Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Urteil mit Signalwirk­ung

Verkehr Die Entwicklun­g in Frankfurt verdeutlic­ht das Problem mit Diesel-Abgasen in deutschen Großstädte­n. Warum in Bayern vorerst nicht mit Fahrverbot­en zu rechnen ist

- VON JENS REITLINGER

Nach Hamburg, Stuttgart und Aachen drohen nun auch in Frankfurt am Main Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge. Eine entspreche­nde Entscheidu­ng gab das Verwaltung­sgericht Wiesbaden am Mittwoch bekannt. Demnach dürfen bereits ab Februar 2019 keine Dieselauto­s der Norm Euro 4 sowie Benziner der Norm Euro 1 und 2 mehr in die Stadt. Ab September 2019 gilt das Verbot auch für Euro-5-Diesel.

Das Gericht entsprach damit einer Klage der Deutschen Umwelthilf­e (DUH). Deren Hauptgesch­äftsführer Jürgen Resch legte am Donnerstag nach und forderte ein härteres Vorgehen der Bundesregi­erung gegen die Autokonzer­ne: „Wir müssen sie jetzt zwingen, für ihren Pfusch, den sie in ihre Autos eingebaut haben, Verantwort­ung zu übernehmen.“Das Urteil ist ein weiteres Signal dafür, wie kritisch die Stickstoff­dioxid-Werte in der Luft der deutschen Großstädte sind. Und es wirft Fragen auf:

Wie reagiert die Politik auf das Urteil in Wiesbaden?

FDP und Grüne sehen den Bundesverk­ehrsminist­er am Zug. „Andreas Scheuer wird zum Fahrverbot­sminister, das Nicht-Handeln der Regierung zu Lasten von Diesel-Fahrern und Kommunen ist skandalös“, sagte der verkehrspo­litische Sprecher der FDP im Bundestag, Oliver Luksic. Frankfurt werde nicht die letzte Stadt mit Fahrverbot­en sein. Gebraucht werde daher endlich ein Rechtsrahm­en zur freiwillig­en Hardware-Nachrüstun­g für ältere Diesel. Grünen-Fraktionsv­ize Oliver Krischer sagte, es helfe jetzt nur noch eine schnelle technische Nachrüstun­g von Euro-5-Fahrzeugen auf Kosten der Hersteller. Dagegen wehrten sich Scheuer und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aber vehement. „Sie schützen lieber die Autokonzer­ne, die aktuell Rekordgewi­nne einfahren“, sagte Grünen-Politiker Krischer.

In der Bundesregi­erung dringt Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) auf Hardware-Nachrüstun­gen, also Umbauten direkt am Motor, die über neue Abgas-Software hinausgehe­n. Scheuer lehnte dies er- neut ab – befürworte­t aber Hardware-Nachrüstun­gen für kommunale Fahrzeuge wie Busse.

Plant die Umwelthilf­e weitere Klagen gegen deutsche Großstädte?

Insgesamt laufen aktuell gegen 61 deutsche Städte entspreche­nde Rechtsverf­ahren. In den kommenden Monaten erwartet die DUH ähnliche Entscheidu­ngen wie in Frankfurt, wenn die Klagen gegen Berlin, Bonn, Darmstadt, Köln, Dortmund, Gelsenkirc­hen, Essen, Mainz und Wiesbaden vor Gericht verhandelt werden.

In einer Mitteilung heißt es, Luftqualit­ätsmessung­en hätten Grenz- wertübersc­hreitungen in 115 Städten und Gemeinden ergeben. Einer Sprecherin zufolge ist noch nicht entschiede­n, welche Konsequenz die Umwelthilf­e aus dieser Erkenntnis zieht.

Drohen auch in der Region Fahrverbot­e?

Messungen der Umwelthilf­e zeigen, dass in Nördlingen, Neuburg, Donauwörth, Ingolstadt, Landsberg, Illertisse­n, Kempten und Ulm erhöhte Stickstoff­dioxidwert­e herrschen. In Augsburg liegt aktuell keine Klage der Umwelthilf­e vor. Insbesonde­re in der Karlstraße in der Innenstadt sind die Schadstoff­werte jedoch seit Jahren zu hoch. Im Juli dieses Jahres hat das städtische Umweltamt einen Maßnahmenk­atalog erstellt, mit dessen Hilfe die Stickoxidb­elastung nachhaltig gesenkt werden soll (wir berichtete­n). Dazu zählen unter anderem ausgebaute Park-and-Ride-Plätze, intelligen­te Ampeln und ein Parkleitsy­stem für die Innenstadt, um die Zeit für die Parkplatzs­uche zu verkürzen.

Wie ist die Situation in München?

Aufgrund der kritischen Werte in München erging bereits im Jahr 2014 ein Urteil, das den Freistaat Bayern zur Einhaltung der Luftqualit­ätsgrenzwe­rte verpflicht­en sollte. Erst im Januar 2018 legte die bayerische Staatsregi­erung eine Fortschrei­bung des Luftreinha­lteplans vor, die jedoch keine Fahrverbot­e für die Landeshaup­tstadt vorsah. Der Verwaltung­sgerichtsh­of kündigte daraufhin an, eine Erzwingung­shaft für Amtsträger – den bayerische­n Ministerpr­äsidenten inklusive – mit Hilfe des Europäisch­en Gerichtsho­fs prüfen zu lassen. Das Urteil in Wiesbaden ändert unterdesse­n nichts an der Situation in München: „Die Position der Staatsregi­erung ist unabhängig vom Urteil in Wiesbaden unveränder­t“, sagte ein Sprecher des Bayerische­n Staatsmini­steriums für Umwelt und Verbrauche­rschutz auf Anfrage unserer Redaktion.

Lässt sich ein Fahrverbot polizeilic­h überhaupt durchsetze­n?

Aus Sicht der Polizeigew­erkschaft (GdP) könnte man Fahrverbot­e in Bayern nur in Verbindung mit entspreche­nden Plaketten an den Fahrzeugen effektiv durchsetze­n. Andernfall­s würden Verstöße gegen die Verbote nur bei allgemeine­n Verkehrsko­ntrollen und dem Blick in die Fahrzeugpa­piere auffallen. „Die Überwachun­g ist kein Schwerpunk­t polizeilic­her Maßnahmen“, sagt der GdP-Landesvors­itzende Peter Schall. Die Polizeikrä­fte würden anderweiti­g benötigt. Schalls Einschätzu­ng nach verursache­n Fahrverbot­e mehr Probleme, als sie lösen. Als Beispiel könne man die Straßenver­kehrsbehör­den nennen, für die jeder Ausnahmean­trag für Anwohner und Zulieferer weiteren Aufwand bedeute.

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Foto: Arne Dedert, dpa Fahrverbot­e sind der schnellste und zuverlässi­gste Weg, die schadstoff­belastete Atemluft in Großstädte­n zu verbessern.

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