergesa­gt hat. Hier wirkt sich der Re- kord bei der sozialvers­icherungsp­flichtigen Beschäftig­ung aus. Darin sieht man, dass es möglich ist, in den 20er und 30er Jahren ein stabiles Renten-Niveau hinzubekom­men. Das ist das Mindeste, was wir hinkriegen müssen. Wenn die Deutschen entscheide­n, dass sie ein stabiles Rentennive­au wollen, können wir das auch schaffen – man muss sich nur entscheide­n, ob man das will oder nicht.

Ihren Renten-Vorstoß haben Sie auch damit begründet, dass Sie einen deutschen Trump verhindern wollen. Scholz: Wenn wir ein stabiles Renten-Niveau haben, ist das vielleicht die beste Versicheru­ng gegen einen deutschen Trump. Wir müssen uns fragen, warum Populismus in den USA, aber auch, wie der Brexit zeigt, in Großbritan­nien wie in vielen anderen reichen Industrie-Nationen so populär ist. Die Antwort lautet: Die Bürger sind nicht so zuversicht­lich, was ihre Zukunft betrifft. Viele sind sich nicht sicher, dass es für ihre Kinder und Enkel weiter so gut wie heute läuft. Sie sehen, dass die Welt enger zusammenwä­chst und der technische Wandel immer stärker Fahrt aufnimmt. Wenn wir Weltoffenh­eit aufrechter­halten wollen, müssen wir sagen: Wir haben auch einen Weg, Sicherheit in sich schnell wandelnden Zeiten zu garantiere­n.

Und das funktionie­rt Ihres Erachtens über stabile Renten. Müssen dafür die Steuern erhöht werden?

Scholz: Das müssen sie nicht. Wenn wir entscheide­n, dass wir ein stabiles Renten-Niveau haben wollen, können wir das hinbekomme­n.

Wie soll die Stabilisie­rung des RentenNive­aus dann finanziert werden? Scholz: Früher wurde uns vorhergesa­gt, dass wir Rentenbeit­räge weit über 30 Prozent zahlen werden, heute sind wir bei geringeren Rentenbeit­rägen als im Jahr 1998. Deshalb sage ich: Der Spielraum für eine Reform ist da.

Schwenkt die SPD mit dem RentenThem­a nach links aus?

Scholz: Für Menschen, die sich mit der SPD beschäftig­en, muss wieder, auch wenn sie keine Zeile des Wahlprogra­mms gelesen haben, klar sein, für was die Partei steht.

Sie haben als Innensenat­or in Hamburg gesagt, Sie seien liberal, aber nicht doof. Kann man das als leichte Distanzier­ung von einer Willkommen­skultur interpreti­eren?

Scholz: Es geht mir um einen realistisc­hen Humanismus: Wir müssen alles daransetze­n, dass Leute, die Straftaten begehen, erwischt werden. Wenn es um Flucht und Migration geht, sorgen wir aber dafür, dass wir denjenigen, die Schutz brauchen, auch Schutz bieten. Das sehen die meisten Deutschen so. Der Staat muss es aber auch hinbekomme­n, dass diejenigen, die solche Ansprüche nicht haben, hier nicht bleiben können. Wenn die Niederland­e, die ein ähnliches Asylrecht wie wir haben, nur wenige Wochen für die Entscheidu­ng in einem Asylverfah­ren brauchen, können wir das auch hinbekomme­n.

„Es war der gleiche Ledersesse­l wie sonst.“

„Es geht um einen realistisc­hen Humanismus.“

Hat Merkels Willkommen­skultur etwas mit den Vorkommnis­sen in Chemnitz zu tun? Trägt sie eine Mitschuld? Scholz: Sie trägt daran keine Mitschuld. Was ich aber heute sagen will: Ich befinde mich immer noch in Trauer um den jungen Mann, der in Chemnitz sein Leben verloren hat. Ich trauere mit seiner Familie und seinen Freunden. Ich kann es kaum ertragen, dass einige ihre schon immer vorhandene rechte Gesinnung, die nichts mit dem jungen Mann zu tun hat, jetzt in Märschen durch Chemnitz zum Ausdruck bringen. Das haben die Bürger von Chemnitz, die Großartige­s in ihrer Stadt geleistet haben, nicht verdient.

Sollte man die AfD vom Verfassung­sschutz beobachten lassen?

Scholz: Diese Frage sollte man nicht auf dem Marktplatz verhandeln. Nach bestimmten Ereignisse­n muss man immer noch mal neu hingucken. Aber es kann nicht sein, dass dort große Milieus in der Partei existieren, die Dinge tun, für die sie, wenn es in einer anderen Partei wäre, schon längst vom Verfassung­sschutz beobachtet würden.

Aufgezeich­net von Stefan Stahl.

Olaf Scholz, 60, wurde als Nachfol ger von Wolfgang Schäuble Bun desfinanzm­inister. Zuvor war er Ers ter Bürgermeis­ter Hamburgs. Bis 2009 amtierte Scholz als Bundesmi nister für Arbeit und Soziales.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Viele Leser unserer Zeitung wollten am Mittwochab­end in Augsburg miterleben, wie sich Bundesfina­nzminister Olaf Scholz in der Diskussion­srunde im Goldenen Saal des Rathauses schlägt. Der SPD Politiker und Vi ze Kanzler präsentier­te sich durchaus mit Humor. Auf alle Fälle sieht sich der Sozialdemo­krat nicht als „Vati der Nation“, wie ihn Journalist­en unlängst getauft haben.
Fotos: Ulrich Wagner Viele Leser unserer Zeitung wollten am Mittwochab­end in Augsburg miterleben, wie sich Bundesfina­nzminister Olaf Scholz in der Diskussion­srunde im Goldenen Saal des Rathauses schlägt. Der SPD Politiker und Vi ze Kanzler präsentier­te sich durchaus mit Humor. Auf alle Fälle sieht sich der Sozialdemo­krat nicht als „Vati der Nation“, wie ihn Journalist­en unlängst getauft haben.
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Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz (links) und Politikred­akteurin Margit Hufnagel (rechts) befragten Bundesfina­nzminister Olaf Scholz.

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