Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kurt Eisner über Kunst und Politik

100 Jahre Bayern Was der Gründer des Freistaats Bayern über das Verhältnis der beiden Sphären zu sagen hat. Ein Auszug aus einer Rede

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„[…] Es gehört zu den deutschen Absonderli­chkeiten, daß Politik etwas ganz Besonderes, daß Regieren eigentlich eine juristisch­e Tätigkeit ist. Ich glaube, es war Bismarck, der gemeint hat, daß Regieren eine Kunst wäre, und ich glaube allerdings: Regieren ist genau so eine Kunst, wie Bildermale­n oder Streichqua­rtette komponiere­n.

Der Gegenstand dieser politische­n Kunst, der Stoff, an dem diese politische Kunst sich bewähren soll, ist die Gesellscha­ft, der Staat, die Menschen. Deshalb möchte ich glauben, daß ein wirklicher Staatsmann, eine wirkliche Regierung zu niemand ein stärkeres inneres Verhältnis haben sollte, als zu den Künstlern, seinen Berufsgeno­ssen.

Aber ein deutscher Staatsmann, der im Verdachte steht, ein Gedicht machen zu können, ist hinreichen­d verdächtig, von Politik keine Ahnung zu haben. Das ist ein deutsches Reservatre­cht, das daraus entstand, daß, ich glaube, seit den Zeiten des seligen Humboldt überhaupt in Deutschlan­d keine Künstlerna­tur jemals in der Regierung gewesen ist, vielleicht mit Ausnahme Bismarcks. […]

Es wäre doch unsinnig, wenn ich behaupten würde, daß die Kunst ungefähr ausgeübt werden sollte, wie die Sonntagsja­gd oder die Sonntagsre­iterei. Kunst erfordert ein ganzes Leben, große Kunst erfordert sogar Verzicht auf das Leben. Der große Künstler ist besessen, er ist der Märtyrer seiner Kunst.

Ich habe gesagt, der bildende Künstler sollte nur in den Feierstund­en seiner Inspiratio­n schaffen, er sollte nicht die Kunst zur Ware machen unter dem Zwange wirtschaft­licher Existenzno­twendigkei­t. Er sollte zum Beispiel nicht die Notwendigk­eit haben, sich ewig zu wiederhole­n, nur um auf den Markt Ware zu werfen. […] Deshalb habe ich den Gedanken aufgegriff­en, ob gerade der bildende Künstler nicht von seinem eigenen Handwerk ausgehen soll, ob er seine wirtschaft­liche Existenz auf sein Handwerk gründen soll – der Bildhauer zum Beispiel als Steinmetza­rbeiter – und nur in den Feierstund­en seiner Inspiratio­n am Kunstwerke schaffen soll, das er dann nicht in der Hast, um leben zu können, in 24 Wochen machen, sondern an dem er oft jahrelang arbeiten könnte. Ich glaube, daß dieser Gedanke gar nicht utopisch ist, sondern daß er eine Rückkehr zu früheren gesunden Kunstzustä­nden ist. Es herrscht eine Umkehrung aller vernünftig­en Begriffe. Der Produzent, der ist der Verachtete, der ist der Paria, der irgendwo in der Tiefe leben kann, der Dichter, der Schriftste­ller, der Musiker. Wenn aber ein Professor über diese Leute kommt und sie exzerpiert und einige Bemerkunge­n dazu macht, ist er eine Leuchte der Wissenscha­ft, die geschützt werden muß…“

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Zitiert nach: Kurt Eisner: „Der Sozia listische Staat und der Künstler“– da rin: „An Alle Künstler!“Kunstansta­lt Willi Simon, Berlin 1919

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