Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Senioren fordern Mitsprache­recht

Interview Die Zahl der Älteren in Bayern wächst. Doch ihre Sorgen finden vor Ort oft zu wenig Gehör, findet die Landesseni­orenvertre­tung. Sie will eine gesetzlich­e Verankerun­g ihrer Stimme

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Herr Wölfl, Sie sind Vorsitzend­er der Landesseni­orenvertre­tung in Bayern, welche Sorge treibt die älteren Menschen im Freistaat am meisten um? Franz Wölfl: Ein großes Problem sehen wir in der mangelnden gesellscha­ftlichen Teilhabe. In weiten Teilen Bayerns gibt es keine Seniorenbe­auftragten oder Seniorenbe­iräte. Daher fordern wir eine gesetzlich­e Regelung, damit endlich das Mitsprache­recht älterer Menschen in jeder Gemeinde, in jeder Stadt verbindlic­h geregelt wird. Aber auch auf Landeseben­e fordern wir ein Anhörungsr­echt.

Was heißt das genau?

Wölfl: Als Landesseni­orenvertre­tung sind wir privatrech­tlich als Verein organisier­t. In der Praxis heißt das, dass wir beispielsw­eise gegenüber den Ministerie­n immer nur als Bittstelle­r auftreten und nicht auf Augenhöhe angehört werden und mitspreche­n können. Daher fordern wir ein Mitsprache- und Anhörungsr­echt für alle Belange, die Menschen über 65 Jahre in Bayern betreffen. Man muss doch bedenken, dass Senioren die am stärksten wachsende Bevölkerun­gsgruppe sind. Vor diesem Hintergrun­d ist es ein Unding, dass wir kein Recht auf Mitsprache und Mitgestalt­ung haben.

Warum sind Seniorenbe­iräte so wichtig? Oft gibt es doch Seniorenbe­auftragte in Gemeinden.

Wölfl: Die gibt es auch nicht überall. Außerdem ist das ein großer Unterschie­d. Weil die Seniorenbe­auftragten im Dienst der Gemeinde stehen, können sie nicht unabhängig die Anliegen älterer Menschen einfordern, sondern müssen sich in der Regel an den Wünschen des Gemeindera­tes orientiere­n. Außerdem ist es reine Ermessenss­ache einer Kommune, ob es überhaupt Seniorenbe­auftragte gibt.

Was wollen Sie konkret durchsetze­n? Wölfl: Es geht darum, dass sich Seniorenbe­iräte vor Ort für die Anliegen älterer Menschen in der jeweiligen Kommune stark machen. Die Anliegen selbst sind von Ort zu Ort verschiede­n. Wichtig ist aber, dass die Anliegen auch in den entspreche­nden Ausschüsse­n behandelt werden und nicht vom guten Willen des Bürgermeis­ters abhängen.

Nennen Sie doch bitte Beispiele. Wölfl: Seniorenbe­iräte setzen beispielsw­eise durch, dass Gehsteige barrierefr­ei werden, damit auch mit einem Rollator der Bus gut erreicht wird. Seniorenbe­iräte machen sich beispielsw­eise auch für eine ausreichen­de Anzahl an öffentlich­en Toiletten stark, die vor allem auch rund um die Uhr geöffnet sind – ein sehr wichtiges Thema übrigens im Alter, denn viele ältere Menschen müssen öfter und manchmal auch rascher zur Toilette. Aber auch für einen Bewegungsp­arcours beispielsw­eise oder einen kostenlose­n Internetku­rs speziell für Senioren setzen sich Seniorenbe­iräte vor Ort ein.

Aber Computerku­rse für Senioren bieten doch viele an – etwa auch die Volkshochs­chulen.

Wölfl: Die Digitalisi­erung ist aber aus unserer Sicht ein so zentrales Thema, bei dem die Senioren nicht abgehängt werden dürfen. Die Digitalisi­erung ist so wichtig wie die Pflege oder das Wohnen. Hier müssen die Kommunen tätig werden und kostenlose Kurse und Übungsmögl­ichkeiten speziell für Senioren anbieten. Viele ältere Menschen haben nun mal Hemmungen, das Internet zu benutzen. Viele kennen sich zu wenig aus. Gleichzeit­ig bietet das Internet gerade im Alter enorme Chancen.

Wo sehen Sie die größten Chancen? Wölfl: Das fängt schon damit an, dass sich Menschen, die nicht mehr aus dem Haus können, ihr Essen übers Internet bringen lassen können. Über Veranstalt­ungen kann man sich informiere­n, Reisen vorbereite­n und vor allem auch Kontakte halten. Letzteres wiederum hilft, das große Problem Einsamkeit im Alter zu verkleiner­n. In der Realität sieht es aber so aus, dass von den 65bis 85-Jährigen nur jeder zweite das Internet nutzt. Das ist doch besorgnise­rregend. Hier droht einer wachsenden Zahl an Menschen die digitale Exklusion. Hinzu kommt, dass viele Medien wie etwa die Tagesschau im Fernsehen weitere Informatio­nen ausschließ­lich online bieten. Und auch Behörden, Banken und andere Dienstleis­ter schränken ihre persönlich­en Angebote vor Ort ein – zu Lasten der vielen älteren Menschen, die im Internet unerfahren sind.

Ein wichtiges Thema für Sie ist der Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s. Wölfl: Ja, gerade auf dem Land herrschen hier oft untragbare Zustände, da es nicht selten nur zwei Busverbind­ungen gibt – eine am Morgen und eine am Abend. Beim Thema Mobilität machen wir uns aber auch für Details stark, die den Alltag älterer Menschen erleichter­n. Beispielsw­eise sind die Bus- und Bahnpläne oft so klein gedruckt, dass man schon eine große Lupe bräuchte, um sie überhaupt lesen zu können. Viele Bahnhöfe in Bayern haben darüber hinaus noch immer keinen Aufzug und keine Hilfen, um barrierefr­ei in die Züge ein- und aussteigen zu können. Und auch an dieser Stelle muss ich noch einmal das Toilettenp­roblem ansprechen: Dass es im Jahr 2018 auch in S-Bahnen eine Toilette gibt, kann doch kein unlösbares Problem sein.

Viele ältere Menschen fürchten sich aber vor allem auch davor, ein Pflegefall zu werden.

Wölfl: Das stimmt. Daher fordern wir ja auch einen massiven Ausbau der Pflegestüt­zpunkte in Bayern. Erst neun gibt es. In einem Flächensta­at wie Bayern können Sie diese Zahl vergessen. In einer allgemeine­n Verfügung war von bis zu 60 die Rede. Da tut sich aber nichts mehr. Dabei sind diese Anlaufstel­len für Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n vor Ort unglaublic­h wichtig, da im Pflegefall oft ein regelrecht­er Spießruten­lauf auf die Betroffene­n und ihre Angehörige­n zukommt. Das kann nicht sein. Vielmehr müsste jede Kommune eine Beratungss­telle haben, in der beispielsw­eise ältere Menschen Unterstütz­ung erhalten, damit sie möglichst lange in ihrer Wohnung bleiben können. Hier besteht enormer Beratungsu­nd Unterstütz­ungsbedarf. Schließlic­h gibt es für viele Maßnahmen in den eigenen vier Wänden auch Zuschüsse – aber das wissen viele gar nicht.

Interview: Daniela Hungbaur

Franz Wölfl, 69, lebt in Landshut. Er war Minis terialdiri­gent und lange Jah re im Sozialmini­sterium beschäftig­t.

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Foto: stock.adobe.com Sollen nicht nur mitschwimm­en, sondern aktiv mitbestimm­en: Die Senioren im Freistaat. Das fordert zumindest die Landesseni­o renvertret­ung und fordert eine entspreche­nde gesetzlich­e Verankerun­g ihres Mitsprache­rechts.
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